Gastbeitrag: Wie ein Sauerstoffmangel unter der Geburt unser aller Leben für immer veränderte

 Ihr Lieben, heute schreibt Sophie bei uns. Ihr Sohn ist zwei Jahre alt – und ist aufgrund eines Sauerstoffmangels während der Geburt schwer behindert. Wir danken Dir für Deine berührende Geschichte und wünschen Euch nur das Beste!

"Mit der Geburt unsers Sohnes vor zwei Jahren begann nicht das neue Kapitel unseres Lebens, sondern ein gänzlich neues. Alles fühlte sich an wie von einem anderen Stern. Uns war, als hätte uns ein Asteroid getroffen und aus unserer gewohnten Umlaufbahn katapultiert. 

Wir hatten mit wachen Nächten und der natürlichen Unsicherheit junger Eltern gerechnet, mit Fragen der richtigen Erziehung und ungefragt erteilten Ratschlägen dazu. Babykram eben –  mal mehr mal weniger dramatisch.

Wenn ich an den Tag der Geburt denke, hab ich nicht das Gefühl, einem Kind das Leben geschenkt zu haben. Es fühlt sich an, als hätte ich einen schweren Unfall gehabt. 

Nichts, aber auch gar nichts hatte im Verlauf der Schwangerschaft darauf hingedeutet, was uns ereilen würde. Im Vorbereitungskurs wurde das Thema Komplikationen bei der Geburt gestreift. Wie wohl jede Erstgebärende war ich etwas nervös – aber schließlich sind wir doch alle irgendwie zur Welt gekommen, oder?

Nur zwei Wochen vor Termin kam es zum Blasensprung, die Wehen begannen und wurden unglaublich schnell wahnsinnig heftig. Als die Herztöne nicht gut waren und als zu einem Kaiserschnitt geraten wurde, stimmte ich selbstverständlich zu. Ich war vor allem erleichert, dass die Tortur bald vorbei sein würde und ich dann meinen sehnsüchtig erwarteten Sohn in die Arme schließen können würde.  

Mit dem Blackout durch die Vollnarkose kam Dunkel in mein Leben.

Danach: Ruhe, kein Babygeschrei. Nur das Piepsen der Monitore und Infusionen durchbrachen die grausame Stille.

Erst Wochen später konnten mein Mann und ich tatsächlich unseren kleinen Sohn in den Arm nehmen. Oder besser gesagt: gelegt bekommen von den Krankenschwestern zum Känguruen. Dabei hing er an unzähligen Kabeln, war beatmet und hatte einen Katheder.

Wunderschön und furchtbar war das, wenn ich daran denke, spüre ich sie wieder, die unbändige Angst und Hilfslosigkeit. Kein Glück, keine Vertrautheit – nur eine große Leere der Ohnmacht. Und ich wusste, dass ich dieses verkabelte Wesen liebe. Aber es kam mir vor, als wäre es Lichtjahre entfernt von mir. 

Unser Liebling hatte so einen schweren Sauerstoffmangel bei der Geburt erlitten, dass viele Organe dauerhaften Schaden genommen haben. Besonders seine Nieren schienen überhaupt nicht zu arbeiten. Er schied nicht aus und lagerte mehre Kilo Wasser in nur wenigen Tagen ein, sein Kopf war verformt und geschwollen. Die behandelnden Kinderärzte auf der Neugeborenintensivstation versuchten, uns behutsam zu erklären, wie gering seine Überlebenschancen seien.

Wochenlang schwebte unser kleiner Goldschatz in Lebensgefahr. In seinem beheiztem Glaskasten durften wir unserem kleinen Fischchen die Hand halten, ich sang ihm vor. Wenn wir kamen und gingen machten wir ein kleines Ritual, wir umschlossen seinen Kopf und seine Füßchen mit unseren Händen. Damit er merkte, dass wir da sind für ihn.

Wir ließen uns die alltägliche Pflege zeigen und halfen bei seiner Versorgung mit. Manchmal versuchte er seine zugeschwollenen Augen zu öffnen und das war für uns ein Zeichen. Unser kleiner Räuber, der im Bauch immer so wild um sich getreten hatte, kämpft mit aller Kraft und will leben.

