Homeschooling-Tipps von der Expertin: So übersteht ihr die nächsten Wochen

Auf den Schultern von Eltern lastet eine gigantische Verantwortung: Homeoffice, um die Familie zu versorgen und Homeschooling, um die Kinder zu bilden. Sie fühlen sich zerrissen und haben das Gefühl, sie werden niemandem wirklich gerecht: dem Kind oder den Kindern nicht, dem Partner oder der Partnerin nicht, dem Job nicht und am wenigsten sich selbst.  Eltern fragen sich: Wie soll ich den Spagat zwischen Homeoffice und Homeschooling schaffen? Wie kann ich garantieren, dass mein Kind in der Schule den Anschluss nicht verliert? Wie können wir tägliche Konflikte, Reibereien und Diskussionen vermeiden und den Lockdown einigermaßen entspannt und schön erleben? Dazu möchte ich heute allen Eltern sagen:

Liebe Mama, lieber Papa,

ich weiß, es ist schwer. Und DU kannst schwere Sachen meistern. Im letzten Lockdown habe ich als Lehrerin und Lerncoach viele Familien begleitet und gemeinsam mit Eltern umsetzbare und einfache Strategien entwickelt, wie das Lernen Zuhause mit mehr Freude und Erfolg gelingen kann. In diesem Artikel möchte ich dir drei Überlebensstrategien fürs Homeschooling an die Hand geben. 

Falls du jetzt eine Zauberformel erwartest, muss ich dennoch enttäuschen. Patentrezepte gibt es meiner Meinung nach nicht, wenn wir Kinder ins Leben begleiten. Als Mama bist du Expertin für deine Familie und darfst selbst wissen, was sich für dich stimmig anfühlt und was nicht.

Eine Sache haben jedoch alle Eltern gleich gemacht, wenn sie einen entspannteren Lockdown-Alltag wollten: sie haben sich von Perfektionismus und allzu hohen Ansprüchen verabschiedet! Statt dem Umstand hinterher zu trauern, dass sie jetzt nicht so viel schaffen als sonst, übten sie sich in Dankbarkeit für das, was sie geschafft haben. Sie haben sich auf das fokussiert, was schon gut läuft und dadurch mehr Gutes in ihr Leben gezogen.

Denn wie sagte Francis Bacon so schön: „Nicht die Glücklichen sind dankbar. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“

1. Nimm den Druck raus

„Ich will aber nicht!“ „Du musst aber!“ – Wutanfälle, Tränen, Diskussionen. Was regen wir uns manchmal wegen der Schule auf, oder? Es stresst und, dass Kinder Hausaufgaben verweigern, dass sie in bestimmten Fächern, in bestimmten Situationen auf stur schalten oder dass an machen Tagen einfach gefühlt gar nichts geht. Viele Eltern spüren dann einen Zwiespalt: Auf der einen Seite wollen sie ihre Kinder nicht in ein System pressen. Sie wollen nicht, dass sie einfach nur „funktionieren“. Sie möchten die Bedürfnisse ihre Kinder respektieren und wünsche sich glückliche und starke Kinder. Gleichzeitig sollen sie eine fantastische Zukunft haben und ihnen sollen einmal alle Türen offen stehen. Deswegen ist vielen Eltern Schule auf der anderen Seite wiederum nicht völlig egal: Schule muss aber. Ein schlechtes Gewissen und schlechte Stimmung ziehen den Aufgabenmarathon ins schier Unendliche. Kommt dir das vielleicht bekannt vor?

Ich kenne das, wenn im Kopf die „Das-muss-das-muss-das-muss-jetzt-aber“-Maschine rattert. Als Lehrerin lehne ich mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und sage dir als Mama: Nichts muss! Gar nichts muss! Erst recht nicht zu jedem Preis!“ Vielleicht magst du mal überlegen, in welchen Situationen es dich besonders stresst, dass dein Kind Aufgaben nicht macht und dich dann fragen, wie wichtig diese eine Aufgabe in fünf Jahren ist? 

Lehrpläne bauen Wiederholungsschleifen ein. Das bedeutet, dass besonders wichtige Themen immer und immer wieder angesprochen werden. Versäumt es dein Kind jetzt eine bestimmte Fähigkeit zu erwerben, kann es das immer noch zu einem späteren Zeitpunkt tun. Wir Lehrkräfte können Wissenslücken auffüllen. Was sich nicht so einfach flicken lässt, sind gebrochene Herzen. Eine gesunde und stabile Beziehung zu den Eltern ist da Fundament von jedem Lernerfolg.

