Eins im Herzen, eins in der Hand: Wie wir nach dem Tod unseres Kindes weiterleben…

Liebe Stephanie, Dein Sohn Maximilian ist Mai 2015 mit vier Jahren an Leukämie gestorben. Kannst Du uns erzählen, wie und wann Ihr die Diagnose bekommen habt? 

Die Diagnose Leukämie kam im Februar 2015, nachdem Max den ganzen Winter über irgendwie schwächlich wirkte. Er war schlapp und antriebslos und hatte öfter mal kleine Infekte . Dazu war er furchtbar blaß und bereits Ende November/ Anfang Dezember 2014 hatte ich ein sehr unruhiges Gefühl im Bauch. Ich war mehrfach vorstellig beim Kinderarzt, der immer versuchte zu beschwichtigen. Max sei halt ein blasser Hauttyp, er sei im Wachstum, es wäre eben Winter und so weiter.

Die Adventszeit hindurch ging es Max eigentlich ganz gut und ich schaffte es zeitweise mir weniger Sorgen zu machen. Mittlerweile hatte ich eine Mutter-Kind-Kur für uns zwei beantragt und genehmigt bekommen. Zudem hatte ich  die Entscheidung getroffen, nicht mehr vollzeit zu arbeiten, um ein wenig mehr Luft und Zeit für mein Kind zu haben.

Am Freitag, den 13. Februar musste ich Max dann das erste mal mit 40 Fieber aus dem Kindergarten holen. 2 Tage darauf war er allerdings wieder fit. Kurz danach ging es meinem kleinen Schatz zusehend schlecht. Tagsüber war er schlapp, aß nichts und wollte nicht spielen. In den Nächten wurde ich vor lauter Sorge fast mit krank. Er stöhnte und weinte im Schlaf, hielt sich an mir fest und ich spürte genau, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Der Kinderarzt diagnostizierte eine beginnende Bronchitis, schrieb ein Antibiotikum auf und schickte uns nachhause. Nach einer weiteren Horrornacht fuhren mein Mann und ich mit Max ins Krankenhaus. Dort wurden alle möglichen Untersuchungen gemacht, bevor am nächsten Tag  – es war der 25.02.15 – eine Ärztin vor uns stand und uns sagte, sie müsse nocheinmal Blut abnehmen, da Max einen ungewöhnlich hohen Leukozytenwert hatte.

Ich bin selbst Krankenschwester – bereits in diesem Moment war mir alles klar. Ich musste das Zimmer verlassen und schleppte mich in das nahe gelegene Elternbad, wo ich heulend zusammenbrach . Da habe ich ersten Mal in meinem Leben gebetet und diesen Gott, an den ich nie geglaubt habe, angeschrien, dass er mir nicht mein Kind nehmen soll. Die junge Ärztin kehrte wenige Stunden später zurück. Sie holte meinen Mann und mich aus dem Zimmer und begann das Gespräch mit: "Es tut mir so leid. Ihr Sohn hat Leukämie "

Ich war in diesem Moment innerlich tot, drehte mich wortlos um und fing wie in Trance an Sachen zu packen. Zu Max sagte ich, dass wir gleich mit einem echten Krankenwagen mit Blaulicht fahren dürfen. Mein einziger Gedanke war nur noch, stark zu bleiben für meinen Sohn. Wir wurden dann von einem Intensiv -Transport abgeholt und in die medizinische Hochschule Hannover verlegt, wo die Diagnose gesichert und die Behandlung sofott angefangen wurde. Dieser Ort wurde für die nächsten 3 Monate unser Uuhause

Wie ging es weiter?

Es stellte sich heraus, dass Max eine sehr aggressive Form von Leukämie hatte. Ihm ging es von Anfang an schlecht unter der Therapie, sodass er nach kurzer Zeit schon nicht mehr laufen konnte. Aber nie hat er geklagt oder auch nur nach dem Warum gefragt. Er war einfach großartig und wir haben ihn nie auch nur eine Sekunde allein gelassen, egal was passierte.  Als klar war, dass wir einen Stammzellspender brauchen, organisieren wir eine große Typisierungsaktion. Ein passender Spender wurde dann letzendlich in Amerika gefunden . Letztendlich ist es leider nicht mehr dazu gekommen…

Wie war Euer Alltag im Krankenhaus?

