In Syrien tobt der Krieg und die Welt schaut zu: Die vergessenen Kinder von Ost-Ghuta

Ihr Lieben, in der letzten Nacht habe ich wieder ganz intensiv von meinem kleinen syrischen Freund geträumt. Es war im November 2015, als er hier mit seinen Eltern vor unserer Tür stand. Eine Freundin hatte via Facebook Menschen gesucht, die die Drei für ein oder zwei Wochen aufnehmen könnten, weil die Situation in der Turnhalle, die sie mit etlichen anderen Menschen aus den verschiedensten Nationen bewohnten, untragbar geworden war.

Der Kleine, damals vier Jahre alt, litt unter einem Herzfehler und hatte auf der Flucht aus Syrien zweimal operiert werden müssen. In der Turnhalle lagen die Menschen Pritsche an Pritsche. Ohne Sichtschutz. Viel zu nah.

Als der kleinen, jungen Familie eine Wohnung in Aussicht gestellt worden war – und sich diese Option zerschlug, war das Limit erreicht. Die Mama brach erschöpft zusammen, sie hatte sich so gefreut. Nun wieder ein Rückschlag?  Meine Freundin, die in der Turnhalle half, sah, dass die kleine Familie nun dringend einmal raus muss aus dieser Situation. Rein in ein Stückweit Privatsphäre.

„Hat irgendjemand einen Raum, in dem man die Türen schließen kann und in dem die Familie übergangsweise unterkommen kann?“

Ich las den Aufruf und im Großfamilien-Rat beschlossen wir: sie  sollten zu uns kommen. Es war schon dunkel, als die Familie unser Haus erreichte und wir waren aufgeregt. Wir kannten uns nicht. Hatten uns noch nie gesehen, kannten unsere Gewohnheiten nicht. Instinktiv entschieden wir uns trotzdem, uns zur Begrüßung zu umarmen. Es war der Beginn einer wunderbaren Vertrauensbeziehung, die bis heute anhält.

Mittlerweile lebt die Familie in einer kleinen, schönen Wohnung in Köln, hat Freunde gefunden und ist angekommen. Sie hat noch ein zweites Baby bekommen, das mittlerweile eins ist. Und zu Karneval schickten sie mir Fotos ihrer geschminkten Gesichter vor dem Kölner Dom. Noch immer schickt der Kleine abends gern Sprachnachrichten per Whatsapp. Am Anfang war es vor allem mein Name, den er sprechen konnte. Mittlerweile ist er ein Kitakind und bringt neben „Lisa“ auch schon ein astreines, deutsches „Ich vermisse dich“ über die Lippen.

Die Welt dieser kleinen Familie, die auf der Flucht auf Pappkartons schlief und die wie so viele andere mit einem viel zu voll beladenen Boot zu uns in die Sicherheit floh, dreht sich hier weiter. In ihrer Heimat ist derweil nichts mehr, wie es war.

Ähnlich wie in Aleppo vor gut einem Jahr, wird nun die syrische Region Ost-Ghuta bombardiert. Es sind die bisher schlimmsten Luftangriffe der Regierung. 400.000 Menschen sind quasi eingekesselt. Es fehlt an allem, an Nahrung, Medikamenten und Benzin. Vor allem aber an Sicherheit. Denn die Luftangriffe werden offenbar gezielt so eingesetzt, dass nach dem ersten bald ein zweites Bombardement folgt, um damit auch die Ersthelfer zu treffen. Weitere Ziele sollen Krankenhäuser und Schulen sein, um die Rebellen so zu schwächen, dass sie irgendwann aufgeben.

Es ist das eine, Fernsehbilder von fernen Regionen zu sehen. Es ist das andere, zu wissen, dass die kleine Familie, die mir und uns so ans Herz gewachsen ist, aus dem Land stammt, in dem gerade vor den Augen der Weltöffentlichkeit derartige Kriegsverbrechen begangen werden.

Diese Kinder haben Namen. Sie haben Mamas und Papas und Geschwister. Sie haben kleine Rucksäcke, mit denen sie in Kitas und Schulen gehen, bis entweder die Schule in Schutt und Asche liegt oder … ich kann hier gar nicht weiter schreiben.    

