Lieb, aber überfordert vom Alltag: Mein Sohn ist ein kleiner Schluffi – Gastbeitrag von Elly

Meine Tochter hatte schon immer viele Ideen und war wahnsinnig gut organisiert. Schon mit drei Jahren beschloss sie, das sie „jetzt in Urlaub“ fährt und packte ihr Köfferchen. Allein. Sie vergaß nicht einmal die Sonnencreme. Ihr kleiner Bruder sind da anders.

Und ja, immer, wenn ich mal wieder befürchte, in der Erziehung komplett versagt zu haben, denk ich an die Große und merke: hm, alles kann ich nicht falsch gemacht haben. Vielleicht liegt es also einfach an den unterschiedlichen Charakteren unserer Kinder?

Der kleine Bruder, der so klein gar nicht mehr ist und längst in die Schule geht, lebt in seiner eigenen kleinen Welt. Er hat nicht im Blick, was um ihn herum geschieht. Doch, aber eben anders. Da backt sich die Tochter Brownies und stellt den allerletzten extra in den Nebenraum, damit ihn ihr niemand weg isst und als sie aus der Schule kommt, ist das Stückchen weg und der kleine Bruder hat Krümel um den Mund. „Wer sagt denn, dass ich das war?!“

Wir haben ihm Hundert Mal gesagt, er darf nicht an die Sachen der großen Schwester gehen. Ich weiß nicht, ob es ihm in diesem Moment egal ist oder ob er es extra macht, um an Aufmerksamkeit zu kommen. Dazu kommt diese Alltagsuntauglichkeit, die das Familienleben für uns so unheimlich anstrengend macht.

Morgens zieht er sich nicht nach dem Aufstehen an, sondern kommt im Schlafanzug runter. Oft wartet er mit dem Anziehen so lang, dass am Ende alle in Stress ausbrechen, weil er es nicht schafft, nochmal hochzulaufen. Oder weil er seine Sachen nicht findet… Warum findet er sie nicht? Weil er sie immer genau dort liegen lässt, wo er sie auszieht. Auf dem Sofa, im Bad, im Grunde in allen Teilen des Hauses.

Stress kann er aber nunmal gar nicht leiden, wenn es dann also morgens hektisch wird, beginnt er zu wüten und zu heulen.

Er kann stundenlang mit Playmobil spielen, er malt tolle Bilder, kann sich ganz in seine Welt der Hörspiele verlieren. Aber der Alltag schmeckt ihm nicht. Manchmal bringt ihn schon die bloße Aufforderung, die Hausaufgaben zu machen, zur Weißglut. Dann tritt er Sachen durch die Gegend, wirft alle Hefte und das Mäppchen aus dem Schulranzen. Ich mein, ich kann ihn ja nicht einfach von der Schule abmelden!

Manchmal sage ich ihm, wenn es für Ballfangen und Zeichnen Noten gäbe, dann wäre er ein Einserschüler. Aber das Schulsystem hat irgendwie keinen Platz für diese Kinder. Oder doch und wir haben nur die falsche gewählt?

Noch ein Beispiel von heute Morgen: Ich sage, denk an dein Schwimmzeug. Und hier, nimm die Butterbrotdose und pack sie in den Ranzen. Doch nach dem Verstauen der Dose ist an Schwimmzeug aber nicht mehr zu denken. Ich bin sein Gehirn, denk ich manchmal. Er hat es einfach ausgealgert. Oder vertraut er so sehr auf uns, dass er es einfach nicht anschaltet? Kein Witz, er ist auch schon mal ohne Schulranzen aus der Tür gegangen.

Und wenn er von der Schule wiederkommt, wirft er seine Jacke auf den Boden vor die Garderobe. JEDEN verdammten Tag. Jeden Tag erkläre ich aufs Neue, dass die Jacke an die Garderobe gehört. Oder Zähneputzen: JEDEN Morgen und JEDEN Abend müssen wir ihn daran erinnern, es wird einfach nicht zur Routine trotz jahrelanger Übung. Das macht auf Dauer doch einfach mürbe…

Vielleicht fällt uns das so auf, weil die große Schwester so anders ist. Die ist so gut organisiert, dass sie sogar uns Eltern oft an Dinge erinnert. Sie hat Spaß dran, ihr Zimmer aufzuräumen, ihre Wäsche zu falten, alles an Ort und Stelle zu haben, um einen Überblick zu haben. Wahnsinn, wie unterschiedlich Kinder sein können!

Vielleicht habt ihr ja eine Idee, an was es liegen könnte. Oder habt ein ähnliches Schluffi-Kind, das am zufriedensten ist, wenn niemand Anforderungen stellt und wenn es einfach in den Tag hineinleben kann? Ohne Druck und Stress. Einfach nur im Moment. Und das dann aber eben auch merkt, wenn es mal wieder alles durcheinander gebracht hat und sich ankuschelt und entschuldigt und uns von seiner großen Liebe für uns „für immer“ erzählt…

Ein Schluffi-Kind zum In-den-Arm-nehmen. Eins, den der stressige Alltag aus Druck und Terminen und Aufgaben aber einfach überfordert.

