Warum ich meinen Erzeuger nicht kenne(n will) – Gastbeitrag von Inga

Als vor kurzem meine Oma gestorben ist und wir durch ihre Wohnung und die vielen hinterlassenen Erinnerungen gingen, fragte mich meine Mutter, ob ich die letzte Gelegenheit nutzen wolle, ein Bild meines Erzeugers zu sehen. Ein merkwürdiger Moment – und das Letzte woran ich gedacht hätte. In meinen 20iger Jahren hatte meine Oma oft davon gesprochen, dass sie ein Bild von meinem Erzeuger aufgehoben habe und ich mir dies unbedingt anschauen solle. Sie verstand nicht – und hat es bis zuletzt nicht verstanden – warum ich dies vehement verneinte.

Aber vielleicht sollte ich von vorne beginnen.

Meine Mutter wurde mit 19 von ihrem Freund schwanger. Es war 1977 in der DDR, in einem kleinen Luftkurort in Thüringen. Nicht verheiratet und schwanger in einem kleinen Dorf, wo einen jeder kennt… für die Familie und meine Mutter sicher keine leichte Situation. Der Freund meiner Mutter – heiß geliebt von meinen Großeltern, gut situiert und bodenständig – entschied sich daraufhin, dass er kein Kind haben wolle und verließ meine Mutter. Sie wollte dieses Kind, mich, unabhängig von den Blicken und Fragen der Nachbarn, Freunde und Familie.

Ich wurde in Rudolstadt geboren und von meinen Großeltern und meiner Mutter innig geliebt. Wir wohnten im Haus meiner Großeltern und noch oft höre ich die Geschichten, wie ich im Bettchen stand aus dem Fenster schaute und allen Fußgängern zuwinkte. Die Herzen waren erobert, die Situation für meine Mutter nicht immer leicht. Noch heute erzählt sie, wie sie mit ihrem Baby auf einem der umgebenden Berge saß, mit Blick auf das Dorf und den Bahnhof und sah, wie ihre Freundinnen zum Feiern in den Zug in die nächste Stadt stiegen.

Kurz nachdem ich geboren war, stand mein Erzeuger vor der Tür und bat meine Großeltern, mich einmal sehen zu dürfen. Meine Oma, die im Hinblick auf mich ihr ganzes Leben sehr weich und emotional war, ließ ihn rein. Er durfte sein Kind sehen. Ob dies oder etwas anderes seine Meinung änderte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls führte es dazu, dass er meine Mutter bat, ihn zurückzunehmen. Meine Mutter schickte ihn weg und lehnt auch jeden weiteren Kontakt ab. Er machte noch weitere Versuche der Versöhnung, meine Mutter blieb bei ihrer Entscheidung.

Nach kurzer Zeit lernte sie meinen Vater kennen. Sie verliebten sich, sie heirateten und er nahm mich als sein Kind an. Als ich vier Jahre alt war, wurde meine Schwester geboren. Seitdem sind wir zu viert und so ist es bis heute geblieben.

Ich hatte und hab, solange ich mich erinnern kann, einen Papa, der mich nie spüren ließ, dass er nicht mein Erzeuger war. Ich wurde und werde geliebt – wie auch meine Schwester. Mit zwölf Jahren nahm mich mein Papa zur Seite, setzte sich mit mir auf das Sofa und begann, mir zu erzählen, dass er nicht mein Erzeuger sei. Ich kann mich an den Wortlaut nicht mehr erinnern, aber an die Situation schon. Und ich weiß noch, dass er zu mir sagte, dass ich mit ihm und meiner Mutter immer darüber reden könne, wenn es mich beschäftige oder traurig mache.

Tatsächlich hatte ich von diesem Moment an nie, wirklich nie das Bedürfnis darüber zu reden oder mehr erfahren zu wollen. Dies ist bis heute so geblieben. Und alle fragen mich: Warum?

Warum willst du nicht wissen wer er ist? Warum willst du ihn nicht kennenlernen? Warum willst du sein Bild nicht sehen? Warum willst du nicht wissen, wo er wohnt, was er macht, wie er heißt?

Mir wird gesagt, es ist doch wichtig zu wissen, woher man kommt. Mir wird gesagt, du musst doch wissen, welche Krankheiten es in der Familie gibt. Nein! Ich muss nicht.

