Fünf Tage nach seiner Geburt mussten wir Tim für immer gehen lassen

Sternenkind

Das ist die Geschichte von unserem kleinen Kämpfer Tim. Ich möchte auch gerne unsere Geschichte erzählen, denn wir mussten lernen zu schwimmen – zu schwimmen zwischen Trauer und Glück.

Vor fünf Jahren war unsere Welt noch in Ordnung. Unsere Welt, das waren mein Mann, unsere bezaubernde Tochter und ich. Ich war wieder schwanger und wir freuten uns sehr auf unser zweites Kind.

Ich hatte eine wunderschöne Schwangerschaft, 41 Wochen lang konnte ich meinen Kleinen spüren. Ich wusste, es ging ihm gut. Alles war vorbereitet und wir warteten gespannt auf seine Ankunft.

Der Tag, der unser aller Leben für immer veränderte….

Der Tag seiner Geburt sollte ein besonderer Tag werden, der 29. Februar. Dass dieser eine Tag unser Leben für immer verändern sollte, wussten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. An diesem Tag entschied mein Frauenarzt, dass ich eingeleitet werde. Die Wehen setzten schnell und heftig ein, so dass ich meinen Mann anrief, dass er sich auf den Weg machen kann. Gemeinsam betraten wir den Kreißsaal, wo die Hebamme bereits auf uns wartete.

Die Wehen wurden immer stärker und ich hatte ein komisches Gefühl, das ich nicht deuten konnte. Ich sagte zu meinem Mann, dass ich das Gefühl hätte, wir sollten einen Kaiserschnitt machen, weil irgendetwas nicht stimmte. Die Hebamme redete mir jedoch gut zu, so dass wir uns nur für eine PDA entschieden. Und plötzlich ging es sehr schnell, die Geburt ging los.

Nach wenigen Presswehen war er da, aber im Kreißsaal blieb es still. Unser kleiner Kämpfer hat einfach nicht geatmet.

Auch ich kämpfte plötzlich um mein Leben

Sofort rief unser Frauenarzt den Kindernotdienst und orderte eine Ärztin hinzu. Die Ärzte taten alles, was in ihrer Macht stand, sie haben um unser Baby gekämpft. Während die Ärzte unser Söhnchen reanimierten und für den Transport in die nächste Kinderklinik vorbereiten, lag ich bereits im OP, denn dort kämpften die Ärzte um mein Leben.

Ich bin auf der Intensivstation aufgewacht, angeschlossen an alle möglichen Geräte – ohne zu wissen, wie es meinem Baby geht. Drei Tage ohne meinen Jungen vergingen, dann durfte ich ihn endlich sehen. Überall in seinem kleinen Körper steckten Schläuche und ständig schlug ein Alarm an.

Für uns begann eine schwere Zeit voller Höhen und Tiefen. Denn natürlich klammerten wir uns an jeden noch so kleinen Strohhalm, jede noch so winzige Verbesserung des Zustandes führte zu regelrecht euphorischen Glücksmomenten. Umso schlimmer war dann die Enttäuschung, die Wut, wenn sich sein Zustand verschlechterte und neue negative Befunde von den behandelnden Ärzten verkündet wurden. Wir waren plötzlich gezwungen, uns mit dem Tod auseinanderzusetzen. Mit dem möglichen Tod des eigenen Kindes, für das wir unser eigenes Leben gegeben hätten – nur, damit es gesund werden würde.

Unser Kind sollte gehen dürfen

Der schlimmste Tag war Tag 5 nach seiner Geburt. An diesem Tag teilten uns die Ärzte mit, dass es keine Hoffnung mehr für ihn gäbe. Die Gerät sollten abgeschaltet werden – unser Sohn, unser kleiner Kämpfer, sollte „selbst entscheiden“, ob er gehen oder bleiben würde. Drei Tage später wurden die Geräte abgeschaltet und unser Baby begann zu kämpfen.