 

Foto: pixabay


9 comments

  1. Irgendwie…
    …tut mir dein Kind leid. Vielleicht kommt das im Text falsch rüber, aber es liest sich so, als wäre er der „Buhmann“ der Familie. Die große Schwester ist das schillernde Disziplin-Beispiel, er ist der „Schluffi“.

    Da finde ich schon die Wortwahl herabsetzend. Genauso wie die Formulierung, wenn es morgens stressig wird, fange er an zu „heulen“. Das klingt so abwertend. Könnte man nicht sagen, er weint? Aus Überforderung.

    Menschen sind eben verschieden. Und ihr scheint bestimmte Dinge an Kindern toll zu finden, wenn ihr schwärmt, wie diszipliniert eure Große Kofferpacken spielte. Also mich persönlich würde dieses Spiel nicht mehr begeistern als jedes andere Kinderspiel. Disziplin, gute Organisation und eine gewisse „Zackigkeit“ und Aufgewecktheit scheinen in eurer Familie ja hohe Werte zu sein.

    Ich finde Trödeln und Dinge vergessen in diesem Alter ganz normal. Wie alt ist dein Sohn, sechs, sieben? Welches Kind denkt denn da selbstständig an Mütze und Handschuhe? Wohl eher die Minderheit. Und wie schon jemand anderes schrieb: Auch uns Erwachsenen passiert es gar nicht so selten, dass wir wichtige Dinge vergessen.

    Nicht zu vergessen: Kinder kooperieren immer, auch im negativen Sinn. Wenn ee oft genug gehört und gefühlt hat, dass ihr ihn als den trödeligen „Schluffi“ seht, erfüllt er genau diese Rolle auch irgendwann. Warum sollte er sich bemühen, sich zu ändern? An seine Schwester wird er in der Hinsicht eh nie heranreichen können. Selbst wenn er genau so ein Organisations-Ass würde, wäre es doch nichts besonderes, sondern nur der von ihr gesetzte Standard.

    Die Welt braucht nicht nur Macher, sondern auch Träumer. Ich wünsche ihm, dass seine Stärken mit der Zeit mehr von euch gesehen werden als seine vermeintlichen Defizite.

  2. Aus der Seele gesprochen
    …das könnte mein Sohn (4 einhalb) sein, soviele Ideen, so klug, so witzig und auch anstrengend aber so alltagsuntauglich und auch nicht weiter daran interessiert. Grundsätzlich finde ich es ja noch nicht mal schlimm, es ist nur tatsächlich oft so zermürbend und anstrengend.
    Wie so ein zerstreuter Professor aber in wild und fordernd 🙂 manchmal denk ich, er wär eben auch gut einfach in der Natur, im Dschungel oder sonstwo aufgehoben, dort würde es eben niemanden interessieren, ob er rechtzeitig die Klamotten anhat, die Zähne geputzt hat und sich von allem ablenken lässt – aber da es eben nicht so ist, bleibt es eben anstrengend. Zu ändern ist es aber sicher nicht, es gehört zum Wesen dazu!

  3. Total normal
    Sorry, aber ich verstehe das Problem gar nicht. Ein Kind das Spaß dran hat, sein Zimmer aufzuräumen? Faltet gerne Klamotten? Das ist super, aber sollte nicht der Maßstab sein. Bei mir setzt gleich der Impuls ein, was ich in der Erziehung alles falsch gemacht habe. Mein Kind räumt nämlich auch nicht freiwillig auf, lässt die Klamotten dort liegen, wo sie ausgezogen werden, wird von uns ans Zähneputzen erinnert. Das ist anstrengend, ja. Aber das ist doch nicht ungewöhnlich?! Und zum Thema Ranzen vergessen: wie oft stand ich im Supermarkt und hatte den Einkaufszettel und/oder die Tasche vergessen. Wie oft war ich auf dem Weg zur Straßenbahn und hatte meinen Geldbeutel zu Hause liegen lassen. Solche Sachen passieren.

  4. Kind ist ganz normal
    Herzlichen Glückwunsch,
    Dein Sohn ist ein ganz normales Kind. Alles richtig gemacht. Von der Sorte habe ich 3 Kinder zwischen 6 und 12 Jahren.
    Aber was ist mit Deiner Tochter los? Wahnsinn!
    Fazit: Sei glücklich über Deine überdurchschnittliche Tochter und denk bei Deinem Sohn daran, dass es völlig normal ist und die meisten Mütter gleich mehrere von der Sorte durchschleppen müssen. Ach und ein weiteres Gehirn brauch ich dann noch für meinen Mann…
    LG

  5. Hm, hab ich auch, aber doch irgendwie anders
    Ich habe 3 Kinder von 10,6 und 3 Jahren. Die Große ist ein Chaot durch und durch, keine Ordnung im Zimmer, bei ihr bleibt alles liegen, Hausaufgaben werden auf den letzten Drücker gemacht usw.

