„Meine Kinder gehen nicht zur Schule, ich unterrichte sie selbst“ Gastbeitrag von Franziska

“Ist denn das überhaupt erlaubt? Die armen Kinder! Die vereinsamen doch!”

Das sagen viele unserer deutschen Hotelgäste entsetzt, wenn ich ihnen auf die Frage, wo unsere Kinder in die Schule gehen, antworte: “Bei mir!”.

Hallo, wir sind die Huelsmeyers (38, 33, 5 & 5), leben in Neuseeland und unterrichten unsere Kinder zu Hause. Und ja, das ist erlaubt und die Kinder finden es ganz spitze. Wir im übrigen auch. 

Angefangen hat alles ohnehin erst vor Kurzem. Denn unsere Zwillinge sind erst im Dezember fünf geworden, womit in Neuseeland die Schulpflicht beginnt. Hier wird jedes Kind an seinem fünften Geburtstag eingeschult – eine grosse Sache, auf die im Kindergarten hingearbeitet wird. Mit einer Abschlussfeier und Kuchen, Kerzen und Gesang wird jedes Kind in das neue Lebensjahr und in die Schule entlassen. Davor geht man mit den Kindern ein paar mal zu Besuch in die Grundschule, damit die Kinder auch wissen, was da auf sie zukommt. 

In unserem Fall war das nicht so erfolgreich. Die Schule ist eine ganz normale Dorfschule, voller Spielgeräte, Bücher, Bildern an den Wänden, Geruch nach Linoleumboden und Handseife, Pipi, Papier und Kreide. Die Kinder kreischen und rennen, tragen in diesem Fall sogar die eigene Kleidung, denn die Schuluniform fängt in unserer Region erst mit der High School an.

Die Lehrerin ist genauso überfordert wie jede Lehrerin weltweit, wenn sie mit 20 Fünfjährigen in einem Raum sitzt, und bemüht sich nach Kräften den Kids liebevoll und spielerisch das ABC, die Zahlen und Lesen beizubringen.

Emil und Anton, unsere Zwillinge, fanden die ganze Sache suspekt und verkrampften augenblicklich. Und auch ich fand das alles zu früh, zu schnell und zu fordernd. Und vielleicht auch etwas konzeptlos, aber ich bin ja kein Pädagoge.

Dazu kam, dass wir in den letzten Jahren nach und in Neuseeland mehrfach umgezogen sind, die Kinder mehrfach die Kindergärten gewechselt haben und mit neuen Institutionen seither etwas vorsichtig sind – und nun kam also schon wieder eine neue Einrichtung. 

"Stell dich nicht so an,  do as the locals do" , dachte ich mir und lächelte meinen Jungs aufmunternd zu. Die aber blockten nach der ersten Stunde komplett ab und es passierte, was ich befürchtet hatte. Mit dem sich grade entwickelnden Selbstbewusstsein, der Sicherheit und der Selbstständigkeit, an der wir mit unseren vielen Umzügen der letzten Jahre, dem Wechsel von Land und Sprache und dem Mangel an Familie um uns herum, so hart gearbeitet haben, war in der neuen Umgebung, mit den vielen Erwartungen der Schule an die noch fünfjährigen Kinder plötzlich Schluss.

Anton setzte sich hilflos in eine Ecke, bewegte sich nur noch wenn nötig und hoffte, dass die nächste Frage, die nächste Aufmerksamkeit der Klasse, die nächste Bitte der Lehrerin, an ihm vorbeigehen möge. Kurzum, er machte dicht und stellte sich unsichtbar.

Emil hingegen war sehr beflissen, alles richtig zu machen und zu glänzen, das Kind liebt Lob und Aufmerksamkeit. Wenn er füchtet zu scheitern, wird der wütend. Er wird sauer auf die ganze Situation, auf das Gefühl, nicht zu wissen, was er zu tun hat, und schließloch auch auf die Schule an sich. In seinen Augen, hinter all der Enttäuschung, stiegen dicke Tränen auf. 

Das war der Punkt, an dem die Löwenmutter in mir hoch kommt. Ich versuche nicht mehr zu machen, was mir widerstrebt, sondern ich bin mir sicher, dass es für meine Jungs noch zu früh ist, in die Schule zu gehen. Ich weiß, dass wenn ich sie trotzdem schicke, ich ihrer Entwicklung und Selbstständigkeit, ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Freude am Lernen nur entgegenwirke. Nach wenigen Wochen hätte Anton sich in sein Schneckenhaus verkrochen und Emil wäre bekannt als das Kind, das Sachen nach der Lehrerin schmeißt, wenn er nicht weiterweiß.  Nicht, weil die Kinder verhaltensgestört wären oder gar schwierig. Im Gegenteil. Ich kenne sie als umgänglich, lieb, fürsorglich, wißbegierig und clever. Sondern weil sie mit fünf Jahren vielen Situationen einfach noch nicht gewachsen sind, oder in unserem Fall einfach nicht gewachsen sein müssen. 

Wir sind nach Neuseeland gegangen, weil wir hier alles einfacher finden, lockerer, langsamer. Mit mehr Zeit und weniger Druck. Mit mehr Relaxtheit. Und das tut uns allen richtig gut. Nur das mit der Schule mit fünf, das tut nicht so gut. Und nun steht also fest, wir schicken sie (erstmal?) nicht zur Schule. 

Aber was dann? Der Kindergarten hätte sie wohl noch sechs Monate betreut und wir hätten es dann vielleicht nochmal versucht. Vielleicht. Aber nachdem man ihnen monatelang erklärt hat, dass "große Kinder" mit fünf in die Schule gehen, wollten sie da nicht mehr in den Kindergarten. “Alle anderen Kinder da sind nur noch Babies” haben sie uns erklärt und sich geweigert, auch nur darüber zu sprechen, weiter in die Kita zu gehen. 

“Ich habe alle meine Kinder zu Hause unterrichtet”, sagte plötzlich Karen, meine Freundin aus dem Nachbarort. “Du bist auch ein Hippie!” antwortete ich lachend, “du wohnst in einer Yurte im Wald und versorgst dich selbst aus dem eigenen Garten”. Karen lebt einen sehr alternativen Lifestyle, Montessori, Rudolf Steiner und andere alternative Erziehungskonzepte sind hier sehr populär, so auch das Homeschooling, wenn nicht sogar ‘unschooling’.

Nicht nur, weil die Schule in vielen Fällen ganz einfach zu weit weg ist, sondern auch weil die Idee, die Kinder zu Hause zu unterrichten und ihnen damit ein extrem individuelles Lernumfeld zu bieten, mit dieser Weltanschauung einher geht. In meinen Augen war das allerdings weit weg von dem, was zu uns und unserer Familie passt – dachte ich zumindest, denn wir sind doch eigentlich ‘ganz normale Leute’.

Doch irgendwie hat mich das Gespräch mit Karen nicht mehr losgelassen und die nächsten Tage und Wochen habe ich viel gelesen, recherchiert, mich eingearbeitet, in Foren angemeldet und Fragen gestellt. Und siehe da, auf einmal kam es für uns in Frage, das ‘homeschooling’. Als ich zu Karen sagte, dass wir dem ganzen eine Chance geben und es für das erste Jahr ausprobieren, war sie so gerührt, dass sie fast Tränen in den Augen hatte. Sie sagte: "Deine Kinder werden Dir immer dafür dankbar sein, auch wenn sie es vielleicht erst zu schätzen wissen, wenn sie selbst Eltern sind. Für dich ist es eine der krassesten Entscheidungen – solltest du mal nicht weiter wissen, ruf mich an. Es gibt hier viele Eltern, die ihre Kinder selbst unterrichten, wir helfen uns viel gegenseitig. Und wichtig: Egal, wie müde, angestrengt oder frustiert du manchmal dabei bist – du wirst das gut machen." 

Naja. Und da bin ich nun. Eine Mutter, vollzeit von zu Hause arbeitend,  7 Tage die Woche, 9 Monate im Jahr, die beschlossen hat, ihre Kinder nicht in den Schulbus zu stecken und 8 Stunden Ruhe am Tag zu geniessen, sondern die beiden Wirbelstürme zu Hause zu unterrichten. Auf was ich mich da einlasse, weiß ich nicht. Was ich aber weiß: Ich habe den festen Willen, mein Bestes zu geben und es einfach zu versuchen.

 

 


10 comments

  1. Ich finde es klasse und hier
    Ich finde es klasse und hier in Neuseeland ist es ja auch normaler „zu homeschoolen“
    Viele unserer Bekannten machen es aus den Unterschiedlichsten Gründen und ich werde es ab demnächst für unsere Tochter machen da sie in der Highschool ihr NCEA level 1 german exam machen möchte allerdings erst in der achten Klasse ist und das in der Schule mit dem Stundenplan der 11 Klasslerinnen nicht passt.
    Hoffe ihr macht gaaaaanz viele tolle Sachen und lass dich nicht stressen denn wie du schon selber sagtest hier ist alles ein wenig langsamer.
    Liebe Grüße aus Timaru
    Simone

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  3. Hallo Emil und Anton !!!!! 🙂
    Hallo Franzi! Oh, wie schön, von Anton und Emil zu hören!!!! Ich habe Deinen ehemaligen Blog gerne gelesen. Er hat mich durch die ICSI begleitet, in der unsere Tochter entstand! 🙂 Jetzt nehmen wir gerade Anlauf fürs zweite Kind. Neulich Abend hab ich noch gedacht: Mensch, Emil & Anton müssten doch dieses Jahr schon 6 Jahre alt werden. Jetzt sind sie schon bald Schulkinder, wie die Zeit vergeht!? Wie’s denen wohl geht? Und dann kam der Post am nächsten Morgen – was für ein Zufall! 🙂 Wir tragen uns übrigens auch schon länger mit dem Gedanken des Homeschoolings inclusive Auswanderns. Hat aber noch etwas Zeit. Würde mich freuen, mal wieder irgendwo etwas von Euch zu lesen. 🙂 Seid Ihr eigentlich noch in der Split Apple Lodge, von der Du mal berichtet hast, oder hat es Euch inzwischen woanders hin verschlagen? Könnt Ihr Euch vorstellen dauerhaft in Neuseeland zu bleiben oder habt Ihr vor wieder zurück zu kehren? Bleibt weiterhin so neugierig und lebensfreudig, Ihr Vier!!! Lilly 🙂

  4. Ich finde das sehr interessant
    Bitte bitte bitte lasst einen Bericht in ein paar Monaten folgen, in dem steht, wie es so läuft! Sehr interessant! Danke!