[Dennoch ist die Sorge vieler Eltern nicht ganz unberechtigt. Schließlich werde im Unterschied zum ersten Lockdown nun an vielen Schulen auch im Fernunterricht Noten gemacht. Manche Lehrkräfte erwarten, dass Aufgaben bis 15 Uhr zurückgeschickt werden. Passiert das nicht, werden Sechsen verteilt. Ich akzeptiere, dass auch Lehrkräfte ihren „Feierabend“ möchten, gleichzeitig kann ich jedes Elternteil nur ermutigen, sich ernsthaft zu fragen, ob sie sich diesen Rahmenbedingungen hingeben wollen. Und zu welchem Preis. Denn Druck und Angst vor schlechten Noten waren noch nie gute Lernbegleiter.]

2. Fokus auf das Positive

Der Volksmund sagt: „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus!“ Fragen wir unsere Kinder: Welche Aufgaben fehlen dir noch?, Was hat heute nicht geklappt bei der Videokonferenz?, Wo kommst du nicht weiter?, führen wir ihnen ihre Schwächen vor Augen. Stattdessen könnten wir mal ganz bewusst versuchen, den Fokus auf das Positive zu legen und fragen: Was hast du heute schon erledigt? Was läuft gut? Was war lustig in der Videokonferenz?

Die Kinder aktuell zu begleiten, kann wahnsinnig anstrengend sein. Dazu kommt, dass die meisten Kinder in der Schule bisher nicht gelernt haben, wie man selbstständig lernt, wie man sich selbst motiviert oder sich seine Zeit selbst einteilt. Egal, wie anstrengend dieser Zeit aktuell ist, sie ist gleichzeitig eine großartige Chance, genau diese Fähigkeiten zu lernen. 

Wenn in viele Haushalten die Drucker rattern, fühlt es sich bestimmt nicht nach „Bildung der Zukunft“ an. Gleichzeitig fördern wir gerade ganz wichtige Zukunftskompetenzen: die Fähigkeit, selbstständig lernen zu können und vor allem einen Leben lang selbstständig lernen zu wollen. Das bekommen wir als Eltern hin, indem wir unseren Kindern Erfolge vor Augen führen und gemeinsam mit ihnen machbare Ziele entwickeln. 

Ein Morgenritual könnte zum Beispiel so aussehen: Du fragst dein Kind: Was hast du gestern geschafft, worauf du heute stolz bist? Und fragst es dann: Was willst du heute schaffen, um heute Abend stolz und zufrieden ins Bett gehst? Was diese Frage mit Kuchen zu tun hat, erfährst du weiter unten / Spoiler: diese Frage hat etwas mit Kuchen zu tun.

3. To Dos greifbar machen für Kinder

Wie die Aufgaben in diesem Homeschooling-Distanzlern-Fernunterrichts-Ding gerade genau aussehen, das ist von Schule zu Schule und manchmal von Lehrkraft zu Lehrkraft unterschiedlich. Kein Wunder also, dass Kinder schnell den Überblick verlieren. Mit drei Fragen können Eltern ihre Kinder begleiten, sodass sie Klarheit und Struktur in den Tag bekommen: Was muss? Was kann? Bis wann?

Manche Familien arbeiten mit komplexen Familien-Planern. Jedes Familienmitglied hat eine Spalte an einem Whiteboard, auf einer Zettel-Übersicht an der Wand oder auf einem beschreibbaren Kühlschrank. Wichtige Aufgaben und Termine wie Videokonferenzen kommen dann zum Beispiel auf rote Post-it-Zettel. So sehen Kinder auch, wenn Eltern in wichtigen Gesprächen sind. Aufgaben, die anfallen, aber keine Deadline oder Priorität haben, kommen auf gelbe Zettel. Schöne Sache oder gemeinsame Pausen-Aktivitäten auf grüne Zettel.

Sobald eine Aufgabe erledigt wurde, darf sie abgerissen und in einen imaginären Basketball-Korb geworfen werden. Am Ende des Tages kann man sich dann gemeinsam freuen, was da alles drin liegt und was man alles geschafft hat. Auch das Führen von „Have Done“-Listen anstelle von „To-Do-Listen“ motiviert und hinterlässt am Ende des Tages ein gutes, zufriedenes Gefühl.