    Die Mittlere ist auch so verträumt in ihrem Handeln verliert sich in ihre Hörbücher, spielt gedankenversunken, malt und bastelt gern und ist mega kuschelig, wenn es ihr mal zwischendurch in den Sinn kommt. Auch sie muss man antreiben zum anziehen, egal wann sie aufsteht, es wird immer knapp und dadurch stressig für alle.

    Die Kleine kommt eher nach der Mittleren. Allerdings weigert Madam sich auch wenn man sie anziehen möchte. Sie hat da ihren ganz eigenen Willen und der kann meeeega stark und anstrengend sein.

    Du siehst, du bist nicht allein ;).

  6. Meine Kleine Schluffimaus
    Ich habe hier auch so ein Kind. Der große Bruder ist organisiert und strukturiert. Meine Tochter das absolute Gegenteil. Sie ist genauso, wie es in dem Artikel beschrieben ist. Obwohl sie ein Schulkind ist, muss man sie an wirklich alles erinnern. Aber ich rege mich darüber gar nicht mehr auf. Sie entschleunigt ihr Leben und dadurch auch meines, auch wenn es manchmal unpassend ist. Sie kann sich dafür stundenlang ins Malen, Spielen oder Musizieren verlieren. Ist dann ganz bei sich. Das finde ich ganz faszinierend 🙂

  7. Ich war ebenso ein Kind. Und
    Ich war ebenso ein Kind. Und aus mir ist auch was geworden. Nix dolles, aber immerhin. ABI geschafft, Studium geschafft… Geht alles irgendwie, auch wenn man grundverpeilt ist. So eine Alttagsdisziplin fällt mir aber auch als Erwachsene immer noch schwerer als meinen Mitmenschen. Ganz mühsamer Lernprozess.

    Habe jetzt leider so ein kleines Mini-Me hier rumflitzen, das genauso ist. Und das geht inzwischen in die 7. Klasse und es wird immer schlimmer statt besser. Ich behaupte, dass das Mini-Me sogar noch um ein bis zwei Zacken schärfer ist, als ich. Fällt mir schwer, das zu akzeptieren, weil ich inzwischen darauf programmiert bin, dagegen anzukämpfen. Viel Streit und er ist inzwischen der Meinung, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Kriegt auch nur diese Rückmeldung. Ständig Eltergespräche in der Schule… Es ist ätzend. Und ich immer zwischen meiner und seiner Verpeiltheit gefangen.

  8. Arzt Besuch
    Hallo.
    Eventuell liegt es wirklich einfach daran, dass er auf dich vertraut.
    Eine Bekanntin hat bei ihrer Tochter einen ähnlichen Fall gehabt. Alles musste sie immer und immer wieder sagen..jeden Tag.
    Bis irgendwann der Arzt feststellte, dass das Kurzeitgedächnis von ihr, einfach nicht richtig funktioniert. Ja das gibt es wirklich. Habe ich vorher auch noch nie gehört Somit hat sie alles immer vergessen. Vielleicht ist das der Grund ?
    Meine Bekanntin geht mit ihr zum Logopäden und schreibt auch Zettel und verteilt sie in der Wohnung zb nach dem Aufstehen, Zähne Putzen oder Jacke aufhängen usw.
    Vielleicht konnte ich etwas helfen.
    Alles Gute noch

  9. Hier genau so
    Meine beiden sind genau, wie du es beschreibst. Zwar noch etwas jünger, aber hier zieht sich die 3 Jährige morgens alleine an, samt Strumpfhose. Der 5 Jährige vergisst immer wieder, was er machen wollte, macht den Aal (wälzt sich auf dem Boden rum), diskutiert und zetert. Solange, bis die kleine Schwester ihm hilft.
    Der Kindergartenrucksack bleibt liegen, ich muss jeden Schritt ansagen :jetzt die Jacke, dann die Mütze… Die kleine Schwester macht es alleine.
    Gleichzeitig ist er einer der kuscheligsten, empathischsten und freudigsten Kinder die ich kenne. Er küsst wild, kuschelt viel und sagt genau diese Dinge:mama, ich bleibe fpr immer bei dir.

    Ich versuche weniger zu vergleichen zwischen den Kindern. Jeder ist individuell. Dafür kann er andere Sachen toll. Gleichzeitig versuche ich ihn liebevoll zu erinnern.

    Bei uns hat ein Plan etwas geholfen, mit Bildern der einzelnen Arbeitsschritte morgens drauf (anziehen, zähne putzen, frühstücken…) dort darf er wenn ein punkt erledigt ist eine klammer dran machen, so sieht er wad noch ansteht (vielleicht bei deinem mit einer uhr dabei und der anzeige bis wann es erledigt sein muss?). Wenn er einen Tag ohne Probleme schafft bekommt er einen Stempel und dann irgendwann ein geschenk.
    So hat er eine klare Struktur. Und ich kann morgens auf den plan verweisen.

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