„Und Ihr so?“ Heute bei: JULIA SUE, einer Zweifach-Mama mit Multipler Sklerose

In unserer „Und Ihr so?“-Fragereihe geht es uns darum verschiedene Familien mit verschiedenen Lebensmodellen und verschiedenen Ansichten und verschiedenen Vorlieben vorzustellen. Uns interessiert, wie sie leben, wie sie denken. Wie schön, dass JULIA SUE heute dabei ist! 

Wer seid Ihr?

Wir sind Mama Julia Sue (35), Papa Mario (37), Frida (3,75) und Hedy (2). Mein Mann Mario und ich haben uns vor zwölf Jahren im Studium in Münster kennen und lieben gelernt. 2008 haben wir geheiratet und als ich 2010 die Diagnose Multiple Sklerose (MS) bekam, haben wir direkt beschlossen, Kinder zu bekommen. Sofort wurde ich schwanger. Frida ist sozusagen mein MS-Kind. Und Hedy folgte knapp 20 Monate später.

Was heißt für Euch Heimat?

Noch während des Studiums waren mein Mann und ich durch Praktika öfter getrennt. Danach im Job haben wir fünf Jahre lang eine Fernbeziehung. Damals haben wir gelernt: Heimat ist da, wo der Andere ist. Heute wissen wir: Heimat ist da, wo unsere kleine Familie ist.

Wie wohnt Ihr?

Wir wohnen im Speckgürtel von Frankfurt am Main. Klassisch in der Doppelhaushälfte mit kleinem Garten. Wir sind sehr glücklich damit. Erst konnten wir uns gar nicht vorstellen, aus Frankfurt herauszuziehen. Und wären die Wohnungen dort nicht so teuer gewesen und hätte es mehr Angebot gegeben, wären wir dort auch geblieben. Aber nun sind wir sehr glücklich in unserer Kleinstadtidylle mit der Nähe zur Großstadt. Der einzige Nachteil für uns ist der Verkehr rund um die Pendlermetropole Frankfurt. Der ist manchmal echt schlichtweg zum Kotzen und macht das Pendeln sehr nervig, ob mit dem Auto oder der Bahn.

Wie hat sich Eure Wohnsituation verändert seit Ihr Kinder habt?

Nun ja, wir brauchen mehr Platz mit zwei Kindern. Und wir haben gemerkt, wie wichtig es uns ist, dass wir mit den Kindern raus gehen können ins Grüne. In den Garten, in den Wald (der Taunus ist sehr nah), aufs Feld (hier gibt’s auch die eine oder andere Kuh). Und, dass sie frei rumrennen können, ohne dass wir zu große Angst vor dem Verkehr haben müssen. Das haben wir nun alles vor der Haustür. Bevor wir Kinder hatten, haben wir immer sehr zentral gewohnt, egal, in welcher Stadt wir wohnten. Da war es uns wichtig, direkt mittendrin zu sein.

Was tut Ihr vormittags?

Papa Mario arbeitet in Vollzeit und bringt morgens meistens die Mädels in die Kita. Da er aufgrund seiner Arbeit und des Verkehrs nie genau abschätzen kann, ob er abends schon zu Hause ist, wenn die Beiden ins Bett gehen, möchte er die Zeit morgens mit seinen Schnecken nutzen.

Ich arbeite zurzeit 50 Prozent, täglich fünf Stunden und habe den Freitag frei. Eigentlich bin ich, was die Arbeit betrifft, sehr ehrgeizig und würde gerne mehr arbeiten. Aber ich muss zugeben, dass ich neben den Kindern, der MS und meinem Hobby, dem Bloggen, gar nicht mehr Zeit hätte bzw. opfern könnte. Ich bin da immer hin- und hergerissen. Aber eigentlich ist es gut so, wie es zurzeit ist. Nachmittags hole ich dann immer die Kinder aus der Kita ab.

Und nachmittags?

