Wie genau hilft eine Schrei-Ambulanz? Interview mit Expertinnen zum Thema Schreibaby

Ihr Lieben, wir haben schon ein paar mal über Schreibabys berichtet und hatten auch schon sehr bewegende Gastbeiträge dazu. Uns hat daraufhin interessiert, wie die Arbeit mit den Babys in einer Schreiambulanz abläuft und durften nun Monika Wilborny und Claudia Behncke vom SchreiBabyAmbulanz-Kompentenzzentrum Frühe Hilfe e.V. befragen. Vielen Dank für die spannenden Antworten!

Liebe Frau Behncke, liebe Frau Wiborny, ich kenne die Regel: "Wenn ein Baby an drei Tagen die Woche mehr als drei Stunden schreit und das über drei Wochen hinweg – ist es ein Schreibaby." Macht diese Regel Sinn oder ist sie Quatsch?

Aus unserer Sicht macht diese Regel schon Sinn, denn sie definiert ein nachgewiesenes Phänomen bei Säuglingen. Entscheidender für uns ist jedoch, dass Eltern, die einen Säugling haben, der viel schreit, auch dann Hilfe in Anspruch nehmen sollten und dürfen, die weniger schreien. Hier ist die individuelle Belastungsgrenze entscheidend um das Kindeswohl zu sichern.

Viele Eltern versuchen alles, um ihr Baby zu beruhigen. Und sie wissen nicht mehr weiter, denn das Baby ist satt und frisch gewickelt – und trotzdem schreit es. Was können die Gründe für übermäßiges Schreien sein?

Aus körperpsychotherapeutischer Sicht sind hier die häufigsten Ursachen für das intensive Schreien der Säuglinge in Schwangerschaft, Geburt, bzw. in der ersten Zeit im Anschluss an die Entbindung zu finden.

Diese ersten Erfahrungen, speichern sich im sogenannten Körpergedächtnis des Säuglings ab und verhindern dann in vielen Fällen einen ruhigen Start, ein entspanntes Zusammenwachsen als kleine Familie.

Wann sollten betroffene Eltern sich Hilfe suchen?

Immer dann, wenn Eltern merken, dass sie in eine Spirale aus Verunsicherung, Stress oder Angst geraten und sich Erschöpfungssymptome mit eigenen „ Bordmitteln“ nicht mehr auflösen lassen.

Wie genau sieht Ihre Arbeit aus?

Unsere Arbeit basiert hauptsächlich auf den Erkenntnissen der modernen humanistischen Psychologie und der Pränatalpsychologie. Zudem berücksichtigen wir die neuesten Erkenntnisse aus Neurobiologie, Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung.

Unser humanistisches Menschenbild nimmt an, dass Körper, Geist und Seele in enger Verbindung miteinander stehen. Gibt es in einem Bereich Probleme, beeinflusst dies auch die anderen Bereiche.

In der nach Wilhelm Reich orientierten Körpertherapie und dem von Paula Diederichs für die Arbeit in den Schreibabyambulanzen weiterentwickelten Ansatz geht man von einem Energiefluss im Körper aus. Seelisches Erleben wird im Körperbewusstsein gespeichert.

Durch empathisches Zuhören und gezielte Massagen können negative Erlebnisse gelindert werden. So können sich defizitäre Bindungsmuster während der Krisenbegleitung positiv verändern. Wir bieten Hilfe innerhalb von 48 Stunden an. Zudem kann jede Familie bis zu 10 Sitzungen in Anspruch nehmen. Unsere Arbeit soll einen niedrigschwelligen Anstoß geben, um Eltern und ihren Kindern aus der Krise herauszuhelfen und dabei nicht den Anschein eines Therapieverhältnisses geben.

Wer übernimmt die Kosten dafür?

Seit dem 1.1.2013 wird die Krisenhilfe durch die SchreiBabyAmbulanz Stormarn im Rahmen des Landesprogramms Schutzengel vor Ort und vom Kreis Stormarn finanziert. Eltern zahlen pro Sitzung einen Eigenanteil in Höhe von 10,-€. Bis zu 10 Sitzungen können so finanziert werden.

Durch Spendengelder wird gewährleistet, dass die Krisenhilfe durch die SchreiBabyAmbulanz Hamburg bei nur geringem Eigenanteil auch für finanzschwächere Familien und Alleinerziehende erreichbar und bezahlbar wird (Einkommensabhängig 60,-€, 40,-€, 30,-€, 20,-€ + 10,-€ für ALG 2 EmpfängerInnen pro Sitzung). Bis zu 10 Sitzungen können so finanziert werden.

In Berlin fördert und finanziert  das Bezirksamt Neukölln von Berlin Abteilung Jugend und Gesundheit.

Kann jedem Kind geholfen werden? Oder hatten Sie auch schon Fälle, an denen sich nichts verändert hat?

Ja, natürlich gibt es auch solche Situationen. Unsere spezielle Methode muss wie bei allen denkbaren Themen zum Hilfesuchenden passen.

Haben Sie den Eindruck, dass es heute mehr Schreibabys gibt als noch vor fünf oder zehn Jahren? Und wenn ja, woran könnte das liegen?

Nein, vielmehr glauben wir, dass heute das Angebot für junge Eltern bekannter ist und die Sensibilität auch unter Fachleuten für dieses Thema gewachsen ist und schneller auf die Möglichkeit „ Schreibaby“ hingewiesen wird.

Wie können Außenstehende betroffene Eltern unterstützen?

Sie können die Situation mittragen, d.h. : Tatsächliche Hilfe anbieten,  also zum Beispiel mit Essen versorgen, das Baby abnehmen und wenn möglich, der jungen Familie echte Auszeiten gönnen

Welche einfachen Tipps sollten Eltern von unruhigen Babys zu Hause umsetzen, damit das Kind weniger weint?

Das Kind hochnehmen, Babys können in diesem Alter nicht verwöhnen werdenn. Außerdem medizinisch / osteoplastisch das Kind abklären lassen, um Reflux, organische Ursachen, Blockaden etc. ausschließen zu können.

Welchen Rat haben Sie an die Eltern, die sich noch nicht sicher sind, ob sie sich Hilfe suchen sollen?

Nicht zu lange warten! Schreiende, schlecht schlafende Säuglinge stellen eine hochgradige Belastung für Eltern da, die sehr schnell an Grenzen bringen und die Gefahr von Übergriffen ( schütteln etc. ) wahrscheinlicher werden lassen.

———ZUM WEITERLESEN: 

Kraftakt Schreibaby – Du darfst Hilfe zuslassen 

Gastbeitrag über postnatale Depressionen

Warum schreien Babys, wenn sie müde sind?