Eineinhalb Jahre Schulkind – ein erstes Fazit

Als wir – vor zweieinhalb Jahren – anfingen, uns mit dem Thema Schule zu beschäftigen, erlebte ich zufällig einen Schlüsselmoment. Ich war bei einer Freundin zu Besuch, ihre große Tocher war zu dem Zeitpunkt in der zweiten Klasse. Meine Freundin erzählte mir, dass ihre Tochter in den letzten Wochen vermehrt Bauchweh gehabt hätte – eigentlich immer dann, wenn sie morgens zur Schule gehen sollte. In Gesprächen hätten sie dann rausgefunden, dass der Kleinen irgendwie alles zu viel war. Oft hatte sie so viel Hausaufgaben, dass sie nach der Schule gar nicht mehr spielen konnte. Sie hatte zudem ein bisschen Probleme mit dem Lesen und fühlte sich deshalb als "Versager." 

Ich war damals noch absolut unbedarft was das Thema Schule anging. Meiner Vorstellung nach ging es in Grundschulen relativ locker zu. Klar sollen Kinder dort lesen, schreiben und rechnen lernen – aber Wörter wie Druck, Nachhilfe und Überforderung stufte ich dort so gar nicht ein. Vielleicht auch, weil ich eine abolut unbeschwerte Grundschulzeit hatte. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich damals lange an den Hausaufgaben saß, dass ein Kind in diesem Alter schon Nachhilfe bekommen hätte oder dass ich Leistungsdruck verspürt hätte. Und so war ich doch recht geschockt über die Erzählungen meiner Freundin. 

Mein Mann und ich besprachen lange, was wir uns für unsere Tochter wünschen. Wir waren uns einig: Unser Kind sollte so lange wie möglich Kind sein können. Sie sollte Schule als einen Ort erfahren, an dem sie gefördert wird, an dem sie sich wohl fühlt. Und an dem sie in ihrem Tempo Neues lernen kann. Wir schauten uns drei Schulen an – darunter auch eine staatliche Montessori-Schule, die uns sofort zusagte. Auch die anderen Schulen machten eigentlich einen ganz guten Eindruck, aber an der Montessori-Schule fühlten wir uns sofort super wohl. 

Nun kann man sich so viele Schulen anschauen wie man will – wie die Schule wirklich ist, weiß man erst, wann das Kind einige Zeit zur Schule gegangen ist. Meine Tochter ist nun im zweiten Halbjahr der zweiten Klasse – wir können also bereits auf einige Zeit zurück blicken. Mein erstes kleines Fazit: 

  • Bisher hatten wir NICHT EINEN Morgen, an dem meine Tochter nicht zur Schule gehen wollte
  • Das Thema Hausaufgaben ist hier absolut kein Problem. Die Kinder bekommen Wochenhausaufgaben – sie entscheiden selbst, ob sie sie gleich am ersten Tag komplett machen möchten oder an mehreren Tagen. Meine Tochter macht sie meist sofort und an einem Stück – und sitzt dann nie länger als 30/40 Minuten. Absolut überschaubares Pensum, finde ich. 
  • Es gibt keine Noten, sondern sehr ausführliche Gespräche. Bei dem Halbjahresgespräch war meine Tochter sogar dabei. Das fand ich sehr interessant, weil es auch darum ging, wie sie sich selbst einschätzt und wie ihre Lehrerin sie einschätzt. Auch zum Ende des Schuljahres gibt es keine Noten, sondern eine schriftliche Beurteilung. 
  • Sie macht die Dinge in ihrem Tempo. Das bedeutet, dass sie in einigen Dingen weiter ist als ihre Mitschüler – aber auch, dass sie in anderen langsamer ist. Das ist für meine Tochter kein Problem und für ihre Lehrerin auch nicht. Ich gebe zu, dass ich zunächst Bammel hatte – ich habe aber gelernt zu vertrauen, dass mein Kind am Besten dann lernt, wenn es dafür bereit ist. 
  • Sie ist in einer jahrgangsübergreifenden Klasse- dort sitzen Schüler von der 1. bis zur 3. Klasse zusammen. Ich weiß, dass dies sehr umstritten ist und ich kann alle Positionen verstehen und nachvollziehen. Bisher kann ich sagen, dass meine Tochter dadurch eher Vorteile hatte. In einigen Fächern orientiert sie sich bereits am Stoff der dritten Klasse – kümmert sich aber rührend um ihr "Patenkind" aus der 1. Klasse. Ich weiß nicht, wie ich dieses Konzept in ein paar Jahren finden werde, bisher hatte meine Tochter dadurch aber keine Nachteile. 
  • Im Vergleich zu ihren Freundinnen aus anderen Schulen kann sie gut mithalten – beim Thema Rechtschreibung jedoch finde ich, dass sie etwas hinterher ist. 
  • Dafür hat sie wesentlich mehr "Freizeit", die Nachmittage sind nicht durch Hausaufgaben ausgefüllt. Wir können an den Nachmittagen viel spazierengehen, spielen oder einfach mal relaxen. Das finde ich sehr wichtig. 