Ich achte darauf, dass ich die Kinder immer zu Fuß abhole. Das ist ein knapper Kilometer bis zu uns nach Hause. Den laufen wir dann gemeinsam, entdecken viele Sachen am Straßenrand, die Kinder können trödeln oder schon mal vorrennen. Das ist sehr wichtig zum gemeinsamen Runterkommen. Für mich von der Arbeit, für die Kinder vom Kita-Alltag, in dem leider nicht immer die personelle Kapazität vorhanden ist, um mit den Kindern vormittags raus zu gehen. Darüber hinaus ist es für mich aufgrund der MS wichtig, mich regelmäßig zu bewegen. Das tue ich vormittags bei der Arbeit am Schreibtisch viel zu wenig. Daher habe ich wenigstens täglich die zwei Kilometer Spaziergang am Nachmittag.

Unter der Woche haben wir bisher keine festen Termine. Zum einen möchte ich die Kinder noch nicht allzu verplanen, weil sie ja noch recht klein sind und bereits den ganzen Tag Trallafitti in der Kita haben. Zum anderen wäre das auch zu stressig für mich. Ich muss gut haushalten mit meinen Kräften. Da die Kinder mit ihren knapp vier und zwei Jahren nicht immer zuverlässig die ganze Nacht durchschlafen und noch oft durch die Kita krank sind, spüre ich die MS teilweise sehr stark (ich habe Gefühlsstörungen). Das ist dann immer für mich das Zeichen, ruhig(er) zu machen. Das heißt, wir hetzen nicht von einem zum nächsten Termin, sondern wir wandern von der Kita nach Hause. Dort spielen die Kinder dann mit- oder ohneeinander, während ich den Haushalt mache, damit ich das nicht machen muss, wenn sie abends im Bett liegen und ich mich dann ausruhen kann.

Natürlich verabreden wir uns auch mit den anderen Kitakindern zum Spielen. Aber meistens nur einmal die Woche. Frida wünscht sich nun zum 4. Geburtstag sehnlichst, zum Ballett gehen zu dürfen. Das werde ich ihr auch ermöglichen. Aber mehr als ein Kurs pro Woche ist erstmal nicht drin. Bisher ist es so in Ordnung für die Mädchen.

Vereinbarkeit: Wie glücklich seid Ihr mit der Situation?

Nun ja, es ist OK, aber wir hätten es gerne anders. Papa Mario würde gerne die Kinder mehr sehen und dafür auch gerne weniger arbeiten. Ich würde gerne mehr arbeiten, aber ohne dann den ganzen Stress mit der Kinderbetreuung am Nachmittag zu haben. Ein Traum wären je 75 bis 80 Prozent für uns. Leider ist das im Job des Papas aber nicht möglich.

Außerdem wünsche ich mir, dass die Arbeitszeiten bzw. Präsenzen am Arbeitsplatz flexibler wären. Wenn mein Mann und ich zum Beispiel einen oder zwei feste Tage von zu Hause aus arbeiten könnten. Das würde bei uns doch einiges entzerren. Wir haben nämlich auch keine weitere Verwandtschaft vor Ort. Keine Oma, die mal die Kinder abholt oder bei Krankheit betreuen kann.

Was bedeutet Gleichberechtigung für Dich?

Wenn – egal, ob es wirklich umgesetzt wird, oder aus Gründen nicht – beide Partner die gleichen Möglichkeiten haben. Zum Beispiel die gleiche Möglichkeit, arbeiten zu gehen, die Kinder zu erziehen, den Haushalt zu machen.

Was ist etwas, mit dem Du nie gerechnet hast bevor Du Mutter wurdest?

Dass Schlafentzug so existentiell sein kann für die Gesundheit. Und, dass ich mich so tierisch über eine andere Person aufregen kann, das im nächsten Moment schon wieder vergessen habe und vor Liebe zerfließe.

Inwiefern würdet Ihr Euer Leben optimieren, wenn Ihr könntet?

Die bessere Verteilung der Arbeitszeit wäre so ein Punkt. Sodass mein Mann auch mehr Zeit für die Kinder hat. Oder noch besser: so viel Geld, dass wir gar nicht mehr arbeiten müssten.

