Wie hört sich der Soundtrack deines Leben an? Coach Johanna über mehr Selbstbestimmung

Heute ist wieder so ein Tag, wir haben es gerade so in die Kita geschafft, ich lasse mich erschöpft auf den Autositz fallen und habe das Gefühl, es müsste bereits neun Uhr am Abend sein. Dabei geht die tägliche „Work-Life-Challenge“ ja jetzt erst richtig los. Ich will hier gar nicht ins Detail gehen, ihr kennt das Spiel: die „Rushhour“ des Lebens. Hier muss uns alles gelingen: Karriere, Kinder, Partnerschaft und immer ganz wichtig: Selbstverwirklichung!

Dabei will ich das gar nicht verspotten, im Gegenteil: Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung bzw. nach selbstbestimmter Lebensgestaltung ist ein Grundbedürfnis und hat erwiesenermaßen entscheidenden Einfluss auf unsere Lebenszufriedenheit. Nur, was will ich denn überhaupt verwirklichen? Was ist mir wirklich wichtig? Und wann hatte ich zuletzt überhaupt Gelegenheit wieder einmal darüber nachzudenken?

Im allgemeinen Alltagswahnsinn sind wir mitunter so fremdgesteuert, dass diese Fragen komplett in den Hintergrund treten. Was bleibt, ist häufig ein diffuses Gefühl der Unzufriedenheit. Denn es gibt sie ja noch, diese leise innere Stimme, die uns sagt: Da muss aber noch was kommen. Das kann es jetzt nicht gewesen sein.

Angefacht wird dieser Gedanke auch durch die allgegenwärtigen sozialen Vergleiche. Jede von uns hat sicherlich Freunde oder Bekannte, die weiterhin auf dem Karrieretrack sind oder weiterhin durch die Welt tingeln und einem vor Augen führen, was man selbst aufgegeben oder zumindest „on hold“ gesetzt hat. Nebenbei bemerkt, hier tappen wir immer wieder schön in dieselbe Falle: wir vergleichen unsere innere Realität mit den äußeren Highlights der anderen. Und natürlich stimmt uns das unzufrieden.

Die einzige Möglichkeit, sich gedanklich davon frei zu machen ist, unsere eigene innere Realität immer wieder zu reflektieren und selbst zu gestalten. Doch dafür braucht es zunächst persönliche Antworten auf ganz richtungsweisende Fragen, wie:

  • Was ist mir wirklich wichtig in meiner aktuellen Lebensphase?
  • Welche Werte vertrete ich?
  • Wo liegen meine Ressourcen und Potenziale?
  • Welchen Beitrag möchte ich in meinem direkten Umfeld und in der Welt leisten?
  • Welche Gestaltungsspielräume kann ich mir ganz konkret eröffnen?

Es geht also darum, wieder in einen inneren Dialog mit uns selbst zu kommen und zu spüren, wo unsere Bedürfnisse liegen und was uns mit Sinn (Purpose) erfüllt. So wird unser persönlicher Purpose zum inneren Kompass, der uns dabei hilft, unser Leben passend zu gestalten.

Und hier können wir mit ganz kleinen Dingen anfangen, die unseren Alltag bereichern und uns wieder selbstbestimmter leben lassen. Bei mir war es beispielsweise die Wiederentdeckung meiner Leidenschaft aus Kindertagen, dem Malen. Um dieses Hobby wieder in meinen Alltag zu integrieren, habe ich mir vor einigen Jahren einen Malkurs gesucht, den ich an meinen arbeitsfreien Freitagen besuchen kann.

So verbringe ich meine kostbare freie Zeit ganz bewusst nicht nur mit den notwendigen Haushaltserledigungen, sondern widme auch 2 Stunden ganz mir selbst. Das ist für mich zu einer großen Energiequelle geworden und trägt wesentlich zu meiner inneren Balance bei, die mir dabei hilft, mein Leben selbstbestimmter und sinnorientierter zu gestalten.