Im Lockdown hält mich vor allem Süßkram bei Laune! Deswegen habe ich diese Methode entwickelt: Das To-Do-Törtchen. Kinder können damit das Prinzip von „wichtig“ und „dringend“ einfach verstehen und veranschaulichen. Das Törtchen: Was ist die eine Aufgabe, die du heute erledigen willst, sodass du heute Abend zufrieden ins Bett gehst? Mit dieser Frage definieren wir den Tagesfokus. Das Törtchen alleine macht schon satt, Sahnehaube und Deko sind „nice to have“, jedoch brauchen wir sie nicht. Hat das Kind das „Törtchen“ erledigt, ist es satt. Das Tagesziel ist erreicht und es darf zufrieden sein. Genau dadurch bekommt es vielleicht Hunger und hat Lust auf die Sahnehaube, d.h. 2-3 weitere Aufgaben, die wichtig sind. Die Kirsche kann als „Highlight“ eine weitere Aufgabe sein oder etwas, das das Kind heute nur für sich tun möchte. 

Um im Homedurchdrehing nicht den Kopf zu verlieren, habe ich noch drei weitere Überlebensstrategien:

  • Gebt schönen Bewegungspausen eine genauso hohe Bedeutung wie Schulaufgaben: tanzt, spielt, lacht, schmust – je mehr wir in der Öffentlichkeit auf Distanz gehen, desto mehr dürfen wir Zuhause zusammenrücken, um emotional gesund zu bleiben. Und genau das ist die Grundlage fürs Lernen!
  • Macht den „Arbeitsplatz“ gemeinsam zu einem „Arbeitsparadies“! Wie? Alles, was ablenkt, verschwindet in einer Krimskrams-Kiste, Alphawellen, Lernmusik oder Baustellen-Kopfhörer schützen vor störenden Geräuschen von Geschwisterkindern und signalisieren „Ich lerne jetzt!“. Und vielleicht kann ein neuer Sitzplatz eine neue Perspektive auf das Lernen Zuhause bringen? Versucht’s doch einmal. Frage dein Kind, was es braucht und wie sein idealer Arbeitsplatz aussieht.
  • Dein Kind braucht keine Ersatz-Lehrkraft! Es braucht Dich! Eltern sind gerade in höheren Klassen schnell mit ihrem Latein am Ende und fluchen ganz schön, wenn sie sich auf einmal noch einmal in angewandte Mathematik hineinfuchsen sollen. Zur Vermittlung von Wissen gibt es großartige Lernapps oder Erklärvideos im Internet. Außerdem ist es wahnsinnig bequem für Kinder zu sagen: „Mama, ich versteh das nicht!“ und zu wissen, dass Mama kommt und die Aufgabenstellung erklärt. Was wäre, wenn Mama antwortet: „Okay. Was verstehst du denn schon? Aha. Was noch? Was noch?“ Das braucht zu Beginn Geduld, führt jedoch auf lange Sicht dazu, dass Kinder ihre Aufgaben eigenständig erledigen und ihr Selbstvertrauen stärken.

Liebe Eltern, ich hoffe, ich konnte Euch mit diesen Anregungen ein wenig Zuversicht schenken und Euch Druck nehmen. Ihr machst das gut genug. Euer Kind hat alles, was es braucht: EUCH. Rückblickend werden wir alle gestärkt aus diesem seltsamen und anstrengend Homeschooling-Distanzlern-Fernunterrichts-Ding hervorgehen, auch wenn wir jetzt noch nicht wissen, wofür es gut war….


Über die Autorin: Lisa Reinheimer ist Lehrerin und Gründerin von „klassenheld“. Sie zeigt Eltern Möglichkeiten auf, wie sie ihre Kinder erfolgreich durch die Schule bringen können. Sie kombiniert dabei Methoden aus dem Lerncoaching und der Persönlichkeitsentwicklung und macht die „Spielregeln“ des Spiels „Schule“ transparent. Arbeitserfahrung sammelte sie an verschiedenen Schulen in Deutschland, Hong Kong und Singapur. Ihr Podcast landete auf Platz #1 in der Kategorie „Kindererziehung“. Schüler und Eltern wählten sie 2019 zur „coolsten Lehrerin“. Ihren Homeschooling-Survival-Guide könnt Ihr Euch HIER runterladen.


1 comment

  1. Die Tipps sind gut aber aufwendig.
    Mit mehreren Kindern und parallel Homeoffice schwer umzusetzen.
    Schwer, dabei ständig die Nerven zu behalten und an all die tollen Tipps zu denken.

    Die Schulen drücken einfach den Stoff weiter durch. Wer da nicht mitzieht und keine Eltern hat, die um die Bildung der Kinder kreisen, bleibt auf der Strecke.

    Letztlich ist der Schul-Lockdown für wenige priviligierte Kinder eine Chance auf Selbstständigkeit und für den Rest der Schüler eine Riesen-Sauerei.

    Und ja, es geht anders. Siehe Frankreich.
    Deutschland macht Politik auf dem Rücken der Schüler.
    Seit mittlerweile über 10 Monaten.

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