Interview mit Celsy: Kurz nach der Geburt meines Babys bekam ich die Krebsdiagnose

Liebe Celsy, Dein zweites Kind war wenige Wochen alt, als Du eine Krebsdiagnose erhalten hast. Dir ging es zuvor schon einige Zeit nicht besonders gut, aber recht lange hatte keiner eine Diagnose. Kannst Du mal erzählen, welche Anzeichen es gab und wer schließlich die Diagnose gestellt hat?

Alles begann mit bleiernder Müdigkeit und Kreislaufproblemen. Zunächst schoben wir es auf den niedrigen Hb, der bei der Entlassung nach dem Kaiserschnitt schon nur bei 9,0 lag. Im Laufe der Zeit kamen aber auch Magenkrämpfe, Durchfälle und Kurzatmigkeit über mehrere Wochen hinzu. Ich hörte auf zu essen, weil sich mir beim Anblick von Essen der Hals zuschnürte. Schließlich bekam ich regelmäßige Schmerzattacken, die sich vom Nacken über die Wirbelsäule bis ins Becken zogen. Der Schmerz saß wirklich in den Knochen und pulsierte mit meinem Herzschlag. Die Schmerzen waren so stark, dass ich während dieser Attacken bewegungsunfähig war. Kurz vor Ostern stellte ich fest, dass ein Lymphknoten am Hals deutlich geschwollen war. Aber wir schoben das auf die ewigen Erkältungen, die ich hatte. Als ich anfing, sogar mitten in Gesprächen einfach einzuschlafen, wussten wir, irgendwas muss passieren. Nach der Nachsorge beim Gynäkologen, ich war ja noch im Wochenbett, wurde ich zum Hausarzt geschickt. Die Blutwerte seien „irgendwie nicht in Ordnung“ und ich solle das weiter kontrollieren lassen. Mein Hausarzt sah die Blutwerte, hörte sich meine Probleme an und schickte mich ins Krankenhaus. Er war der erste, der etwas Schlimmeres als eine bloße Wochenbettproblematik vermutete. Bereits während der Schwangerschaft waren die Entzündungswerte und die Zahl der Leukozyten, die für unsere Immunabwehr gebraucht werden, erhöht. Als ich bei meinem Hausarzt saß, ging die Zahl geradezu durch die Decke.

Im Krankenhaus wurde ich direkt auf die Intensivstation verlegt, weil sämtliche Blutwerte völlig im Keller waren und man jederzeit mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand rechnete. Ich mein, habt ihr schon mal Tütchen mit Kalium nehmen müssen? Ich vorher auch nicht!

Nachdem das Krankenhaus in einem Zeitraum von 10 Tagen alle möglichen Differenzialdiagnosen ausgeschlossen hatte, folgten zwei Lymphknotenentnahmen. Mein Onkologe, zu dem ich bereits überwiesen wurde, teilte mir schließlich mit, dass ich Lymphdrüsenkrebs, genauer Morbus Hodgkin Stadium IV B, habe. Dies bedeutete, dass Lymphdrüsengewebe am Hals, im Nacken, unter den Armen, im Brustraum, im Oberbauch und teilweise in der Leiste von Tumoren befallen war. Außerdem war die Milz befallen und mein Knochenmark ebenso.

Wie ging es Dir in dem Moment der Diagnose? Und welche Prognosen haben die Ärzte gestellt?

Ganz ehrlich? ich hatte mit der Diagnose tatsächlich gerechnet. Dass Lymphdrüsenkrebs eine mögliche Option sein könnte, hatte man mir auf der Intensivstation schon gesagt. Als die Diagnostik trotz zahlreicher Tests kein Ergebnis brachte, wusste ich im Grunde schon, dass ich Krebs habe. Ich war einfach realistisch. Trotzdem war ich natürlich völlig am Boden, als mein Onkologe den Verdacht bestätigte. Ich hatte furchtbare Angst, dass ich meine Kinder nicht aufwachsen sehe und fragte zu allererst genau danach: „Werde ich meine Kinder aufwachsen sehen?“ Mein Onkologe gab keine Prognose, sagte aber, dass Lymphdrüsenkrebs sehr gut heilbar ist und dass er stark davon ausgeht, dass ich sogar noch meine Enkelkinder kennenlernen werde. Eine Info am Rande: Ein guter Onkologe gibt niemals eine fixe Prognose. Dafür ist der Behandlungsverlauf bei jedem Patienten viel zu individuell.

Wenn man sich aber an Fakten aufhalten will: Generell stehen die Chancen, Morbus Hodgkin zu überleben, bei circa 85%. Bei meiner schweren Diagnose spricht man von weniger als dem durchschnittlichen Satz, aber auch da stehen die Chancen in meinem Alter recht gut.

Du musstest durch einige Chemoblöcke. Was was für Dich das Schwerste in dieser Zeit?

