Warum Karneval für mich das wichtigste Fest des Jahres ist

Liebe Katharina, ich freue mich so sehr auf Karneval dieses Jahr. Ich will in fröhliche Gesichter schauen in diesen Tagen und nicht in betrübte.
Weißt du was? Wir sind Fußball-Weltmeister! Wir sind Handball-Europameister! Und weißt Du noch was? Es sind gleichzeitig viele schreckliche Dinge passiert in letzter Zeit. Charlie Hebdo, Paris, Germanwings, ISIS, die tägliche Katastrophe am LaGeSo. Die Welt ist komplex. Und an Karneval ist sie das für fünf Tage nicht mehr. Für mich.
 

Doofes Jahr – und dann noch krank

Ich erzähl Dir was. Das Jahr 2015 begann für mich nur so semi-schön. Man hat ja mal so Monate. Alles doof. Vieles lief schief. Mein einziger Hoffnungsschimmer nach dem doofen Januar und Februar war: Karneval. Endlich all die Päckchen von den Schultern nehmen, die man so trägt, und mal an nichts anderes denken als an Freude, Optimismus, Freunde, Musik. Und dann wurde ich krank. Ich lag im Bett und konnte nicht mitferien. Ich weinte, während ich im WDR die Liveübertragung nach Köln sah. Die Welt ist gemein. Rumtata.

Es ist so: Man kann es nicht erklären. Man muss da reingewachsen sein. Deswegen will ich gnädig mit Dir sein. Du kannst es halt einfach nicht verstehen. Aber wir Kölner, wir können das. Und damit meine Kinder das auch verstehen, hab ich, als wir noch in Berlin wohnten, dafür gesorgt, dass sie seit der Geburt jedes Jahr im Karneval dabei waren. Nicht im Exil in Berlin, sondern in Köln. Ich bin extra angereist. Immerhin sind sie Halbwestfalen und ich käme wohl nur schwer damit klar, wenn sie später sagen würden: Karneval? Ist nichts für mich. Denn für mich ist das eine wichtige Woche.

Einfach unbeschwert sein

Ich kann abschalten. Du wunderst Dich, dass Erwachsene das noch feiern? Ich sage: GERADE Erwachsene. Wo ist sie hin die Unberschwertheit und die Leichtigkeit von damals? Das einfach so rumleben, das Du neulich in einem Beitrag noch vermisstest, weil unsere Jugend schon einige Jahr zurückliegt. Alles wird veranstwortungsvoller, alles wird beladener. An Karneval können wir nochmal unbeschwert sein. Einfach in den Tag leben. Nicht an morgen denken. Sein.

Das Geheimnis des Karnevals liegt meines Erachstens in der Erfahrung. Mit jedem Lied und mit jeder Zeile verbinden wir etwas. Wenn meine Lieblingscousine und ich "Et jitt kei wood" von Cat Boullou hören, dann fallen wir uns heulend in die Arme, vor Glück, uns zu haben und zusammen zu sein. Weil wir das Lied hörten, als sie noch in Australien und ich in Berlin lebte. Heimat. Was haben wir sie vermisst. Und jetzt hören wir das Lied wieder zusammen, in der Kneipe, Arm in Arm und schwören uns ewige Treue. Es ist wirklich zum Heulen, zum Heulen schön. Oder "Superjeile Zick" von Brings (auf dem Foto oben seht Ihr mich mit Bassist Stephan Brings!). Das war unser Abi-Song. Mit meiner besten Freundin hab ich das Lied umgedichtet und beim Abiball auf der Bühne vorgetragen. Wenn wir zwei das heute hören, dann ist das wie eine Zeitreise. Weißt du noch damals?