Wir haben einfach aus allem das Beste gemacht. In unserem Krankenzimmer wurde immer gelacht, auch an schlechten Tagen. Wie hatten aber auch bei allem unglaublich viel Unterstützung durch das Team der Station 64a und den tollen Elternverein der mhh. An dieser Stelle ein dickes Danke an Euch. Ihr habt uns in so mancher dunklen Stunde beigestanden und unterstützt und dafür gesorgt, dass wir immer weitermachen. 

Doch Max ging es immer schlechter. 

Ja, am 12.05. bekamen wir gesagt, dass es keine Therapiemöglichkeit mehr gibt und Max die Krankheit nicht überleben wird. Das war es wohl die dunkelste Stunde, der schwerste Schlag in meinem bisherigen Leben. Das, was mein Mama Herz die ganze Zeit gespürt hat, wurde plötzlich Realität. Ich weiß bis heute nicht, wie wir es geschafft haben zurück in Max´ Zimmer zu gehen, einfach weiter zu funktionieren und darauf zu warten was passiert.

Max hat Euch dann eine wichtige Entscheidung abgenommen. 

Genau – in der Nacht zum 19.Mai weckte er mich und sagte "Mama ich will nicht mehr. Ich möchte nachhause". Noch in der Nacht fing ich an, unsere Sachen zu packen und am nächsten Tag wurden wir nachhause entlassen. Gemeinsam mit dem Brückenteam der Klinik und einem Kinderpalliativpflegedienst gingen wir nach 3 Monaten Klinik zurück nach Hause.

Dort erlebten wir gemeinsam 12 wunderschöne Tage. Max blühte nochmal richtig auf und hat jede Menge Besuch bekommen. Wir haben alles nochmal gemacht, woran er Spaß hatte und was ihm wichtig war: Seinen Kindergarten-Freund treffen, eine Eule streicheln, eine letzte Radtour (im Fahrradanhänger) und Eis essen in der Lieblingseisdiele, Rippchen grillen und jede Menge "Thomas die Lokomotive" Filme sehen. Wir haben versucht,  den Tagen so viel Leben wie nur möglich zu geben und unser kleiner Held hat mit seinem Lächeln im Gesicht dafür gesorgt, dass wir das geschafft haben.

Am Abend des 31.05.15 ist mein kleiner, großer, starker Max in Ruhe und Frieden für immer eingeschlafen. In den Armen von Mama und Papa mit der Geschichte von der kleinen Lokomotive im Ohr, deren Lokführer er nun selber war und mit dem Versprechen, dass er uns damit abholen darf wenn es soweit ist.

Kannst Du irgendwie beschreiben, woher Du die Kraft genommen hast, weiter zu machen nach Max´Tod?

Woher ich die Kraft genommen habe, weiß ich heute selbst nicht mehr. Die Zeit nach dem Tod meines Kindes erlebte ich wie in Trance. Ich war kaum ich selbst, habe nur funktioniert. Die Beerdigung haben wir so bunt und schnön wie möglich gestaltet, so wie Max sich eine Party im Sommer vorgestellt hätte. Es war ein schönes und gleichzeitg unendlich schmerzhaftes Abschiedsfest. Danach kam der große Einbruch. Nichts mehr zu tun, nicht mehr zu regeln. Es war keiner mehr da, der uns brauchte. Die Wohnung war so still, so leer. Max Zimmer sah noch genauso aus, wie er es ein paar Tage vor seinem Tod zum letzen Mal verlassen hatte. Es war unerträglich. Wir buchten einen Last minute Trip, packten einfach unsere Koffer und wollten für ein paar Tage raus.

Und dann passierte etwas, mit dem Du nicht gerechnet hattest. 

Nach einigen Wochen stellte mein Arzt bei einer Routine-Untersuchung fest, dass ich schwanger war. Meine Gefühle waren sehr gemischt: Angst und Schock, ein Stück weit schlechtes Gewissen, aber auch eine leise Vorfreude. Ich hatte auch plötzlich wieder das Gefühl, dass es noch Sinn hatte, weiterzuleben. Und ich spürte ganz viel Liebe. Für Max, der sich vor kurzem erst gewünscht hatte, ein großer Bruder zu werden -aber auch ganz viel Liebech für dieses kleine Würmchen in meinem Bauch, das sich einfach eingeschlichen hatte. Zu einem undenkbaren und für andere Menschen unmöglichen Zeitpunkt. Für mich allerdings war er genau zur richtigen Zeit. Dieser kleine Mensch hat mich gerettet, mein Leben, meine Seele und mein Herz – davon bin ich überzeugt. Es sollte einfach genau so sein wie es gekommen ist. Das sehe ich jeden Tag, wenn ich meinen kleinen Moritz in die Augen sehe und darin auch so viel von seinem großen Bruder erkennt. 