Das Schwerste war, dass ich plötzlich so abhängig und wenig belastbar war. Mir fehlte die Kraft für alles, greifen, laufen, stehen. Ich konnte mich nicht alleine um die Kinder kümmern, konnte meine Tochter, die ja noch ein Säugling war, nicht einmal alleine tragen. Zu Beginn habe ich teilweise 12 von 24 Stunden geschlafen, teilweise sogar länger. Außerdem habe ich am Anfang der Chemotherapie kaum denken können. Gedanken begannen, verloren sich dann aber, bevor ich sie zu Ende gedacht hatte. Gespräche zu führen war zu Beginn kaum möglich. Für mich als Autorin war das der Alptraum. Außerdem hatte ich immer wieder, bedingt durch den Krebs und dann die Medikamente, schlimme, schlimme Schmerzen, die mich immer wieder in die Knie gezwungen haben.

Gab es Tage, an denen Du keine Hoffnung mehr hattest?

Ja, die gab es. Wenn die Schmerzen besonders schlimm waren, war ich durchaus hoffnungslos, dass das Ganze jemand enden würde. Aber wirklich kurz vor dem Aufgeben stand ich Anfang November, am Ende des dritten Chemozyklus. Die Blutwerte waren so schlecht, dass wir die Chemotherapie nicht fortsetzen konnten. Außerdem hatte ich schlimme Schmerzen und war am Ende mit meinen Kräften. Die Kombination aus den Schmerzen, der Schwäche und der Perspektivlosigkeit, wann die Chemotherapie schließlich fortgesetzt und beendet werden würde, nahm mir jeden Lebenswillen. An einem Wochenende Anfang November wollte ich tatsächlich einfach sterben.

Du hast zwei kleine Kinder – wie sind sie damit umgegangen, dass Du krank bist und inwieweit habt Ihr Ihnen von dem Krebs erzählt?

Erik war zu Beginn der Therapie fast 2 und Nova gerade einmal fünf Monate alt. Viel erzählen brauchten wir ihnen also nicht, das Verständnis für solche Dinge fehlt in dem Alter ja völlig. Alles, was Erik mitbekam, war, dass ich zu Anfang und zwischendurch im Krankenhaus war und dass ich ansonsten mit dem Taxi zum Arzt fahre. Das haben wir ihm auch erklärt, dass Mama krank ist, sich deshalb viel ausruhen muss und zwischendurch mit dem Taxi zum Arzt fährt, damit es ihr bald besser geht.

Man merkte schon, dass die Kinder gemerkt haben, dass es mir nicht gut ging. Zu besonders schlimmen Zeiten haben sie sich ruhiger verhalten als sonst. Gerade der Große schien an manchen Tagen besonders ruhig zu spielen, um mich nicht allzu stören. Während ich im Krankenhaus lag, hat er unter meiner Abwesenheit sehr gelitten, hat oft nach mir gefragt. Durch die Kita, den Rückhalt der Familie und vor allem durch die liebevolle Zuwendung durch meinen Mann haben die beiden Kids das aber ganz gut weggesteckt, glaube ich. Hoffe ich.

Was war Deine allergrößte Angst in dieser Zeit?

Meine allergrößte Angst war, dass ich sterbe und meine Kinder mich einfach vergessen. Einfach, weil sie noch so klein sind und ich ja nun weiß, dass sie sich an diese frühen Jahre nicht erinnern werden. Für mich war es die absolute Horrorvorstellung, dass ich den Krebs doch nicht besiege und meine Kinder mich nur noch von Fotos kennen würden. Dass sie wohlmöglich eine neue Frau meines Mannes (die ich ihm sehr gönnen würde, im Falle dessen) als Mutter verstehen würden, weil sie sich an mich einfach ja nicht mehr erinnern könnten.

Und was hat Dir Kraft gegeben?

Kraft gegeben haben mir diese ganz besonderen Menschen in meinem Leben, die ich durch diese Zeit aber auch ganz neu in Ehren halte. Allen voran natürlich mein Mann, der von der ersten Minute an alles mit mir durchgezogen hat und nicht eine Minute daran gedacht hat, mich im Stich zu lassen. Egal wie sehr ich gelitten, gekotzt und geschimpft habe, er war immer da und hat alles mit mir getragen. Außerdem meine Schwiegerfamilie, vor allem meine Schwiegermutter und meine Schwager und Schwägerinnen. Alle haben sich so, so, so sehr dafür eingesetzt, dass wir alles hatten, was wir brauchten, dass ich auch jetzt noch völlig überwältigt bin.
Außerhalb der Familie hat mir aber auch meine beste Freundin Lisa-Marie so, so, so viel Kraft gegeben, durchzuhalten. Was diese Frau sich den Allerwertesten für uns aufgerissen hat, ist unfassbar! Sie hat uns einfach mit so viel Liebe und praktischer Hilfe unterstützt. Ich liebe sie wirklich sehr dafür, dass sie mich auch in der dunkelsten Sekunde im Arm gehalten und festgehalten hat.