  5. Liebe Franziska…
    … Wir sind als „ganz normale Leute“ (um es mit deinen sympathischen Worten zu beschreiben) kitafrei in Deutschland und damit genauso exotisch.
    Aber für alle fühlt es sich gut an. Und lässt sich durchaus mit Arbeit kombinieren.
    Ich kann deine Beweggründe mehr als gut verstehen…

    Und ich verstehe den Satz mit den 8 Stunden Ruhe genau richtig. Damit ist kein Cocktail trinkendes Ausruhen in der Hängematte gemeint, sondern mentale Ruhe/ andere Gedanken. Aber so richtig werden das nur Selbstbetreuer verstehen können…

    Daher wünsche ich euch auf eurem Weg viel Erfolg.
    Schade dass es Homeschooling nicht in D gibt. Eine Bildungspflicht statt Schulpflicht wäre toll. Für viele Kinder und auch Eltern. Darum genießt den Vorteil.
    Alles Liebe

    1. Wie schafft ihr es Arbeit und Kitafrei zu kombinieren?
      Wir verzweifeln nämlich schon daran, noch die beiden Monate Eingewöhnung über die Runden zu kommen. Tipps wären also mehr als willkommen!

      1. Liebe Lana.

        Liebe Lana.
        Bitte verzweifele nicht. Höre auf dein Herz und dein Gefühl. Unsere Kinder sind das kostbarste.
        Ich vermute dein Kind wird noch zu klein sein, um dir erzählen zu können, was es erlebt am Tag…

        Vielleicht kann einer von euch seine Elternzeit verlängern?
        Evtl reicht es auch eine zeitlang von einem Gehalt zu leben?

        Meine Schwägerin z Bsp arbeitet TZ und an einem Tag passt ihre Mutter auf und an dem anderen ihre Schwiegermutter.
        Ich selbst kann meine Kinder mitnehmen auf Arbeit.
        Meine Freundin arbeitet am Wochenende. Manche sind selbstständig.

        Manchmal hilft es ein bisschen um die Ecke zu denken und auch mal was zu wagen. Evtl entspricht es auch nicht dem konventionellen Weg, den die Gesellschaft vorgibt. Bei uns hatte z Bsp der Papa 10 Monate Elternzeit.

        Es gibt ein Ebook von Berufung Mami. Darin werden einige Mütter interviewt, die Arbeit und Betreuung kombinieren.
        Manchmal ist eine liebevolle Tagesmutti besser als eine Krippe.

        Lg

        1. Danke!
          Danke für die nette und ausführliche Antwort, verzweifeln war auch zu stark ausgedrückt, da hätte ich mich mehr zurückhalten sollen, aber wir stehen vor einem schier unüberwindlichen Puzzle mit neuer Teilzeitstelle samt Pendeln und Beförderung – das Ganze ohne Großeltern vor Ort. Die Option mitnehmen haben wir manchmal auch schon genutzt, aber ich dachte auch an solche Wege wie Leihoma oä. Da schaue ich mal in das empfohlene Buch – Danke!

  6. Ein spannendes Abenteuer
    Hi, ein sehr interessanter Beitrag und ich hoffe, wir lesen irgendwann die Fortsetzung der Geschichte.
    Unsere Kids sind auch mit 5 in die 1. Klasse gekommen und mit 4 in die Vorschule – englisches Schulsystem. Es hat bei den meisten Kids gut geklappt. Aber es waren auch stets sehr kleine Klassen und tolle Lehrerinnen.
    Wir haben aber auch das Abenteuer „homeschooling“ für einige Zeit gelebt und es war für uns alle spannend und bereichernd. Und ja, es ist ein Vollzeitjob!
    Diese Form des Lernens bringt tatsächlich sehr viele Vorteile mit sich und man lernt selbst noch jede Menge; vor allem wie die eigenen Kinder denken – viele coole Momente!
    Ich wünsche Euch viel Erfolg!!! Und ich hoffe, Ihr habt Zugang zu gutem Material! Es gibt so viel, gerade auch online.

  7. ich finde es mutig…
    … und gut! jeder soll die möglichkeiten, die es gibt, so nutzen, wie es jedem liegt. warum denn nicht? wie alles im leben hat auch das homeschooling seine vor- und nachteile. und wie immer im leben, werden alle kinder groß 🙂 mich würde ein weiterer erfahrungsbericht dann in einem jahr interessieren. wie es dir, als mutter dabei geht – wie du dich abgrenzen kannst, in deinen rollen bspw. – und wie gut es den jungs tut.