Mitarbeiterin im Jugendamt: Welchen Druck es bedeutet, Entscheiungen für Familien zu treffen

Mein Name ist Yasmin und ich wollte schon immer im Jugendamt arbeiten. Während meines Studiums der Sozialarbeit habe ich dort ein Praktikum gemacht und wusste: Das ist es. Das willst du machen! 

Warum? Ich hatte die Hoffnung, dort etwas bewegen zu können. Entscheiden zu können, verändern zu können. Tief in mir gab es auch den Wunsch, Kinder zu retten. Die Welt ein bisschen besser zu machen.

Nach ein paar Jahren im Jugendamt habe ich nun gelernt, dass dieser Job vor allem eins ist: eine permanente Herausforderung. Ich trage eine riesige Verantwortung, denn durch mein Handeln nimmt das Leben anderer Menschen manchmal eine Wende, die es ohne mich nicht gegeben hätte. Das kann gut oder schlecht sein.

Meine Arbeit ist oft ein Spannungsfeld aus völlig unterschiedlichen Interessen. Zum einen haben die Eltern Anspruch auf Hilfe zur Erziehung oder Beratung, zum anderen muss ich den Schutz von Minderjährigen sicherstellen – und auch gegen den Willen der Eltern und Kinder entscheiden. Diese Entscheidungen sind oft hart und setzen mich unter Druck. Druck, den ich alleine nicht verarbeiten könnte. Zum Glück habe ich fähige KollegInnen, die mich unterstützen und mit denen ich mich gut austauschen kann. 

Auf mir lasten viele Erwartungen. Die Mutter wünscht sich, dass ich auf ihrer Seite bin. Der Vater hofft auf meine Hilfe, weil er seine Kinder seit Monaten nicht mehr gesehen hat. Dann gibt es die Kinder, die große Angst haben, ins Heim zu müssen und denen die Eltern erzählt haben, dass ich sie nur abhole, weil sie nicht lieb waren. Jeden Tag erlebe ich eine Fülle von Emotionen, die ich auch erstmal verarbeiten muss. Eins ist mir aber auch wichtig: Es gibt in meinem Job auch viele sehr schöne Emotionen. 

Denn oft sind die Menschen, mit denen ich arbeite dankbar und sehen mich als Bereicherung. Wenn wir zusammen Lösungen finden ist das wunderbar. Manchmal ist es aber auch ganz anders. Dann sage ich den Familien: „Nun haben Sie das Jugendamt im Haus und ich weiß, dass sie das nicht wollen. Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie Sie mich schnell wieder loswerden.“

Denn darauf läuft alles hinaus – ich kann keine Kinder retten ohne die Eltern. Wenn es allerdings zur Unterbringung kommt, gibt es oft kein Happy End mehr. Wenn das Sorgerecht auf nur ein Elternteil übertragen und der andere Elternteil vom Umgang ausgeschlossen wird, entsteht Leid.

Ich habe in den letzten Jahren oft erlebt, dass Kinder – ganz egal, was ihnen angetan wurde – immer bei beiden Eltern sein wollen. Für mich ist das manchmal nur schwer zu ertragen, aber deshalb tue ich bis zu einem bestimmten Punkt alles dafür, mit den Eltern zusammenzuarbeiten. Manche Eltern aber machen nicht mit, sie streiten weiter bis aufs Übelste, sie sind weiter nicht in der Lage, den Kindern ein angemessenes Zuhause zu bieten und jeder Versuch, es gemeinsam zu erarbeiten, scheitert. 

Ich erinnere mich an jeden Fall.

An jedes einzelne Kind.

Ich erinnere mich an den kurz vor Weihnachten geborenen kleinen Jungen, dessen Mutter eine leichte geistige Behinderung und einen gewalttätigen Vater hatte. Ich konnte das Baby bei der Tante unterbringen, es war eine Nacht und Nebel-Aktion und ich kannte die Tante nicht. Ich musste mich auf mein Bauchgefühl verlassen und sehr spontan eine Entscheidung treffen.

Anschließend unterstützten wir die Mutter bei der Trennung vom Kindsvater, sie zog in ein Wohnheim für Menschen mit Behinderungen – nicht weit von der Tante entfernt. So konnte sie ihren Sohn immer besuchen, musste die Verantwortung aber nicht allein übernehmen. Dem Vater wurde das Sorgerecht entzogen und der Umgang verwehrt. Es war unglaublich emotional und auch angsteinflössend, denn der Mann bedrohte auch uns.

Heute, vier Jahre später, ist es immer noch ganz offensichtlich die richtige Entscheidung für alle Beteiligten gewesen. Tatsächlich so etwas wie ein Happy End – trotz Trennung von Mutter und Kind.