Es ist unfassbar, was da gerade geschieht. Laut Spiegel Online wollen die USA möglichst gar nichts mehr mit dem Krieg in Syrien zu tun haben, Russland lehne einen Waffenstillstand ab – und Europa sei sich einfach zu uneins, um wirklich einschreiten zu können. Ja, darf das denn wahr sein?

Das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF hat am Dienstag eine Pressemitteilung rausgegeben, die die Stimmung so vieler wiedergibt. Sie wurde nämlich fast leer veröffentlicht. Nur eines stand darin: „Wir haben keine Worte mehr, um das Leiden der Kinder und unsere Empörung auszudrücken.“

 


7 comments

  1. Ich kann das alles nicht mehr
    Ich kann das alles nicht mehr hören:

    Wer hat meinen beiden Großelternpaaren damals im 1. UND 2. Weltkrieg geholfen?????????????????????

    Wer hat meinen Eltern und diesen Familien im 2. Weltkrieg geholfen??????????????? HEIMAT verloren – ALLES VERLOREN!!!!!!!!

    N I E M A N D!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

    Sie mußten sich durch diese ganze NOT ALLEIN!!!!!!!! durchkämpfen und durcharbeiten.

    1. Sybilla,
      wäre es nicht unendlich schön, wenn die Welt seitdem ein wenig besser geworden wäre? Wäre es nicht erstrebenswert, wenn Menschen in Not selbstverständlich geholfen würde?
      Auch meine Großeltern flohen. Nachdem Sie so viele Menschen gerettet haben, sollten sie selbst festgenommen werden und flohen. Und sie mussten sich auch durchkämpfen. Aber es wurde ihnen immer und überall Hilfe zuteil. Wenn sie dachten es ginge nicht weiter, kam irgendwo ein Engel daher. Ich hoffe, dass insgeheim und vielleicht auch kaum erkennbar auch bei Ihren Großeltern diese Sicht vorhanden ist.

  2. Ohne Worte
    Man ist wirklich ohne Worte angesichts der Situation, es ist unsagbar schlimm und traurig. Danke dafür, dass du trotzdem hier Worte gefunden hast.
    Und meinen größten Respekt dafür, dass du dieser netten Familie ein Dach und Hoffnung gegeben hast.
    Hoffentlich gibt es bald Frieden.

  3. Helfen
    Hallo Lisa,
    kennst du dich mit den Hilfsorganisationen aus bzw hast du eine Idee oder Infos darüber, was man tun/ wie man helfen kann?

  4. Mir geht es wie Barbara
    Ich schaue selten die Nachrichten. Aber gestern hab ich sie gesehen und genau wie Barbara gehen mir die Kinder Szenen nicht mehr aus dem Kopf…. Sie sind so unschuldig. Zur falschen Zeit im falschen Land geboren.
    Was denken wir manchmal im Alltag Probleme zu haben und wenn wir dann solche Grausamkeiten sehen, da wird alles so bedeutungslos…Dort geht es um das nackte Überleben…
    Mein Sohn schläft friedlich in seinem Bettchen.
    Aber die schwer verletzten Kinder dort haben genauso Mütter die sie innig lieben…. Das ist alles so ungerecht.
    Und falls Sie es schaffen diese Hölle zu überleben, dann sind sie für den Rest des Lebens traumatisiert.
    Die Spezies Mensch scheint wirklich vom Teufel besessen zu sein. Anders ist so etwas nicht zu erklären.

  5. Danke
    Ihr seid der einzige mit Mama Block, Der auch immer wieder aktuelle Themen aufgreift. Das ist so wichtig. Dass man nicht nur in seiner Mama Blase fest hängt. Vielen Dank dafür

  6. Gestern Abend…
    …sind mir während der Nachrichten die Tränen gekommen. Der kleine schreiende Junge, der verletzt in den Armen eines Helfers weggetragen wurde geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Gleichzeitig schlief oben mein kleiner Sohn friedlich und warm in seinem Bettchen. Dieses unfassbare Leid der Menschen und v.a. der Kinder ist so unvorstellbar und es macht mich so wütend zu wissen, dass die Kleinsten nichts dafür können und trotzdem alles zehnfach abbekommen…Man kann nur beten, dass dieser sinnlose Krieg endlich aufhört. Aber im Moment sieht es ja nicht danach aus….