Ein guter Startpunkt sich mit den eigenen Bedürfnissen und seinem Sinnerleben auseinanderzusetzen ist es, erst einmal den persönlichen Standort zu bestimmen. In meinen Coaching Prozessen nutze ich dafür gern den „Soundcheck meines Lebens“, weil er über die kognitive Ebene hinausgeht und uns einlädt, unseren Gefühlen Raum zu geben:

Im ersten Schritt geht es darum, überhaupt erst einmal die 5-6 Lebensbereiche zu identifizieren, die dir am wichtigsten sind und deine Lebenszufriedenheit beeinflussen. Das können Bereiche wie Familie, soziale Kontakte, Karriere, Finanzen, Gesundheit, etc. sein.

Markiere für jeden der definierten Lebensbereiche deine aktuelle Zufriedenheit auf einer Skala zwischen 1 und 10. Das sind deine „Soundregler“. Gehe dabei möglichst intuitiv vor, also gar nicht lange nachdenken. Um noch ein Stück tiefer ins Gefühl zu kommen, verbinde jetzt die einzelnen Skalenpunkte zu einer dynamischen Linie, schließe die Augen und höre in dich hinein. Wie klingt der Sound deines aktuellen Lebens? Vielleicht nimmst du eine konkrete Melodie wahr, vielleicht auch nur Lautstärke-Variationen oder harmonische und disharmonische Töne. Alles ist erlaubt. Es geht darum, ein erstes Gefühl davon zu bekommen, wie stimmig sich dein aktueller „Lebenssound“ anhört.

Im nächsten Schritt definierst du den Idealzustand deiner einzelnen Lebensbereiche. Also markiere, wieder ganz intuitiv, wo du liegen möchtest. In meinen Coachings erlebe ich dabei immer wieder einen allgemeinen Optimierungsdrang, d.h. alle Lebensbereiche werden nach oben reguliert.

Nun versetze dich aber tatsächlich einmal in die Lage eines DJs. Würdest du dann alle Soundregler gleichzeitig nach oben drehen? Wohl kaum. Denn eine gute Melodie entsteht aus Dynamik. Übertragen auf uns heißt das: Es ist nicht realistisch in allen Lebensbereichen eine Schüppe drauf zu legen, das übersteigt unsere Kapazitätsgrenzen. Also kann es nur darum gehen, Prioritäten zu setzen: Welche Lebensbereiche liegen dir aktuell besonders am Herzen und in welchen Bereichen bist du im Gegenzug gewillt zurückzuschrauben? Ich spreche hier bewusst von aktuell, denn es handelt sich immer um eine Lebensphasenbetrachtung, die sich naturgemäß verändert. Und gerade diese Dynamik ermöglicht es uns ja, uns weiterzuentwickeln.

Versuche jetzt, dich in den neuen Sound deines Lebens einzufühlen. Was hat sich verändert? Wie sieht die neue Soundkurve insgesamt aus, ist genügend Dynamik im Spiel? Interessant ist es auch, die beiden Soundkurven zu vergleichen: Wo kommt deine aktuelle Lebenssituation deinem Ideal schon sehr nahe? Also was sind, anders ausgedrückt, auch die Ressourcen, die dir zur Verfügung stehen? Wo liegen die größten Diskrepanzen? Was kannst du ganz konkret tun, um diese Diskrepanzen Schritt für Schritt zu schließen? Das sind die ersten Aktivitäten, mit denen du dir sofort neuen Gestaltungsspielraum in deinem Alltag schaffen kannst. Gleichzeitig richtest du so deinen Fokus auf das, was im tiefergehenden Purpose-Prozess entdeckt werden will.

Kommen wir noch einmal zurück auf die eingangs beschriebene Situation. Die „Work-Life-Challenge“ wird natürlich nicht weg gehen. Aber wir können ihr selbstbestimmter begegnen und dadurch eine höhere Lebensqualität erreichen, denn ich bin überzeugt: Wir sind nur dann wirklich glücklich und erfolgreich, wenn wir in der Mitte unserer Ressourcen und Werte stehen.

Johanna Finke ist Psychologin, Personalentwicklerin (Dax-30) und freiberuflicher Career & Life / Purpose Coach. On- und offline begleitet sie ihre Kunden in ihren persönlichen und beruflichen Veränderungsprozessen. Johanna lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Düsseldorf. Mehr Infos auf www.johannafinke.com.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert