Ihr Lieben, es wird ja heute viel gesprochen über die etlichen Anforderungen an Mütter. Sie sollen möglichst super kochen, toll basteln, geduldig sein, dabei noch Karriere machen, Zeit für ihre Freunde und Hobbys haben UND dabei bitte noch gut aussehen. Das ist natürlich Quatsch und vielleicht sollten wir darüber einfach müde lächeln, aber wer kann sich schon von all dem gänzlich freimachen? Na eben!
Katja Grach, die sich als ausgebildete Sexualpädagogin schon in ihrem Blog Krachbumm viel mit dem Thema Elternsex und Fuckability-Zwang von Müttern auseinandersetzt, hat nun ein Buch zum Thema geschrieben: Die MILFmädchenrechnung (Affiliate Link). MILF, das heißt übersetzt: Mother I´d like to fuck.
Im Buch geht es um den Begriff der MILF als kulturelles Gütezeichen, aber eben auch ganz praktisch darum, wo sich Grenzen zwischen Pop- und Pornokultur vermischen – und wo für Frauen heute gesellschaftlicher Zwang beginnt und persönliche Freiheit endet. Wir hatten dazu ein paar Fragen an sie.
Katja, du bist Sexualpädagogin und hast ein Buch darüber geschrieben, wie sich Frauen heute zwischen "Fuckability-Zwang und Kinderstress" aufreiben. Wie kamst du auf die Idee?
Gute Frage. Auf den Titel kam eigentlich mein Literaturagent und ich dachte mir nur: DAS schreib ich! Aber viel vorher hatte ich schon eine Masterarbeit über die Kulturgeschichte der "bösen" Mädchen geschrieben, in der ganz viel vom Siegeszug der Fuckability steckte. Gleichzeitig hab ich mich als frischgebackene Mutter von unglaublich vielen Erwartungen an meine Mutterrolle bombardiert gefühlt, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Und irgendwie fanden diese beiden Stränge dann immer mehr in der medialen Inszenierung der MILF zusammen.
Was meinst du denn damit konkret, wenn du sagst, auch Mütter müssten heute "fuckable" sein?
Es ist auffällig, dass die Mutter, die kultur- und religionsgeschichtlich als asexuelles Wesen galt und immer so einen Gegenpol darstellte ("Alles Schlampen außer Mutti") seit gut 10 Jahren als eines der beliebtesten Porno-Genres herumgeistert. Gleichzeitig wird medial fleißig darüber diskutiert, wer wie lange gebraucht hat, den Babyspeck der Schwangerschaft wieder wegzubekommen. An den Geburten von Herzogin Kate und ihren Fotoshootings danach, lässt sich das gut nachvollziehen. Im Zeitalter der Selbstoptimierung macht der Druck fit, gesund, leistungsfähig, durchorganisiert und sexuell attraktiv zu sein auch nicht mehr vor Müttern halt. Abgesehen davon spielt die Schönheitsindustrie mit unseren Unsicherheiten bzgl. unserer sich ständig verändernden Körper. Insofern sind Mütter eine große Zielgruppe.
Hast du selbst auch das Gefühl, eine MILF (Mother I´d like tu fuck") sein zu müssen?
Jein. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich meinen Körper so wie er ist sieben Tage die Woche toll finde und nichts dran ändern würde. Aber mittlerweile habe ich mir eine Haltung erarbeitet (die meistens für mich funktioniert), dass die Gesellschaft lernen muss, dass es auch Menschen mit Körpern wie meinem gibt und ich es niemandem schulde, etwaiges Bauchfett zu kaschieren. Wenn ich Lust habe mich sexy zu stylen, dann mach ich das. Wenn ich keinen Bock drauf hab, dann müssen andere auch mit der unbearbeiteten Version von mir leben. Menschen sind vielfältig. Das darf gesehen werden.
Aber was mir persönlich schräg aufgefallen ist, dass ich just in dem Moment, ab dem der Babybauch wuchs, nicht mehr in der Art und Weise von Männern auf der Straße wahrgenommen wurde wie vor der Schwangerschaft. Als wär ich plötzlich unsichtbar. Und dann, als das Kind draußen war, stellte sich das wieder um und ich spürte wieder die Blicke. Und gerade in dem Moment, wo dein Busen durchs Stillen total verändert ist und deine Bauchdecke plötzlich ganz anders aussieht, wünscht du dir natürlich, nicht wie eine ausrangierte Milchstation auszusehen sondern wie ein heißer Photoshop-Feger, der dir aus Instagram entgegen lacht.
Ist das denn generell wirklich ein Status, den es heute zu erreichen gilt?
Ich glaube, es ist eher ein Status, den es nicht zu verlieren gilt. Gerade durch diesen gesellschaftlichen Trend, der uns suggeriert, dass alles machbar und schaffbar ist, dass du nur ein paar Blogposts mit zehn Tricks zu einem tollen Hintern, mehr Happyness und einer besseren Work-Life-Balance lesen musst und deinen Smoothie morgens nach dem Sonnengruß trinken brauchst, ist es nur logisch wenn sich diese Machbarkeit auch auf das Thema Sexualität ausweitet. Und das tut es. Das sehe ich als Sexualpädagogin und als aufmerksame Leserin von klassischen Männer- und Frauenzeitschriften, wie sehr der Leistungsgedanke in unsere Schlafzimmer geschlüpft ist. Und das ist auch an dem Druck und der Ablehnung spürbar der in einer unglaublichen Emotionalität sichtbar wird, wenn sich eine Frau im Internet erlaubt, ihre Achselhaare zu zeigen oder wenn über Intimbehaarung "diskutiert" wird. Da gibt es kein "Geschmäcker sind verschieden", sondern unglaublich viele Menschen fühlen sich bemüßigt für andere zu entscheiden, wie diese ihre Körper zu bearbeiten zu haben. So als müssten alle einem gewissen "Standard" entsprechen, um im Falle eines One-Night-Stands keine "bösen" Überraschungen erleben zu müssen. Das ist doch verrückt.
Das ist es in der Tat. Offenbar gibt es da ein vorgefertigtes Bild, dem es zu entsprechen gilt… Das gibt es ja auch bei harmloseren Themen. Zum Beispiel bei einem: "Ach, du siehst ja gar nicht aus wie ne Dreifachmutter." Da fragen wir uns schon, welche Bilder Menschen zu Dreifachmüttern im Kopf haben. Was meinst du, woher die Vorurteile kommen?
Einerseits, wie gesagt, hängt da sicherlich vieles im kollektiven Bewusstsein zur asexuellen Mutterfigur. Das ist aber sicherlich auch vermischt mit den Bildern, die wir zu Fruchtbarkeitsgöttinnen im Kopf haben oder zur Venus von Willendorf. Auch in meinem Kopf ist so eine klassische Mutterfigur eine Frau mit einem dicken runden Bauch und großen Brüsten. Im Real Life assoziieren deshalb vermutlich auch viele Mehrfachmütter mit solchen Körperformen oder auch mit dem Gedanken, dass mehr das Häusliche und vermutlich damit nicht mehr das sexuell Aktive im Vordergrund steht. Es wird vergessen, dass Mutter zu sein, eine Rolle ist, ein Verwandtschaftsgrad, und die Person, die diese Rolle ausfüllt, viel komplexer ist und ihre Figur oder ihr Kleidungsstil noch lange nicht auf ein Klischee reduzierbar sind.
Ein Satz in deinem Buch heißt: "Eine MILF gebiert und zieht Kinder groß, während sie trotzdem das versaute Luder bleibt, das sie schon immer war. Von "Alles Schlampen außer Mutti" zu "Alles Schlampen, auch Mutti" – wollen wir das?" Wie fällt deine Antwort aus?
Nein, wollen wir nicht. Sowohl die Zuschreibungen und alles was dranhängt an der Schlampe (Hure) als auch der Mutter (Heilige) engt uns ein. Wir sollen alles sein dürfen, was wir wollen. Vor allem wir selbst. In allen Facetten – und wenn's jeden Tag ne andre oder auch immer dieselbe ist. Wir verdienen Respekt und Grenzen des Zumutbaren.
Nun habe ich das Gefühl, dass es doch große Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt. Im Babyboom-Viertel Prenzlauer Berg ist es vermutlich etwas anderes als in einem kleinen Dorf im Nirgendwo. Oder meinst du nicht?
Ich bin keine Expertin für den Prenzlauer Berg. Ich lebe in Österreich. Da wäre alles außer Wien im Vergleich mit Berlin quasi Land. Abgesehen davon bin ich ein Dorfkind. Als Sexualpädagogin bin ich in Schulen sowohl dort als auch da unterwegs. Es gibt zwar manchmal Unterschiede, aber der Druck und die Fragen sind überall dieselben. Ich denke, dass ich auch bei Erwachsenen nicht anders. Das Internet hört nicht an der Stadtgrenze auf. Mediale Bilder, die uns Druck machen, Fotofilter am Handy, die uns noch während dem Knipsen die Haut glätten und die Augen vergrößern gibt es dort und da. Meinen Sohn hab ich in einem Krankenhaus im Land zur Welt gebracht. Ob meine Beine da super glatt waren, war mir bei Entbindung ziemlich egal. Als ich aber all die andren Mütter ringsum perfekt gewachst und teils auch noch im fancy Negliee im Zimmer sitzen saß, war ich ziemlich irritiert.
In deinem Blog Krachbumm schreibst du ja auch viel über elterliche Sexualität. Wo siehst du die größten Herausforderungen?
Müdigkeit, Zeit, Gelegenheit, Elternthemen. Ich lebe vom Vater meines Kindes getrennt und wir teilen uns die Elternzeit auf. Das ist ein unglaublicher Luxus für mein Beziehungsleben. Viele Konflikte, die sich durch einen gemeinsamen Haushalt und gemeinsame Obhut der Kinder ergeben, habe ich in dieser Form nicht mehr. Die Mischung aus Zeitmangel und Müdigkeit finde ich bei Eltern wirklich eine große Herausforderung und viele stellen ihre eigenen Bedürfnisse und die als Paar viel zu weit zurück. Aber es ist auch verrückt. In Babyratgebern steht alles Mögliche, wie das Kind im ersten Jahr gut begleitet werden soll, aber die Beziehung der Eltern, die soll einfach so per Zauberhand gelingen. Dabei ist das ja eine komplette Umstellung der Lebensrealität. Gleichzeitig fehlt mir in Beziehungs- und Sexratgebern der Bezug auf die Lebensrealität der Eltern. Kein Wunder, dass es ein Wort wie "Elternsex" gibt. Es muss schon was ganz Exotisches sein, wenn das Thema überall, wo es Platz haben sollte, einfach vergessen wird.
Hast du Tipps für Paare, bei denen durch die Kinder die Leidenschaft ein bisschen eingeschlafen ist?
Das ist eine gefährliche Frage, weil es kein Patentrezept für jede Art von Beziehung gibt und manchen Paaren passt das auch so. Die Verknüpfung von sexueller Leidenschaft, romantischer Liebe und Familienleben ist historisch etwas total Neues. Das gab es mit diesem Anspruch noch nie vorher in der Geschichte. Das waren drei total unterschiedliche Konzepte. Insofern denke ich, müssen wir auch nicht so streng mit uns selbst sein. Außer natürlich, es ist uns wichtig, das Feuer wieder zum Lodern zu bringen. Grundsätzlich würde ich dafür vor allem bewusste fixe Zeitfenster empfehlen, um sich wieder einmal als Paar zu erleben. Sich diese Zeit zu nehmen und nicht darauf zu verzichten, weil irgendwas anderes wieder "wichtiger" ist, ist gar nicht so leicht. Aber wenn eine Beziehung leben soll, muss man ihr auch Platz zum Leben einräumen. Und sonst: TedTalks von Esther Perel. Empfehle ich uneingeschränkt.
1 comment
fuckability
Vielleicht sollten wir uns öfter mal fragen, für wen wir fuckable sein wollen. Und warum. Und was passiert, wenn wir es nicht sind. Die Antwort darauf kann sehr befreiend sein 😉