Das Wichtigste scheint uns gelungen zu sein: Unsere Tochter geht sehr gerne in die Schule, sie hat noch nie gevon gesprochen, dass sie sich überfordert fühlt. Unserer Überzeugung nach wollen alle Kinder von Natur aus lernen – man muss ihnen nur ihr eigenes Tempo zugestehen und ihnen auch mal Pausen gönnen. Oft wird an dieser Stelle dann dann das Totschlag-Argument "Ja, aber wir leben eben in einer Leistungsgesellschaft" herausgeholt. Das stimmt – und doch bin ich der Überzeugung, dass eine Zweitklässlerin noch nicht Teil dieser Gesellschaft sein muss. Dass sie eben noch Kind ist und dass zu viel Druck die Freude am Lernen zerstört. Für uns war diese Schulform ein ein Wagnis, wir mussten alte Denkmuster über Bord werfen und uns auf das Neue einlassen. Bisher fühlt sich das ganz toll an und wir hoffen, dass das genau so weitergeht. 

Warum ich heute hier davon erzähle? Weil wir in letzter Zeit viele Berichte über Kinder hatten, denen es in der Schule nicht gut geht. Die nicht richtig gesehen werden, die unglücklich sind, deren Eltern nicht mehr weiter wissen. Es ist wichtig über diese Familien zu berichten – aber ich möchte heute auch Mut machen: Es geht auch anders. Es gibt auch tolle Schulen!

Der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther sagte einmal: "Kinder brauchen Aufgaben, an denen sie wachsen können. Sie brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren könne. Und sie brauchen Gemeinschaften, in denen sie sich aufgehoben fühlen". 

 

 


13 comments

  1. Normale Grundschulen können auch toll sein
    Unsere Tochter geht in Brandenburg auf eine verlässliche Halbtagsgrundschule, d.h. Sie muss bis 14:00 dort bleiben, dann sind aber die Hausaufgaben (im Klassenverband in Ruhe nach Mittags- und Hogpause) erledigt. Null Stress zu Hause, nur Lesen üben. Es gibt für die Fächer Deutsch, Mathe, Kunst und Sachunterricht keinen festen Stundenplan. Dass wird nach Bedarf von der tollen Lehrerin entschieden. Keine Noten bis Ende zweite klasse (in ganz Brandenburg). Sie gehen viel raus, ins Theater und in Konzerte. Will sagen: es gibt auch tolle Schulen die nicht Montessori sind – ich finde das Monte-Konzept aber grds. Auch toll. Auch bei uns gibt es eine staatliche Monte, für die kein Schulgeld fällig wird.
    Toll ist es, wenn man bei der Schule eine Wahl hat… aber ja, das ist eben nicht überall so.

  2. Montessorischule zunehmend Ausweichschule
    Die freiere Schulform der Montessorischule wird leider zunehmend genutzt, um “Problemkinder“ unterzubringen. Der beste Freund meines Sohnes kam auf der Dorf-Grundschule nicht zurecht= er hatte Schwierigkeiten, sich einzuordnen, auf die Lehrerin zu hören, sich zu konzentrieren.. Ein Schulwechsel zur Montessorischule wurde vollzogen und nun klappt es besser. Beim Elternabend in unserer Dorf-Grundschule wurde über einen Montessori- Lehrer berichtet, der sich beklagte, dass mittlerweile viele Eltern und auch Regelschulen auffällige Kinder in der Montessorischule unterbringen würden. Die Montessorischule quasi als Förderschule. Auch ich stelle fest, dass mir Bekannte manchmal erzählen= falls ein Kind in der Schule nicht klar kommt, könne es ja immer noch zur Montessorischule wechseln..

  3. Gute Erfahrungen
    Hallo, unser Sohn geht in Sachsen in eine staatliche Grundschule mit Französisch Profil und geht sehr gerne. Er bekommt dieses Halbjahr das erste Zeugnis mit Noten und freut sich sehr darauf. Er ist auch 2. Klasse 1. Halbjahr und hier in Sachsen bekommen sie schon Noten in Deutsch, Mathe und Sachkunde sowie in Betragen, Mitarbeit, Ordnung und Fleiß. Ich denke bei den Noten ist vor allem der Umgang damit innerhalb der Familie wichtig. Unsere Erfahrungen mit Hausaufgaben sind gut, er erledigt sie selbständig und in angemessenen zeitl. Rahmen (Max 15 Min). Nur bei Vorträgen/ Plakaten und Gedicht lernen braucht er unsere Unterstützung.

  4. Hi zusammen,

    Hi zusammen,

    Meine Kinder sind beide auf einer ganz normalen Grundschule in Hessen. Bisher gefällt es beiden sehr gut. Ich hatte auch mit weniger Hausaufgaben gerechnet, wobei sie im Schnitt täglich so 20 min dran sitzen, Freitag gibt es keine Aufgaben. Wochenaufgaben gibt es auch teilweise.
    Das einzig nicht so optimale bisher ist die mangelnde Abstimmung mit der Nachmittagsbetreuung (ist ein anderer Träger), das könnte man sicherlich verbessern.