Dein Mann war die ganze Zeit an Deiner Seite. Was bedeutet Dir das?

Ich liebe meinen Mann nach dieser ganzen Sache mehr als ich es jemals gekonnt hätte. Das letzte Jahr war in unseren bald 13 gemeinsamen Jahren das härteste und er hat das einfach wunderbar gemeistert. Ich bin bis heute beeindruckt davon, wie er es geschafft hat, völlig selbstverständlich all das zu leisten, was ich nicht leisten konnte. Vor allem aber bin ich sehr berührt von dieser bedingungslosen Liebe, die er für mich hat. Selbst als ich von der Chemo gezeichnet, ohne Haare, Wimpern, Augenbrauen und total aufgequollen vor ihm stand, hat er mich nicht nur geliebt, sondern auch noch begehrt, WEIL er mich so liebt. Er hat das ganze mit so viel Fassung getragen und sich so sehr aufgeopfert, ohne auch nur eine Minute darüber zu klagen. Mein Mann ist mein Held, so kitschig es klingt.

Wie geht es Dir momentan? Wie geht es weiter? 

Momentan geht es mir gut. Seit Anfang Januar befinde ich mich offiziell in Remission, bin also krebsfrei. Als gesund gelte ich allerdings erst nach fünf Jahren ohne Rückfall. Momentan kämpfe ich noch mit Nebenwirkungen der Chemotherapie. Ich bin wenig(er) belastbar, habe immer wieder gemeine Schmerzen in den Knochen und Gelenken, phasenweise wird mir noch ein bisschen übel und ich habe immer wieder Probleme mit dem Magen. Aber insgesamt fühle ich mich gut, ich arbeite auch schon wieder als selbstständige Autorin und Texterin.

Im März machen wir erstmal ein paar Tage Urlaub. Anschließend muss ich im April zur ersten Nachsorgeuntersuchung, inklusive CT und Blutuntersuchungen. Diese Nachsorgetermine stehen jetzt erstmal alle drei Monate an, weil die Gefahr eines Rückfalls doch recht hoch ist, jedenfalls innerhalb der ersten zwei Jahre.
Ansonsten kümmere ich mich gerade um eine Psychotherapie sowie um Reha-Sport. Darüber hinaus versuchen wir, so normal wie möglich weiterzuleben. Ich engagiere mich ehrenamtlich politisch und verfolge verstärkt mein feministisches Engagement. Wir machen Ausflüge, kümmern uns um das Haus, das wir 2017 gekauft haben und jonglieren mit dem alltäglichen Wahnsinn.

Wenn Du etwas positives aus dem letzten Monaten ziehen willst – was wäre das?

Die Menschen, die mir wirklich wichtig sind, sind mir noch näher. Uns als Familie, auch im erweiterten Kreis der Schwiegerfamilie, hat das Ganze sehr zusammengeschweißt. Auch meine beste Freundin und ich sind uns näher als je zuvor.
Außerdem hat der Krebs meinem Mann und mir gezeigt, wie sehr wir doch gleichberechtigt leben und erziehen können, wenn wir uns nur trauen, alte Muster aufzubrechen. Durch die Notwendigkeit heraus, haben wir alle Bereiche unseres gemeinsamen Lebens wirklich gleichwertig verteilen können. Ich hätte mir gewünscht, dass wir dazu keine Chemotherapie gebraucht hätten, aber im Endeffekt hat uns das letzte Jahr beigebracht, uns gegenseitig wirklich in ALLEN Bereichen den Rücken freizuhalten. Natürlich gibt es immer noch Reibungspunkte und Rückfälle in alte Muster. Aber dadurch, dass wir beide so herausgefordert waren, loszulassen und/oder Verantwortung zu übernehmen, sind wir unserem gleichberechtigten Ideal näher als zuvor.

Wenn dieses Interview eine andere Mutter liest, die gerade in einer ähnlichen Situation ist – was willst Du ihr sagen? 

Ich bin kein Fan von diesen pauschalen Aussagen oder Szenarien. Gerade, wenn man als Elternteil schwer krank wird, ist es so individuell, was gerade hilfreich ist und was besser ungesagt bleibt. Nicht jeder gute Rat ist immer auf jeden anwendbar und gut Gemeintes kann schnell belastend werden. Allerdings kann ich allen nur dazu raten, sich Hilfe zu holen. Gerade in solch einer Ausnahmesituation ist es ok, nicht alles allein stemmen zu können. Ein Netzwerk, das einen auffängt, ist unbezahlbar!

Wer mehr über Celsy und ihr Leben erfahren möchte, kann ihr auf Instagram folgen: https://www.instagram.com/idealistin_mit_dickkopf/


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