Ich erinnere mich aber auch an die alleinerziehende Mutter, die es drei Jahre lang geschafft hat, ihre Alkoholsucht und  körperliche und emotionale Gewalt an den beiden Kindern trotz ständiger Familienhelferin vor mir zu verheimlichen. An das Gefühl, versagt zu haben, als sich der Verdacht schließlich doch bestätigte. An die für immer schwer gestörten und geschädigten Kinder, für deren Geschichte ich mich wohl immer ein Stück mitverantwortlich fühlen werde.

Das, was ich so sehr an meiner Arbeit liebe, nämlich den unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Geschichten so nahe zu kommen, ist gleichzeitig auch das anstrengende. Auch auf meiner Seite entsteht Frust über Menschen, die sich nicht verändern. Nicht bereit sind, ihr Handeln zu hinterfragen.

Genau so ist es auch auf der Gegenseite. Einige Menschen fühlen sich machtlos gegenüber dem Jugendamt und unverstanden. Oft ist es wohl auch leichter, die Schuld auf uns zu übertragen, als sich selbst in die Verantwortung zu nehmen. Man liest von all den schrecklichen Dingen, die das Jugendamt tut. Entweder machen wir nichts und Kinder sterben obwohl wir von Missständen wussten oder wir nehmen völlig grundlos Kinder in Obhut, so die Vorurteile.

Und so liest man in der Öffentlichkeit quasi nie von der guten Arbeit, die wir machen. Von der Nähe, die entsteht und der Verbesserung, die erzielt wird. Von den MitarbeiterInnen, die täglich ihr Bestes zu geben, um Wege zu finden, damit Familien wieder besser funktionieren können.

 


5 comments

  1. Meiner Auffassung nach gehören 90 Prozent der Jugendamtsmitarbeiter einfach abgeschafft. Es ist ganz einfach: Kinder brauchen BEIDE Eltern. Nicht Tausende Jugendamtsmitarbeiter, Gutachter Verfahrensbeistände, Psychologen, Richterinnen. Das Problem ist das aus den 1950 er Jahren stammende Familienrecht in Deutschland nach dem Motto „Mama betreut und Papa zahlt“. Das ist nicht mehr zeitgemäß und in der Regel zutiefst Väter verachtend (in immer mehr Fällen aber auch Mütter verachtend). Ganz Westeuropa hat ein modernes Familienrecht mit dem Leitbild der Doppelresidenz (Wechselmodell), ein zeitgemäßes Unterhalts – und Melderecht. Nur Deutschland nicht. Ob es daran liegt, dass die Juristen prächtig am Leid der Kinder und der Familien finanziell profitieren? Was meint ihr? 😉

    1. Das stimmt das Kinder beide Eltern brauchen . Aber nicht immer sind beide Eltern gut für die Kinder. Viele Männer (sorry es sind überwiegend Männer) sind manipulativ gewalttätig und narzisstisch . Das Wechselmodell funktioniert nur wenn sich beide Eltern gut verstehen und das ist leider nach einer Trennung nicht oft der Fall . Meine Tochter hat im Wechselmodell gelebt für sie war es gut bis sie 13 wurde aber ich hab mich auch gut mit ihrem Vater verstanden und wir leben im gleichen Dorf. Mit 13 hat sie beschlosse ganz zu mir zu ziehen . Die Entscheidung hat sie alleine getroffen.Ach ja seit dem redet ihr Vater kein Wort mehr mit ihr . Sehr erwachsen . Ich kenne aber auch Kinder die in einem erzwungenen Wechselmodell leben und es hassen. Die beste Freundin meiner Tochter hat es vorgezogen in ein Internat zu gehen bevor sie weiter wechseln muss

  2. Danke
    Liebe Lisa, liebe Katharina,
    danke, dass ihr diesem Thema Raum gegeben habt.
    Liebe Yasmin,
    ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und Freude bei deiner Arbeit und ein gutes kollegiales Miteinander in deinem Team. Ich habe selber eine Zeit im ASD gearbeitet, bin nach der Elternzeit nun aber Fachberatung für Kindertagespflege, da lassen sich Familie und Beruf für mich besser vereinbaren!
    Viele Grüße Maria

  3. Tolle und wichtige Arbeit!
    Liebe Yasmin, danke, dass du so einstehst für deine Arbeit! Eine wichtige, aber so schwere Arbeit. Ich arbeite auch in der Jugendhilfe und ziehe den Hut, vor euch Mitarbeiterinnen im ASD, wirklich. Ein Drahtseilakt. Aber dass du mit Verantwortung und Empathie bei der Sache zu sein scheinst, ist ein ganz wichtiger Schlüssel. Liebe Grüße, Sarah

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