Die Weihnachtszeit im letzten Jahr war für Kathrin kaum auszuhalten. Sie gehörte zu den Menschen, die Weihnachten lieben. Die Lichter, das Aufwärmen nach dem Frieren, der dicke Pulli, der alles so gemütlich macht. Die Familie…
Ja, die Familie. Die macht es grad so schwer. Denn einer fehlt. Kathrin war noch recht frisch mit ihrem zweiten Kind schwanger, als eine Kollegin ihres Mannes sie anruft. Er habe einen epileptischen Anfall gehabt. Auf der Arbeit. Er sei jetzt in der Klinik. Kathrin fährt sofort hin.
Ihr Mann kommt zu Bewusstsein als sie an seinem Bett steht, er redet unzusammenhängende Sätze. „Das hat mir dann wirklich Angst gemacht“, sagt sie. In seinem Kopf wurde etwas entdeckt, das da nicht hingehört. Bitte nicht! Es muss kein Krebs sein, aber wir müssen ihn operieren…
Acht Tage später liegt er im OP. Ihre große Liebe. Der Papa ihrer Kinder. Der Plan war doch ein anderer gewesen! Kathrin sorgt sich, ihr Baby vor lauter Sorge um ihren Mann zu verlieren. Ihr Wunschkind. Sie hatte schon einmal eine Fehlgeburt erlitten. Bitte nicht! Vielleicht würde sie nie wieder ein Kind von ihm bekommen können…
Würde sie das allein mit zwei Kindern hinbekommen, falls es doch Krebs sein sollte?
Es ist Krebs.
Ein unheilbarer Hirntumor. Ihr Mann braucht eine Chemotherapie und eine Bestrahlung. Als er davon erzählt, ist er zuversichtlich. Hey, es gibt Menschen, die damit noch 15 bis 20 Jahre gut gelebt haben. Nur 15 bis 20 Jahre? Kathrin reißt es den Boden unter den Füßen weg. Das war doch nicht der Plan!
Dann googelt sie. Und liest, dass diese Form des Tumors wohl eher anderes zu bedeuten hat. Sie liest von geringen Überlebenschancen, von einer Lebenserwartung von wenigen Monaten. Das darf doch alles nicht wahr sein. Bitte lass es ihn bis zur Geburt schaffen.
Als Kathrin und ihr Mann sich kennenlernen, liegt es vor allem an ihm, Überzeugungsarbeit zu leisten. Er, ein Kitesurfer, der das Leben liebt, sich wohlfühlt, wenn er unterwegs und auf Achse ist.
Irgendwann macht es auch bei Kathrin Klick und sie verlieben sich nicht nur, sie werden auch beste Freunde. Sie können sich alles erzählen. Sie schwimmen auf einer Wellenlänge. Niemand muss sich für den anderen verstellen. Für Kathrin wird er zum Traummann.
Dann kommt ihr Sohn und der Papa kann gar nicht genug kriegen von ihm. Kommt jetzt endlich aus der Klinik nach Hause, sagt er nach der Geburt, ich will ihn um mich haben… er lässt kaum ab von dem Kleinen, so vernarrt ist er. Er trägt, schuckelt, kuschelt sein Söhnchen.
Die Elternzeit verbringen sie in Australien. Sieben Wochen gemeinsam im Camper. Sightseeing, Kitesurfen, Wind, Wellen, Windeln wechseln. Eine intensive Zeit! Wir haben unsere Zeit genutzt…
Kathrin wird wieder schwanger. Verliert das Kind. Doch es klappt nochmal. Sie haben gerade von dem Baby erfahren. Dann kommt die Diagnose, die alles verändert.
Er schafft es bis zur Geburt! Die Schwangerschaft war unauffällig gewesen, lief einfach nebenher. Kathrin weckt ihn, als die ersten Wehen kommen. Es ist 4 Uhr am Morgen. Um 5 Uhr nimmt er seine Chemotablette. Um 6 Uhr fahren sie gemeinsam in die Klinik. Er denkt sogar noch an Essen, denn ohne Essen schlägt ihm die Chemo auf den Magen.
Er ist da für sie. Ist Kathrin eine „Megastütze“. Er mischt sich nicht ein, aber seine Anwesenheit tut ihr gut. Sie bekommen ein kleines Mädchen. Hallo Papa, hallo Mama.
Sie ist 14 Monate alt, als sie „Tschüss, Papa“ sagen muss.
Kathrin stillt die Kleine noch, als sie für seine letzten zehn Tage zu ihm ins Hospiz zieht. Es ist Dezember, bald ist Heiligabend. Es ist kaum auszuhalten. Ihre Kleine braucht sie. Ihr Großer braucht sie. Die Großeltern geben alles, für sie da zu sein. Aber sie braucht diesen Abschied, braucht die letzte gemeinsame Zeit mit ihrem Mann. Am Ende ist es auch eine Erlösung.