Momente, die man nie vergisst

Das ist es, was Karneval ausmacht. Und dann kommt ein neues Lied dazu. "Leev Marie" von den Paveiern zum Beispiel, das wird der Hit der Session. Und ich habe es zum ersten Mal gehört, als ich in der letzten Woche auf der Mädchensitzung bei uns im Dorf war und 2000 Frauen im Saal schier durchdrehten. "Leev Marie". Ich tanzte mit meiner Freundin drauf, wir nahmen eine Tonaufnahme auf und schickten sie nach Südafrika, wo unsere dritte Freundin grad verweilt und uns vermisst. Der Karneval verbindet uns über den Erdball.

Ich weiß noch, 2004. Da war ich für einige Monate jobmäßig in New York und an Karneval ist das Heimweh natürlich am schlimmsten. Da hieß es plötzlich: In ChinaTown soll es Freibier für Frauen geben. Ich dachte: Sehr gut, heute ist doch eh Weiberfastnacht, da fahr ich mit. Und dann war da diese beschlagene Scheibe zwischen all den chineischen Schriftzeichen und es dröhnte Wummermusik von innen nach außen und wir betraten die Bar und es war: Eine kölsche Karnevalsparty. Es wurde die schönste in meinem Leben, am anderen Ende der Welt. Denn da war diese Verbindung, von Anfang an. Alle hatten Heimweh. Alle nahmen sich in die Arme und dachten an den Dom und die Hüscher op dem Alder Markt – wir waren eine Schicksalsgmeinschaft, eine Familie für den Moment. Wir tanzten auf den Tischen bis morgens um 4 Uhr. Es war die Heimat in der Fremde, die uns zusammenschweißte.

Fünf Tage glücklich sein

Ich werde also jetzt fünf Tage abtauchen. Abtauchen und glücklich sein. Mit meinen Freunden, meinen Cousinen, meiner Familie. Wir gehen ins Festzelt, in die Kneipe, wir gehen zum Zoch und wir gehen sogar selber im Zoch mit und werfen Kamelle. Fünf Tage lang gibt es keinen Alltag mehr bei uns. Und die Kinder? Die machen mit. Beim neuen Lied "Leev Marie" sind sie bereits textsicherer als ich. Von Cat Ballou haben sie bereits ein Autogramm, nachdem sie auf unserer dreiwöchigen Südafrika-Tour am laufenden Band "Ich bin Lokalpatriot" sangen. Aber den Rückstand im Text von "Leev Marie" werde ich ab heute aufholen. Wenn ich lachend und bützend mit einem Kölsch in der Hand auf das Leben anstoße – und beim Schunkeln an alle denke, die das nicht erleben können – oder wollen.

KÖLLE ALAAF!

 

 


11 comments

  1. Janz jenau so isses!!!

    Janz jenau so isses!!!
    Ich fahre heute Abend mit meinem Mann (Lübecker) und unserem 4 Monate alten Sonnenschein in die Heimat und freu mich schon wie Bolle, am Samstag mit meinen Freunden zu feiern!!!
    Sich in den Armen liegen und freuen, dass man sich hat… schunkeln und lecker Kölsch… das ist das Beste Fest des Jahres!!!
    Wünsche allen schöne Karnevalstage!

  2. Achsooooo…
    Danke, dass ersge Mal hab ich verstanden was der Circus soll und gebe meine feindselige Haltung sofort auf!

  3. Ach wat schööön….
    ….das zu lesen. Ich bin kein Karnevalist, aber dieser Artikel bringt es wirklich ein ganzes Stück näher!!! Das nächste Mal feiere ich mit, versprochen 🙂 Die Berliner Spaßbremse

  4. http://www.engelundbanditen.de/blog/
    Hach, da hab ich Tränen in den Augen! Ich bin dieses Jahr in den USA, meine Mädels haben alleine gefeiert in Kölle. Und Du sprichst mir so aus der Seele… danke! Ich kann auch so herrlich abschalten dabei, Freundinnen und fremden Menschen in den Armen liegen, gemeinsam singen und irgendjemand drückt dir ein Kölsch in die Hand. Das ist einfach so ein Gemeinschaftsgefühl, das man nicht so oft hat.

    Et jitt kei Wood, dat sage künnt,
    Wat ich föhl, wenn ich an Kölle denk
    Wenn ich an ming Heimat denk!