    VG Flora

  5. Und das macht den Unterschied
    Eine staatlich anerkannte Privatschule bedeutet trotzdem Privatschule – bedeutet Schulgeld, Was nicht jeder zahlen kann und will. Meine Kinder gehen hier in hamburg auf eine staatliche Grundschule in einem Vorortsstadtteil und wir haben auch nur positive Erfahrungen gemacht. Keines meiner kinder ist je mit Bauchschmerzen oder Angst in die Schule gegangen. Wir haben wohl einfach Glück gehabt. Nun wechselt mein Ältester im Sommer auf ein staatliches Gymnasium – wir sind gespannt. Alles Gute weiterhin für deine Tochter.

  6. Es freut mich sehr dass deine
    Es freut mich sehr dass deine Tochter sich in der Schule so wohl fühlt! Darf ich fragen ob sie vorher in einer Montessori Kita gewesen ist? Ist es ein Problem wenn Kinder ohne Montessori Vorerfahrungen auf eine Montessori Schule gehen?

    1. Lieber Martina, nein, meine
      Lieber Martina, nein, meine Tochter war auf keinem Montessori Kindergarten – ich sehe da bisher keine Nachteile. Unser Sohn ist jetzt allerdings in einem Montessori Kindergarten´, weil wir den Ansatz einfach sehr gut finden.

  7. Sofern ich mich nicht täusche
    Sofern ich mich nicht täusche und es in Berlin öffentliche Grundschulen gibt, die sich komplett nach dem Montessori-Konzept ausrichten:
    der Begriff „staatliche Montessori-Schule “ ist hier irreführend, Montessori-Schulen sind Privatschulen und hier handelt es sich wahrscheinlich um eine staatlich anerkannte Privatschule, das heißt die Schule kann selbständig Abschlussprüfungen durchführen, die dann staatlich anerkannt werden , im Gegensatz zu staatlich genehmigten Privatschulen, bei denen die SchülerInnen als Externe an den Abschlussprüfungen der öffentlichen Schulen teilnehmen.

    Schön, dass sich eure Schulwahl positiv bestätigt hat !

    1. Zumindest was unsere
      Zumindest was unsere Montessori-Grundschule betrifft, täuschst du dich. Wir wohnen in NRW. Hier in unserer Stadt ist die Montessori Grundschule eine ganz normale staatliche Schule, die dem vorgegebenen Lehrplan folgt und in der es ab dem 3. Schuljahr Noten gibt. Es kostet auch im Gegensatz zur Waldorfschule, die wir auch hier in der Stadt haben, kein Schulgeld. Das nur zur Info. Evtl gibt es auch andere Montessorischulen, ich kenne selbst jedoch keine. Auch die Montessorischule unserer Nachbarstadt ist staatlich. Viele Grüße!

      1. Danke, das war meine
        Danke, das war meine Überlegung ! In NRW gibt es ja auch – wenn ich hier nicht wieder falsch liege – freie Grundschulwahl, statt automatischer
        Zuodnung der Grundschule nach Sprengel und damit werden unterschiedliche didaktische Konzepte an staatlichen Grundschulen erst möglich, denn die Eltern treffen die Entscheidung. LG

        1. Theorie vs Praxis
          Theoretisch dürfen Eltern entscheiden. Praktisch ist in unserer Stadt die Schulanmeldung inzwischen zentralisiert, dh.die Anmeldung findet nicht direkt an der Wunschschule statt, sondern im städtischen Schulamt werde diverse Formulare ausgefüllt. Dort gibt man seinen Erstwunsch an und MUSS einen Zweitwunsch aufschreiben. Letzteres ist für Familien aus dem
          Vorort, wo es genau eine Grundschule gibt, meist unsinnig, denn viele Eltern wollen ja zu dieser Wohnortnahen Schule und keine andere kommt in Frage. (Den Platz dort bekommt man auch für gewöhnlich, trotzdem müssen alle durch dieses Verfahren)
          Im Süden der Stadt gibt es eine sehr beliebte Schule, die auch Familien aus dem
          Vorort und Übrigen Stadtgebiet anzieht. Allerdings werden Familien nun im Rahmen dieser zentralen Anmeldung so lange „umberaten“,bis die Anmeldetahlen an allen Grundschulen im Stadtgebiet ausgeglichen sind. Freie Schulwahl theoretisch ja, praktisch nur sehr schwer durchzusetzen.

  8. Sonderform
    Ich habe mir bisher auch über Schule nie große Gedanken gemacht, da ich auch eine unbeschwerte Grundschulzeit hatte und später immer so durchgerutscht bin. Bei meinem Bonussohn erlebe ich nun, dass eben nicht alles so einfach ist. Aber hier gibt es auch noch andere Umstände, die sich negativ auswirken. Allerdings leben wir hier auf dem Land und haben bei der Grundschule eigentlich keine Auswahlmöglichkeit, sondern müssen die Schule nehmen, die im Einzugsbereich ist (was ich jetzt nicht als Problem ansehe). Daher fände ich einen Bericht, dass es auch an einer „normalen“ Schule gut laufen kann ganz schön. Denn eine Montessorischule hat ja nun einmal einen anderen Ansatz als die meisten anderen Schulen.

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