Man kann es aber auch nur falsch machen – Vom Erziehungswahnsinn

Ihr Lieben, im Netz geistert dieser Tage mal wieder ein Text, in dem es heißt, nicht nur Tadeln schade dem Kind, sondern auch Loben. Denn Lob führe dazu, dass die Handlung nur dann vollzogen werde, wenn Lob zu erwarten sei. Sonst nicht.
Die nächsten sagen, Lob sei ein Motivator, wieder andere sagen, es brauche Frühförderung, die anderen sagen, lasst die Kinder bitte Kinder sein.
Ich frage mich: Warum wehren sich eigentlich so viele, dass die Politik zu sehr in unsere Privatsphäre eingreift, aber die Erziehungswissenschaftler/-experten lassen wir freiwillig einziehen in unsere Wohnzimmer?!? In unseren intimsten Alltag, unser tägliches Leben?
Denn wenn niemand diese Artikel und Bücher und Schriften lesen würde, dann gäbe es sie nicht.
Ich lese sie auch. Viele jedenfalls. Mehr aus beruflichem Interesse, aber auch als Denkanstoß, um über meine eigene Situation nachzudenken. Im Grunde ändere ich mein Verhalten aber kaum, denn wenn ich gute Laune habe, reagiere ich auf Dinge anders, als wenn ich mit dem falschen Bein aufgestanden bin. Egal, was in Ratgeber xy stand. Das ist nur menschlich. Und Menschlichkeit ist etwas, das meine Kinder von mir abschauen dürfen.

Dieser Text „Lasst die Leine locker!“ gefiel mir dabei in den letzten Tagen besonders gut und es gibt nur wenige Texte, mit denen ich mich gut identifizieren kann in diesem Erziehungskontext.

Ich finde, Live-Treffen helfen immer noch am besten. Nichts ist wohltuender als ein Müttertreffen am Abend, an dem wir uns bestätigen und respektieren und gegenseitig Anerkennung schenken und das Gefühl teilen können, nicht allein zu sein. Dort tauschen wir uns so aus, so dass ich vielleicht wirklich kurzfristig eine bessere Mutter werde, weil ich am nächsten Tag mit so guter Laune aufwache.

Caro, unsere Ex-Stadt-Mama, sagte neulich zu mir, ich sei ungefähr die unautoritärste Mama, die sie kenne.

Ich kann das nicht ganz unterschreiben. Auch ich habe Grenzen. Vielleicht sind die weniger eng gesteckt als bei anderen, ich habe ziemlich elastische, starke und lange Geduldsfäden. Wenn diese allerdings überstrapaziert werden, werde ich auch mal ungemütlich. Und klar: Ich lasse mich zum Beispiel nicht beißen oder schlagen und auch meine Kinder müssen sich im Auto anschnallen. Ansonsten wachsen sie vielleicht insofern frei auf, als dass ich nicht viel Energie in Dinge stecke, die sie irgendwann eh von alleine ändern.

Ich sage nicht den ganzen Tag: „Es heißt „ich möchte“ und nicht „Ich will““. Ich sage auch nicht „Wie heißt das Zauberwort?“ Aber sie hören bei jeder möglichen Gelegenheit von mir ein Dankeschön und merken, dass der Metzger dann freundlich reagiert. Und natürlich wissen sie, dass die Straßenschuhe nicht auf den Couchtisch gehören, wenn noch Pferdeäpfel drunter kleben. Aber im Grunde denke ich auch: Spätestens wenn sie selbst putzen müssen, tun sie das eh nicht mehr. Dazu gibt es von mir auch schon mal einen Kommentar, aber im Grunde denke ich auch: Hier ist grad niemand in Gefahr, warum also aufregen.
Ich mache das so und finde auch sämtliche anderen Varianten okay, solange niemand zu Schaden kommt dabei. Ich bin kein Erziehungs-Missionar und will („möchte“) auch nie einer werden, indem ich propagiere, meine Methode sei die Beste. Ist sie nämlich nicht. Jedem passt eben ein anderer Schuh. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Wichtig ist, dass diejenigen, die dran beteiligt sind, sich damit wohlfühlen und darin für sich das praktikabelste Modell finden.

Vieles ergibt sich bei uns einfach von selbst. Wichtig ist mir, dass unsere Kinder wissen, wie man sich eigentlich verhält, woanders, wenn sie mal nicht zu Hause sind. Und das wissen sie und das klappt auch.

Ich finde außerdem wichtig, sie Erfahrungen sammeln zu lassen und ihnen immer Vorbilder an die Hand zu geben, von denen sie sich etwas abschauen können. Eine Vorbild-Methode, keine Erziehung. Denn Erziehung kommt von ziehen und ich möchte sie ungern in irgendeine Richtung ziehen. Vielleicht meinte Caro das mit meiner Nicht-Autorität, es fehlt hier an Erziehung. Zumindest im Wortsinn.

Ich versuche, unsere Kinder so zu nehmen, wie sie sind. Auch wenn das manchmal anstrengend ist. Aber eben ganz oft auch ganz schön komisch. Und vor allem: erkenntnisreich. 