Und Moritz hat sich ja auch ein besonders Datum für seine Geburt ausgesucht!

Der kleine Bruder wollte pünktlich zum 5.Geburtstag von Max auf die Welt. Wir standen auf dem Friedhof und ließen gerade einen Heliumballon in Form von "Thomas, die Lokomotive" in den Himmel steigen. Wir hatten Max Geburtstagszug mit Kerzen auf seinem Stein aufgestellt – und in diesem Moment spürte ich die erste Wehe. 

Am nächsten Morgen war Moritz dann da. Und es ist eigentlich kaum zu beschreiben, was man in diesem Moment alles fühlt außer Liebe und Dankbarkeit. In gewisser Hinsicht lässt es die Sehnsucht nach Max noch größer werden. So gern hätten wir dieses erste Kennenlernen der Brüder erlebt – leider blieb es uns verwehrt.

Wie geht es Euch heute, drei Jahre nach Max´Tod? 

Das ist schwer zu beantworten. Es gibt gute und es gibt weniger gute Tage. Jeder von uns hat das alles auf eine andere Weise verarbeitet und jeder spürt die Folgen auf andere Art. In erster Linie sind wir eine "normale" Familie wie alle anderen. Wir haben Spaß am Leben und versuchen unser Kind so glücklich und zufrieden wie möglich aufwachsen zu lassen. Wir erzählen Moritz natürlich viel von seinem großen Bruder und er hat einen besonderen Bezug zu ihm. Wenn er möchte darf er mit auf den Friedhof – und er möchte jedes Mal. Moritz darf sich auch hin und wieder was aus den Kleidungs- oder Spielzeugkisten von Max aussuchen und fährt nun mit stolz sein heißgeliebtes Laufrad

Aber auch nach 3 Jahren sind da immer wieder Tage, an denen man denkt, den Verlust nicht bewältigen zu können. An denen man wartet, dass die Tür aufgeht und Max einfach hereinspaziert kommt. Besonders ich sitze oft Abende lang vor dem Pc, sehe mir Bilder und Videos an, weil ich Angst vorm Vergessen habe und Max so vermisse.

Das Vermissen und die Trauer über den Verlust wird nie weniger – aber man findet mit der Zeit einen Weg, es in seinem Leben zu integrieren. Und irgendwann schafft man es auch, wieder schöne Dinge in sein Leben zu lassen. 

Meine Kinder sind immer beide bei mir. Das eine im Herzen, das andere an der Hand. Wenn mich jemand fragt wieviele Kinder ich habe, werde ich immer mit "2 Jungs " antworten. Max war hier, er hat seine Spuren hinterlassen und mich zu einer Mama gemacht. Darum werde ich dafür sorgen, dass er nie vergessen wird und seinen Platz in unserer Familie behält.. Und das gelingt uns, denke ich, sehr gut.

 


4 comments

  1. Es hat mich tief berührt
    Als ich gerade die Zeilen las, musste ich weinen, da ich vor Kurzem (1 Woche) erst Mama eines zweiten Sohnes, Levi, wurde. Ich kann mir vermutlich nicht mal ansatzweise vorstellen, was Ihr durchgemacht habt aber ich glaube jede Mutter und jeder Vater kann den Schmerz erahnen, den der Verlust eines Kindes mit sich bringt. Ich wünsche Euch alles erdenklich Gute, ganz viel Kraft und Liebe!

  2. Ich musste weinen beim Lesen.
    Ich musste weinen beim Lesen. In diesen Zeilen steckt so viel Liebe, Stolz und Größe neben der Trauer. Auch ich wünsche der Familie alles nur erdenklichen Gute. Schön, dass Max in seinem leider zu kurzen Leben so eine tolle Familie hatte und sicher gespürt hat, dass er jeden einzelnen Tag davon geliebt wurde.


  3. Ich bin mehr als berührt von diesem Beitrag… Welche Kraft und Zuversicht, aber auch Trauer diese Zeilen hier zum Ausdruck gebracht werden ist einfach überwältigend…Ein großes *Wow* und *Hut ab*, an die Familie für ihre unaufhörliche Liebe in ihren Höhen und Tiefen…Ich wünsche von ganzem Herzen weiterhin alles erdenklich Gute! Es lebe die Liebe…

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