Der Papa ist tot. Fünf Tage nach Weihnachten.
Das war nicht der Plan. Sechs wundervolle Jahre. Erinnerungen für immer.
Die Liebe bleibt.
Zwei Jahre ist das jetzt her. Die Weihnachtszeit ist immer noch furchtbar, aber sie kann sie aushalten. Kathrin versucht, alles mitzumachen – für die Kinder. Sie hat die Wohnung geschmückt, war sogar auf dem Weihnachtsmarkt.
Die letzten Monate waren schlimm. Zwei Monate hat sie mit den Kindern in einer psychosomatischen Klinik verbracht, weil sie irgendwann merkte, dass es so nicht weitergehen kann. Trauer ist anstrengend. Trauer erschöpft. Selbst das Weinen wurde ihr zu anstrengend. Darum hatte Kathrin sie viel zu oft weggeschoben. Vor sich hergekehrt. Sie fürchtete, sonst komplett zusammenzubrechen.
Mittlerweile weiß sie: Der Weg durch die Trauer führt nur mittendurch.
Ihr Sohn erzählt oft, dass sein Papa jetzt im Himmel wohnt. Er weint. Ist auch mal überfordert mit seinen Gefühlen, hat große Stimmungsschwankungen. Auch die Kleine weint ab und zu nach Papa. Sie reden viel über ihn. Oh, das hast du vom Papa, sagt Kathrin oft. Sie erzählt ihnen Geschichten von ihm, sie schauen sich Fotos von früher an.
Auch Kathrin hat sich verändert. Freundschaften haben sich gewandelt. Kathrin will nicht erklären müssen, warum sie noch immer trauert. Es strengt sie an, sich zu rechtfertigen.
Sie kann nicht folgen, wenn sich jemand über einen zu lauten Kühlschrank beschwert oder jemand sagt, er sei ja auch quasi alleinerziehend, weil der Mann ja viel arbeite. Ihre Sorgen sind einfach essentieller.
Früher fühlte sie sich innerlich so stark, da will sie gern wieder hin. Sie hat sogar wieder mit ein bisschen Sport angefangen. Alles in ihrem Tempo. Und es kamen ja auch neue Freunde hinzu. Liebe Menschen, die sie in der Klinik kennenlernte und die am Wochenende bei ihr vorbeikommen.
Außerdem hat die Familie ein neues Mitglied, ein rotes Kätzchen, das allen sooo guttut. Und das an Weihnachten natürlich nicht allein sein soll, weshalb sie zum ersten Mal den Heiligabend mit ihren Eltern bei ihr feiern. Mit vegetarischen Würstchen und Kartoffelsalat und ein paar Geschenken für die Kinder. Sie will sie einfach nur glücklich sehen, das wäre ihr größter Wunsch.
Und ganz vielleicht schafft sie es in diesen Tagen auch, das Video mal ganz zu schauen, dass sie ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes auf seinem Rechner im „Papierkorb“ fand. Ein Video, auf dem er Abschied nimmt von seiner Tochter, die ihn gar nicht richtig kennenlernen konnte.
Er hat sich also doch mit seinem Tod auseinandergesetzt. Mehr als das eine Mal, als sie über eine mögliche Beerdigung sprachen. Sein Wunsch war keine Erdbestattung gewesen. Und den konnten sie ihm erfüllen. Sie verabschiedeten ihn auf See. Bei Wind und Wasser, das waren schließlich seine Elemente.
Vom Video hat Kathrin bislang nur die ersten vier Minuten geschafft.
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Wenn ihr mehr über diese wunderbare Familie erfahren mögt, wir können euch ihren Instagramkanal fridolinundpippilotta sehr ans Herz legen.
1 comment
Alles Liebe
Liebe Kathrin, Deine Geschichte hat mich sehr bewegt. Es gehört sicherlich wahnsinnig viel Mut und fast übermenschliche Kraft dazu, nicht nur für Dich sondern auch Eure beiden Kleinen da zu sein. Die beiden sind sicher froh, eine so tolle und starke Mama zu haben. Von Herzen wünsche ich Dir/Euch eine friedliche Weihnachtszeit, dass Du liebe Menschen um Dich hast, Dich Dich tragen und dass Ihr auch mit einem Lächeln zu Deinem Mann und dem Papa hinaufschauen könnt. Auch wenn wir uns ja nicht kennen, das Kerzchen zu Weihnachten leuchtet auch für Euch. Alles Liebe!
Franzi