Lieber Tim, Du wolltest nicht gehen und hast alles versucht, um bei uns zu bleiben. Die Ärzte haben so mit uns gelitten, weil du so unerbittlich weiterkämpftest. Du wolltest einfach nicht gehen und musst gespürt haben, was für eine Lücke du hinterlassen würdest. Acht Stunden haben wir mit dir gekämpft, gehofft, geweint und dir immer wieder gesagt, dass du gehen darfst… Du konntest nicht gehen, so lange wir bei dir waren sind. Die Ärzte haben dich dann auf deinem letzten Weg begleitet. Dann hast du es geschafft und konntest gehen. Wir haben dich dann das erste und einzige Mal gebadet. Haben dich hübsch gemacht für deine letzte Reise.

Alles, was bisher normal und lebenswert gewesen war, wurde in diesem Moment außer Kraft gesetzt. Unendliche Trauer mussten wir bewältigen, manchmal auch die schwerwiegende Schuldfrage. Eine eindeutige Antwort nach dem Warum gibt es leider bis heute nicht.

Ein Verlust, den man eigentlich nicht überwinden kann

Unser kleiner Kämpfer hat eine Lücke hinterlassen, die kaum wieder zu schließen ist. Wir blieben zurück und mussten etwas überwinden, das eigentlich nie zu überwinden ist. Doch genau 13 Monate nach Tims errechneten Geburtstermin, wurde seine kleine Schwester drei Wochen zu früh auf die Welt geholt. Und plötzlich bekam das Leben wieder einen neuen Sinn, eine neue Aufgabe.

Der Schmerz wurde dadurch nicht weniger, wir konnten nur etwas besser mit ihm leben. Und selbst das gelang uns nicht immer. Es gab Momente, in denen das Leid über den Verlust so groß war, dass wir das Gefühl hatten, keine Luft mehr zu bekommen.

Die Jahre sind vergangen, Jahre vollgepackt mit Erinnerungen und Erfahrungen. Trotzdem hatten wir so manches Mal das Gefühl, es wäre erst gestern gewesen, dass wir dich verloren haben. Und die Erinnerungen an dich sind sehr lebhaft und präsent, aber es kommen eben auch keine neuen dazu.

Und dann erfuhren wir abermals von einem unverhofften Wunder, ein kleiner Bruder kündigte sich an. Die Schwangerschaft war nicht einfach, aber dann war ein neues Baby da, das unserem Tim so ähnlich sah.

Seit fünf Monaten bestimmt nun auch er unseren Alltag. Manchmal führt das Glucksen dieses Babys zu einem schlechten Gewissen, dafür, einfach weitergemacht zu haben. Aber was bleibt uns auch anderes übrig? Die Welt hört nicht auf, sich zu drehen – auch nach einem Verlust nicht, auch nicht für uns.

Lieber Tim, Du warst der beste Schutzengel für unsere unverhofften Wunder. Wir sind dir so dankbar, dass du von da oben so gut auf uns aufpasst. Und ganz leise ist da die Hoffnung, dass da noch etwas kommt nach dem Tod. Dass eben nicht einfach alles vorbei ist. Dass du irgendwo auf uns wartest. Die Hoffnung, endlich die Frage nach dem „Warum“ beantwortet zu bekommen. Die Hoffnung, zu verstehen.


2 comments

  1. Danke für das Teilen eurer Geschichte. Ich bin zu tiefst gerührt und sehr betroffen. Ich wünsche euch Kraft und Liebe. All das und noch viel mehr hat eure Familie mehr als verdient. Der Verlust bleibt und ist durch nichts aufzuwiegen, aber ihr seid noch da und gebt nicht auf.

  2. Liebe Autorin,
    danke für das Teilen eurer Geschichte. Es ist so unermesslich traurig, tragisch, welch schwere Herausforderungen das Leben stellen kann. Das Leben in sll seinen Facetten ist so fragil und gleichzeitig gilt es, im Leben zu bleiben solange man auf dieser Erde weilt. Ich wünsche euch Kraft, Licht und Hoffnung, dass euer verwundetes Elternherz soweit wie nur möglich Heilung erfährt. Wir haben unsere eigene Geschichte, es tut so weh, wenn man als Eltern ein Kind verliert. Tröstete Grüße

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