 


7 comments

  1. Ja schon, aber…
    … dass du/ihr/wir überhaupt SO denken können, hat doch damit zu tun, dass es Expert*innen gibt, die sich mit dem Thema Erziehung auseinandersetzen und so zum Beispiel festgestellt haben, dass das mit dem Schreienlassen, Schlaflernpogrammen, Prügelstrafen u.ä. vielleicht nicht der beste Weg ist. Klar, manche Eltern haben diese Methoden auch vor 60 Jahren nicht angewandt.. aber damit die Haltung einer Gesellschaft sich verändern kann, braucht es doch auch immer Expert*innen, die Veränderungen unterstützen, antreiben und verbreiten. Und es gibt immer ‚Verhaltensausreißer‘ nach oben und unten und von daher finde ich es gut und richtig, wenn hin und wieder jemand daran erinnert, dass drölfzigtausend „Super!!!“ am Tag vielleicht gar nicht den Zweck erfüllen, den sie sollen. Expert*innen verpflichten Eltern ja zu nichts, sie geben einfach ihre (teilweise gut begründete) Meinung ab und dann können wir aus diesem Angebot wählen, was wir annehmen wollen und was nicht.

    Viele Menschen können nicht aus ihrer Intuition heraus angemessen handeln, weil sie keine Verhaltensvorbilder haben/hatten und dann kann es sehr hilfreich sein, wenn sie sich belesen können.

  2. Bauchgefühl
    Herrlich! Endlich mal jemand der es begriffen hat!
    Nichts finde ich schlimmer als Erziehungsratgeber!
    Es gibt einfach kein patent Rezept zum Kinder erziehen, denn auch in einer Familie ist jedes Kind anders.

    Mütter, hört auf euer Bauchgefühl und lasst euch durch ständiges nölen und gut gemeinter Ratschläge nicht das Zepter aus der Hand nehmen! Hört auf eure innere Stimme, die zeigt euch den richtigen Weg, ganz individuell für jedes kleine Seelchen.

    Pädagogen sind auch nur Menschen und irren ist menschlich!

    Liebe Grüße
    Miri ( Erzieherin, die sich von Herzen wünscht dass Eltern wieder auf sich selbst hören und auf sich und ihre Fähigkeiten, vor allem aber auf die Fähigkeiten der Kinder zu vertrauen)

  3. Gehtmirauchso!
    Schön wie du diese natürliche, unkompliziertheit beschreibst! Du bist echt und autentisch, das ist wichtig für Kinder. Egal ob deine Grenze bei etwas Schmutz beginnt oder erst bei Gefahren. Die Kinder merken dein inneres unwohl sein, besser du drückst es aus! So soll jede Familie ihre Individuellen Grenzen finden und ausdrücken!
    Meine sind da ähnlich wie deine denke ich, ziehmlich locker und offen für die Individualität des Kindes.

    Grüsse aus der Schweiz, Anouk

  4. Gut gebrüllt Löwin 😉
    Bis jetzt war ich immer stille Leserin… hier möchte ich jetzt doch mal meinen Senf dazu geben. Das ist eine super Einstellung, vorallem das mit dem Erziehen kommt von ziehen. Stimmt eigentlich das wir mehr nach dem Vorbild sein leben sollten. Wenn uns die Kid’s ja schon so schön den Spiegel vorhalten *grins*… Ich persönlich werde mir das zu Herzen nehmen, obwohl ich jetzt schon weiss das es nicht immer klappen wird.
    Ich finde auch man bzw.frau sollte es so handhaben wie es für sich passt. Schliesslich kann man es ja sowiso nicht allen recht machen. Also machen wir’s doch so das es für uns passt.Basta! Schliesslich müssen wir damit leben. liebe grüsse aus der schweiz

  5. Noch keinen gelesen!
    Ich hab jetzt zwei Kinder und noch keinen Ratgeber gelesen. Was Lisa sagt, finde ich völlig richtig: der Austausch mit anderen Müttern ist doch das Wichtigste. Schließlich interessiert mich viel mehr, was Menschen, die ich gut kenne und schätze und deren Kinder ich auch kenne, über Erziehungsfragen denken als irgendwelche Theoretiker. Bisher bin ich gut damit gefahren 😉

  6. Zwei Kinder und viele
    Zwei Kinder und viele gutgemeinte Tips später, kann ich keine Ratgeber mehr sehen. Aber ich kann den Bedarf nachvollziehen. Wir waren die ersten im Freundes/Bekanntenkreis mit Kindern. Auch in der Familie gab es keine Babys. Unsere Tochter war das erste Baby überhaupt das wir auf dem Arm hatten. Und wir waren total unsicher. Bauchgefuehl und Intuition waren nicht da, wenn ich sie gebraucht hätte. Heute hat man halt nicht die Mehrgenerationenfamilie um sich rum, wo Kinderbetreuung und Erziehung ein Stück weit von jedem übernommen wurden und man damit aufwaechst. Die Kunst oder Schwierigkeit ist diese ganzen Tips einzuschätzen und nicht ein Buch von der ersten bis zur letzten Seite auf Brechen und Biegen umsetzen zu wollen. Was ich aber wirklich wichtig finde was Lisa schreibt: die Kinder annehmen wie sie sind. Das heißt nicht dass man alles gutheißen und tolerieren muss. Aber die Kinder in ihrer Persönlichkeit zu erkennen und zu unterstützen! Das ist eine Aufgabe! Viele Grüße.

  7. Du hast recht
    Ich könnte in jedem Erziehunsratgeber oder Tipp den ich lese bzw bekomme was wahres und meist positives entdecken und finde schwierig da den Mittelweg also meinen Weg zu finden ohne gleich jeden Tag alles wieder umzukrempeln.
    Ebenso bin ich bemüht nicht jede Methode die eine andere Mutter anwendet kritisch zu beurteilen. Daher frage ich mich wie reagierst du auf einen Kommentar, wie du ihn jetzt von Caro erhalten hast?
    Fühlst du dich angegriffen? Macht dich das nachdenklich? Wie ist so ein Kommentar eigentlich gemeint? Ich fühle mich da ganz schnell kritisiert und bin da wohl nicht so selbstbewusst bei meinem ersten Kind (2,5j).