…und, wenn ich bei einer Fee einen Wunsch frei hätte, würde ich mich heilen. Ich hadere nicht mit meinem Schicksal und versuche, das Beste daraus zu machen und mich nicht runterziehen zu lassen. Aber natürlich packt mich manchmal schon die Angst vor dem, was da noch kommen könnte: der Rollstuhl, Blindheit, Vergesslichkeit, etc.

Was ist Euch als Familie wirklich wichtig?

Sehr wichtig ist uns, dass wir über Konflikte reden. Dass wir sie nicht brodeln lassen, sondern uns mit ihnen auseinandersetzen, sodass die Kinder nie Angst haben müssen, wir hörten sie nicht an. Und, dass jeder auch einmal anderer Meinung sein darf. Sei es politisch, über ein Buch, das Essen, die Kleidung. Jeder von uns ist eine eigene Persönlichkeit mit eigenen Auffassungen.

 

Über ihr Leben als berufstätige Mama mit MS berichtet Julia Sue auch regelmäßig auf www.mamaschulze.de. Falls Ihr Fragen an Sie habt, schreibt sie uns einfach in die Kommentare, wir leiten sie dann weiter!


18 comments

  1. Namensgleichheit
    High, ich dachte den Namen Julia Sue gibt es nur einmal. P.S. bin acht Jahre alt

  2. Danke, Janine
    Liebe Janine,

    vielen Dank für Deine Erfahrung, das tut wirklich gut, zu hören bzw zu lesen 🙂
    Ich wünsche Dir und Deinee Familie ebenfalls alles Gute,
    viele Grüße!

  3. Hallo Julia Sue,
    Hallo Julia Sue,
    oh was musst Du hier teilweise aushalten… kaum zu glauben! An alle, die glauben, Menschen mit MS sollten keine Kinder bekommen: ich glaub es hackt! Mein Opa hatte MS – er konnte zwar nicht mit uns „klassisch“ spielen, er hat uns aber auf seinem Elektrorolli mitfahren lassen, hat Kurven geschnitten und wir haben Oma gejagt, jedes Enkelkind durfte so oft es wollte. Und alle immer so: schneller Opa, schneller!
    Mein Vater hat MS und ist erst mit 70 richtig immobil geworden, zuvor hat er jahrzehntelang sehr erfolgreich ein mittelständisches Unternehmen geleitet – irgendwelche Fragen? Und glaubt hier irgendwer tatsächlich, dass die Kinder meines Opas oder Vaters lieber nicht geboren werden wollten?
    Wünsche Dir und Deiner Familie alles Gute und viel Kraft für die Zukunft! Du schaffst das!

  4. Vielen Dank
    Ihr Lieben, vielen Dank für Eure tollen Kommentare. Ich freue mich wirklich sehr und wünsche Euch ebenfalls alles, alles Gute 🙂

  5. Dumme Kommentare
    Und an die dummdreisten Vorkommentierer wollte ich die Frage richten, was passiert, wenn gesunde Eltern nach der Geburt ihrer Kinder krank werden?
    Aber wahrscheinlich wolltet ihr nur stänkern!

  6. Ich finds toll
    Wie Du das alles machst und wie Du denkst und lebst! Ich wünsche Eurer Familie alles Gute! Das war der bisher interessanteste Beitrag in dieser Serie. Und für mich auch der realistischste und nah dran am Leben. Vielen Dank für diesen Einblick!!
    LG von Anni.

  7. Respekt…
    …wie Du das trotz Deiner Krankheit schaffst, nicht nur Kinder und Haushalt zu wuppen sondern auch noch 50 Prozent zu arbeiten. Du kannst stolz auf Dich sein! Für die Kinder ist es bestimmt das geringste Problem, dass sie nicht von einer Aktivität zur nächsten gezerrt werden. Ich wünsche Dir weiterhin ganz viel Kraft und Freude an Deiner tollen Familie!