Wisst ihr, ich hatte mein ganzes Leben einen Papa der mich geliebt hat. Mir hat nichts gefehlt und das tut es auch heute nicht. Vielleicht wäre es anders, hätte ich keinen Papa gehabt.

Es gab wenige Situationen an denen ich über meinen Erzeuger nachdachte. Zum Beispiel, als plötzlich ein 16jähriger Junge vor unserer Tür stand, der meinen Papa suchte, seinen Erzeuger. Dem etwas fehlte, der seine Wurzeln kennen wollte.

Aber mir fehlt nichts, ich habe Wurzeln und ist es denn wirklich so wichtig, seinen Erzeuger zu kennen?

Ja, wenn es um Krankheiten in der Familie geht, dann wäre es sicher sinnvoll. Aber manchmal ist Nichtwissen auch die bessere Alternative. Und ich lebe gut mit dem Nichtwissen.

Mit der Zeit kam ein weiterer Gedanke dazu. Und zwar ab dem Moment, als meine Oma mir sagte, dass sie ein Bild von meinem Erzeuger habe. Ich müsse mir dies anschauen, wir wären uns so ähnlich. Sie begann zu erzählen und in der Fotokiste zu fingern. In diesem Moment wusste ich: Nein, ich will kein Bild von ihm sehen. Mir reicht das Wissen um meine Geschichte, um seinen Vornamen. Warum? Wisst ihr, wenn ich an meinen Erzeuger denke, habe ich eine Geschichte im Kopf, die die mir erzählt wurde. Ich habe kein Bild im Kopf und möchte dies auch nicht haben. Mein Erzeuger hat sich nicht einmal in den letzten 40 Jahren bei mir gemeldet oder versucht, Kontakt aufzunehmen.

Mein Papa hingegen war immer für mich da, wenn ich weinte, wenn ich lachte. Dies möchte ich als Bild im Herzen haben und nicht einen Mann, der ein Kind zeugte, um es dann zu verlassen. Der sich nie wirklich um dieses Kind geschert hat.  Warum soll ich diesen Menschen kennenlernen wollen? Und was würde mir das bringen?

Ich habe mich bereits vor langer Zeit entschieden: Ich möchte meinen Erzeuger nicht kennen (lernen). Ich bin ihm nicht böse, ich hatte mein Leben lang einen Papa und eine Familie. Ich vermisse ihn nicht. Ich hoffe er ist ein zufriedener Mensch, der mit seiner Entscheidung leben kann. Was er verpasst hat, bin ich. Aber das ist ganz und gar sein Problem.

Vor sieben Jahren habe ich geheiratet. Für die Hochzeit brauchten wir den Auszug aus dem Familienstammbuch. Und was soll ich sagen, dort war der Name meines Erzeugers gelöscht, es stand der Name meines Papas dort und wann er mich als sein Kind angenommen hatte. Und ich kann euch nicht sagen, wie dankbar ich ihm dafür bin!

 

Dieser Beitrag stammt von Inga, die in Berlin zusammen mit tollen Kolleginnen als Maternita Schwangerschaftsconcierge und Baby Planner arbeitet.

 

Fotohinweis: pixabay


3 comments

  1. Hallo Inga, ich kann das voll
    Hallo Inga, ich kann das voll nachvollziehen, ich kenne meinen leiblichen Vater auch nicht (komplett andere Hintergründe und Lebenssituation), aber er hat sich nie für mich interessiert und ich nicht für ihn. Ich habe eine tolle Mutter, Oma und seit ich 14 war einen lieben Stiefvater. Ich werde auch ganz oft gefragt ob ich nie meinen „Vater“ kennenlernen wollte – schlicht und einfach Nein! Das wäre ein wildfremder Mann und es besteht einfach kein Grund. Dein Text war sehr schön geschrieben! Viele Grüße aus dem Süden..

  2. Wie toll!!
    Liebe Inga,

    Ich bin sehr gerührt von Deinem Text! So ein toller Mann, Dein Papa!!

    Ich kann Dich verstehen – sofern man das als nicht Betroffener sagen kann.

    Mein Vater ist vor einem Jahr gestorben und er hat mich sehr geprägt und oft meine Seele berührt. Das hat unsere Beziehung aus gemacht.

    Es ist wirklich groß von Deinem Papa Dir den Rücken zu stärken und da zu sein und Dich als sein Kind anzunehmen. Es freut mich, dass ihr so eine feste Bindung habt, dass der Erzeuger uninteressant ist!

    Liebe Grüße
    Mirjam