Liebe Tochter, lieber Sohn,
heute ist mal wieder ein gemeinsames Abendessen ins Wasser gefallen. Denn Eure Schwester hat wieder mal geschrieen. Nein, geschrieen trifft es eigentlich nicht mehr. Sie hat gebrüllt wie am Spieß. Über eine Stunde lang. Ich habe es nicht geschafft, sie zuberuhigen. Und wurde darüber selbst ganz nervös. Wisst Ihr, was mir unheimlich geholfen hat, um nicht völlig durchzudrehen? Dass Ihr ruhig geblieben seid.
Es ist ja nicht der erste Abend, der so endet. Leider ist es ganz schön oft so. Eure Schwester ist fordernder als ihr es wart, aber tagsüber läuft es mit ihr immer besser. Nur die Abende, die bleiben – sagen wir es mal – "speziell" mit ihr. Ab halb sechs rauscht ihre Laune in den Keller, sie ist müde, alles wird ihr zu viel, sie fängt an zu schreien. Sie will nicht mehr gestillt werden, rumhopsen bringt auch nur kurz etwas, meine Nähe scheint ihr manchmal zu viel zu sein, sie will aber auch nicht alleine liegen.
Und so veranstalte ich jeden Abend ein recht hilfloses Theater, das Geschreie wenigstens zu minimieren, wenn ich es schon nicht abstellen kann. Heißt: Meistens nehme ich das Baby in die Trage und bin nonstop in Bewegung – was aber bedeutet, dass ich nur sehr selten mit Euch gemeinsam abendessen kann.
Nun seid Ihr erst drei und sechs Jahre alt -also selbst noch nicht sooo groß, als dass ich Euch mit gutem Gewissen alleine essen lassen könnte. Manchmal tut ihr das aber, weil das Geschrei zu laut wird. Manchmal läuft es besser und ich kann wenigstens bei Euch sein – auch, wenn ich durch den Raum hopse.
Nun könnte man meinen, dass Euch das schrecklich nervt, Dass Ihr sauer auf Eure Schwester seid und sie zum Mond wünscht. Aber nichts davon trifft zu. Ihr seid unfassbar gelassen, beschwert Euch so gut wie nie. Nur manchmal haltet Ihr Euch die Ohren zu oder verdreht die Augen, aber das kann ich, ehrlich gesagt, ziemlich gut verstehen.
Überhaupt seid Ihr beide ganz ganz tolle große Geschwister. Viele Menschen hatten mich gewarnt, ich solle mit Eifersuchts-Szenen rechnen oder mit Rückschritten in Eurer Entwicklung. Aber nichts traf ein. Nach der anfäglichen übergroßen Aufregung habt Ihr Euch ganz schnell eingegroovt und Eure Schwester sofort in Euren Kreis aufgenommen.
Ihr seid stolz auf sie, präsentiert sie gerne im Kindergarten. Ihr seid so lieb zu ihr, versucht sie zum Lachen zu bringen und knutscht sie von oben bis unten ab.
Ihr macht mir keine Vorwürfe, dass Ihr mich nun noch mehr teilen müsst. Ihr seid einfach wunderbar.
Wisst Ihr, wir Mütter hadern oft mit uns. Denken, dass wir alles nicht gut genug machen. Dass wir mehr, besser, größer, bunter, schneller, sauberer sein müssten. Wenn ich Euch beide so angucke weiß ich, dass ich doch so einiges richtig gemacht habe. Sicher nicht alles, aber genug, damit aus Euch zwei lustige, liebe und empatische Kinder geworden sind.
Danke für Eure Hilfe, Eure Unterstützung, Eure Geduld. Danke einfach dafür, dass ich Eure Mutter sein darf.
PS: Das Foto hat die liebe Leni Moretti im Sommer gemacht als Eure Schwester noch in meinem Bauch war 🙂
4 comments
Sehr beruhigend
Ich bin ganz frisch mit meinem zweiten Kind schwanger und bekomme gerade einen Panikanfall nach dem nächsten und weiß nicht mehr, warum wir uns darauf eingelassen haben. Unser kleines Dreiergespann ist (war) wundervoll und funktionierte perfekt. Aber in neun Monaten ist dies wohl vorbei. Ich habe jetzt schon ein schlechtes Gewissen meinem großen Kind gegenüber. Deswegen tut es gerade gut zu lesen, dass Kinder die Veränderung wohl besser weg stecken, als die Eltern?!
Toller Text
das hast Du toll geschrieben! Da werde ich mir eine Scheibe abschneiden. 🙂 Im Sommer kommt unser drittes Kind und ich bin sehr gespannt, wie das baby sein wird und wie meine beiden Großen damit umgehen werden. Sie sind ja dann erst 4 1/2 und nicht ganz 3. Aber mir ist schon klar, dass sie von mir erstmal weniger haben werden. Insbesondere die Abende sind ja oft schwierig. Bei meinem Sohn hat mich damals auch das schlechte Gewissen aufgefressen, als seine kleine Schwester geboren wurde und ich eben einfach nicht mehr so viel für ihn da sein konnte. Meine Tochter war da auch sehr anspruchsvoll und hat besonders in den ersten 3-4 Monaten Abends sehr viel geschrieen. Aber ich weiß ja, dass es wieder besser wird und ich meine Aufmerksamkeit mit der Zeit wieder besser verteilen kann. Und der papa ist ja zum Glück auch noch da und kann mir gerade in der Anfangszeit viel abnehmen. 🙂 Alles Gute weiterhin für euch!
Soooo schön
Liebe Katharina,
das hast du wirklich sehr schön geschrieben. Ich führe seit mein Sohn (3 1/2 Jahre alt) auf der Welt ist ein Tagebuch, in das ich jeden Monat einen Eintrag hinzufüge. Das bekommt er später dann mal und ich hoffe, dass er sich darüber freuen wird, dass ich nicht nur seine Entwicklung sondern auch unsere Stimmungen und Gefühle aufgeschrieben habe. Außerdem habe ich ihm zur Geburt eine E-Mail-Adresse eingerichtet und schreibe ihm jedes Jahr zu seinem Geburtstag einen Brief in sein Postfach. Das Passwort bekommt er dann (vermutlich) zu seinem 18. Geburtstag.
Ich habe nur einen Wirbelwind zu Hause und könnte mir absolut nicht vorstellen, dass da nochmal ein kleines Wesen um uns herum ist. Umso mehr bewundere ich dich mit deinen dreien. Ich lese immer gerne von euch! Macht weiter so. Liebe Grüße Sabrina
Super schön
Das ist ein wirklich toller Brief, wir haben gerade die gleiche Situation wie ihr nur das unser drittes ein Junge ist. Er ist im November geboren und wird langsam von Tag zu Tag entspannter, so das langsam wieder mehr Zeit für die beiden großen 6 und 2,5 Jahre ist. Die beiden haben das auch super gemeistert und ich bin sehr stolz auf sie. Als Mutter plagt einen aber oft das schlechte Gewissen aber mit der Zeit wird alles besser