  8. Liebe Julia Sue..
    …vielen Dank für den interessanten Einblick in Euer Leben! Großen Respekt für Euch als Familie. Mein Mann und ich sind beide chronisch krank, Vollzeit berufstätig, er im Schicht- und Wochenenddienst, haben ein 2jähriges Kind und keine Familie vor Ort – ich denke, ich kann mir vorstellen, welche Leistung Dein Mann und Du erbringen.

    Was die Kommentare hier angeht: warum bitte leiden die Kinder?! Ansonsten vielleicht einfach mal informieren, wenn man über eine Krankheit nicht so gut Bescheid weiß, dann erspart man sich und anderen – nennen wir es – unhöfliche Bemerkungen und Fragen!

  9. Es ist unmöglich den
    Es ist unmöglich den Kinderwunsch oder das Kinderhaben einer Frau, eines Mannes oder einer bestimmten Paarkonstellation zu kritisieren – ganz gleich aus welchen Gründen;
    Einem anderen Menschen die Idee für oder die gelebte Elternschaft abzusprechen ist – meiner Meinung nach – das Sahnehäubchen der Intoleranz !

  10. Warum?
    Ich frage mich, warum man mit so einer Krankheit Kinder in die Welt setzen muss?! Die Kinder leiden doch nur.

    1. Ich hoffe…
      … Dass Du keine Kinder in die Welt gesetzt hast, denn die würden ebenfalls sehr leiden – unter Deiner Dummheit und Deiner Intoleranz…

    2. Darum!
      Eigentlich haben die restlichen Kommentare eigentlich schon alles dazu beantwortet. Ich möchte trotzdem noch einen Gedanken mit auf den Weg geben: Wissen Sie, ob Ihnen morgen etwas zustößt, d.h., ob sie angefahren werden, einen Schlaganfall o.ä. haben? Und wer kümmert sich dann um ihre Kinder, falls Sie welche haben? Das sind Dinge, die niemand voraussehen kann. Und genau so verhält es sich mit der MS.
      Ich wünsche Ihnen alles Gute!

  11. Einfach so schwanger?
    Mich würde mal interessieren, ob man einfach so mit MS schwanger werden sollte bzw. darf? Oder gibt es da Dinge, die anders laufen?

    1. gewalttätige kommunikation
      schmerzhaft, gewalttätig und unglaublich dumm dieser kommentar.

      1. Nicht gewalttätig
        Ich finde die Frage von Lisa eigentlich nicht gewalttätig und freue mich, dass sie das interessiert 😉

    2. Schwangerschaft und MS
      Liebe Lisa,
      eine bestehende MS wirkt sich nicht negativ auf eine Schwangerschaft aus. Die MS ist nicht vererblich, es gibt lediglich ein höheres Risiko von 4 Prozent für die Kinder, an MS zu erkranken. Das ist meiner Meinung nach ein verschwindend geringer Prozentsatz.
      Natürlich muss bei einer Frau, die MS hat und Medikamente nimmt, geschaut werden, ob diese weiter genommen werden dürfen oder abgesetzt werden sollten. Das ist von Medikament zu Medikament anders.
      Ist eine MS-Patientin schwanger, gilt dies nicht als Risikoschwangerschaft. In der Regel, geht es den Patientinnen während der Schwangerschaften sogar besser, aber natürlich gibt es Ausnahmen.
      Mittlerweile empfiehlt die Uni Bochum, die auf dem Feld Schwangerschaft und MS forscht, dass junge Mütter mit MS möglichst ein halbes Jahr stillen sollten, weil das der MS guttut. Denn gerade in der Zeit nach der Geburt, haben sie ein erhöhtes Risiko einen sogenannten Schub zu haben.
      Wenn Du mehr Informationen rund um die Krankheit suchst, ist eine erste Infostelle sicherlich die Seite der Deutschen Multiple Sklerose Stiftung auf http://www.dmsg.de.
      Ich habe auch schon einmal zu meiner Schwangerschaft und dem Muttersein gebloggt. Das findest Du hier:
      http://www.mamaschulze.de/2014/11/multiple-sklerose-kinder-meine-erfahrung.html

      Ich hoffe, dass ich Dir mit diesen ersten Informationen ein wenig Deine Frage beantworten konnte?!