    Feier schön und trink ein Kölsch für mich mit!
    Alaaf aus Charleston, Yvette

  5. <3
    Lisa, Du sprichst mir aus der Seele. Deine Begeisterung in NY per Zufall auf eine Weiberfastnachtsparty gestoßen zu sein, kann ich sowas von nachempfinden! Ich war zwar nicht ganz so weit, nur in Hamburg, aber stimmungsmäßig ist das mindestens am anderen Ende der Welt. Da gab es zum Glück die ständige Vertregung, kölsches Liedgut und rheinisches Temperament. Das Heimweh ist auch bei mir nur zur Karnevalszeit da, sonst nie. Dann aber sehr! 😉 ALAAF und HELAU. Vielleicht sehen wir uns ja per Zufall am Samstagabend in der Südstadt? 😉

  6. Liebe Lisa, ich habe bisher
    Liebe Lisa, ich habe bisher keinen Zugang zu Fasching gehabt, aber durch deinen Text verstehe ich den ganzen Rummel deutlich besser. Und eigentlich macht dein Text auch Lust mittendrin zu sein… danke dafür und hab eine schöne Zeit. Liebe Grüße

  7. Ich kann nur zustimmen!!!
    Liebe Lisa,

    ich bin bei jedem deiner Worte dabei! Mir geht es ähnlich. Wir sind zwar „nur“ 100 km weit von Köln entfernt ‚ausgewandert‘, aber auch für uns geht es später in die Heimat und da wird dann die nächsten Tage nur noch unbeschwert und ausgelassen gefeiert. Genau wie du es schreibt: unsere Jungs sollenden Karneval in seiner kölschen Form erleben und mit mit einem KÖLLE ALAAF aufwachsen und nicht mit einem „scheppschepp“, wie es hier so heißt. Aber das klappt auch schon ganz gut – selbst unser 1,5 jähriger hebt schon den Arm zum Alaaf.
    Ich wünsche dir und allen kölschen jecken da draußen ganz viel Spaß und Freude die nächsten Tage.
    In diesem Sinne – Kölle Alaaf!!!!!

  8. Toller Text
    Liebe Lisa,

    als Berlinerin und absolut karnelvalsunerfahrene Person sehe ich das Treiben in den Karnevalsregionen auch mit etwas Unverständnis, aber das liegt einfach daran, dass es mir fremd ist uns ich schlicht damit nicht aufgewachsen bin. Aber gerade in diesen Zeiten sollten wir doch einfach mal ein bisschen offener und entspannter mit anderen Kulturgut umgehen. Wenn das nicht innerhalb Deutschland klappt, wie soll es da weltweit funktionieren? 😉 Und nach diesem Text beneide ich euch sogar ein wenig um diese verrückte Jahreszeit. Ich wünsche Dir und Deiner Familie tolle unbeschwerte Tage!!!

  9. Eigendlich finde ich Karneval auch nicht so toll. aber…
    Liebe Lisa dieser Text hat nicht sehr berührt und man kann die liebe zu der 5. Jahreszeit sofort spüren und nachvollziehen. sehr schön geschrieben. LG Sabrina

  10. Toller Text
    So ein schöner Text. Ich finde mich im jeder Zeile wieder…und das als Zugereiste ;). Aber bei bestimmten Liedern…ja…da kullern die Tränen…vor Freude, Unbeschwertheit, vor Glück…ich genieße diese jecken Tage…schaue meine Maus an und bin einfach glücklich,dass mich das Rheinland so herzlich empfangen hat und ich nirgendwo anders hin will. Und falls ich doch woanders hin muss (wer weiß schon,was die Zukunft bringt?)…habe ich die Lieder,die man selbst am Ende Welt nur hören muss,um sich dabei sofort wieder wie in der Heimat zu fühlen: „Ävver et Hätz…bliev he in Kölle“ umschreibt das auch sehr sehr schön. In diesem Sinne: Kölle Alaaf!