Das Thema Behinderung stand eigentlich damals für uns nicht besonders im Vordergrund. Dass er nach so einem Start nicht gesund sein würde, war uns jedoch klar. Aber es ging ums Überleben – daneben schien alles unwichtig.

Als er endlich anfing zu pinkeln und dadurch stabiler, ja sogar transportfähig wurde, konnten wir ihn verlegen lassen. Nach einer vorbereitenden Op starteten wir mit der lebensrettenen Bauchfelldialyse.

Die Zeit auf der Kinderintensiv war die Hölle. Keine Privatsphäre, feste Besuchszeiten; am Schlimmsten waren aber die ruhigstellenden Medikamente, die sie unserem Neugeboren gaben und gegen die wir mehrfach vehement Einspruch erhoben. Denn kaum dass er nicht mehr intubiert war, brüllte sich der Räubersohn die Seele uns dem Leib.

Dort wurde uns auch anhand des MRT Bilds erläutert, dass es keine Chance für ein gesundes Leben für unseren Goldschatz gäbe. „Das graue Gewebe ist unwiderruflich zerstört. Das Großhirn massiv betroffen. Er wird vielleicht nicht mal schlucken können.“ sagten die Chefärzte.

Wie Fausthiebe ins Gesicht und die Magengrube donnerten diese Worte auf uns ein. Entwarnung bekamen wir nie, auch keine Diagnose –  nur diese verheerenden Prognosen. Was die schwere Hirnschädigung für ihn bedeuten würde oder welche Einschränkungen damit einhergehen können, das wurde uns erst nach und nach bewusst.

Doch die Dialyse funktionierte gut, das Wasser verschwand. Zum Vorschein kam – unser Baby. Traumatisiert war er – und wir – von diesen drei Monaten in drei verschiedenen Kliniken, auf vier Stationen.

Auch als wir endlich mit dem mobilen Dialysegerät nach Hause durften, schrie er noch lange Zeit weiter wie am Spies. Er überstreckte sich – unser Flitzbogen, sagten die Pflegerinnen – spuckte viel und oft. Bevor wir entlassen wurden, war ich kräftemäßig schon total am Ende. Doch dank eines mobilen Kinderpflegedienstes, der uns auch jetzt zwei Jahre später immer noch begleitet, und der Unterstützung durch unsere Lieben, haben wir gelernt mit ihm und der Situation umzugehen. Was nicht bedeutet, dass wir immer gleich gut klar kommen.

Momentan haben wir das, was wir eine gute Phase nennen:

Die Nierenwerte sind zurzeit auf einem guten Level, sie arbeiten mehr als wir je gedacht hätten –  jedoch meilenweit von der Funktion eines Gesunden entfernt und wir wissen, es kann immer kippen. Als Bonus bekam er noch kleine Anfälle obendrauf. Dass unser Liebling körperlich behindert ist, das wissen wir inzwischen. Ob er „nur“ entwicklungsverzögert oder auch stärker kognitiv eingeschränkt sein wird, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen.

Er sitzt und krabbelt nicht, lautiert nur selten – doch sein Charme verzaubert alle. Auf sein erstes Lächeln warteten wir sehr lange, auf das erste Wort bisher vergebens. Heute mit zwei Jahren ist unser kleiner Räuber ein neugieriger, fröhlicher Kerl.

Noch trägt er Kleider in der Größe, die sonst zehn Monate alte Kinder benötigen. Die Unsicherheit was noch kommen wird, wie lange er stabil sein wird und die Sorge, ob er je ein halbwegs selbständiges Leben führen kann oder immer auf uns angewiesen sein wird bleiben.

Dafür gelobt zu werden wie gut wir das machen, ist befremdlich. Wir haben keine Wahl. Wir lieben ihn und versuchen, soweit unsere Kräfte reichen, das Beste zu geben, ihn maßvoll zu fördern und zu begleiten.

Auch die Vorstellung, die uns gegenüber immer wieder geäußert wird, dass er alles aufholen wird und alles gut werden wird schmerzt. Unrealistische Träumereien helfen uns nicht.

Wir haben die Umlaufbahn verlassen, es gibt kein zurück. Und es muss nicht gut werden, denn vieles ist schon besser als wir es je gewagt haben zu hoffen."

Mehr über Sophie und ihren Sohn, könnte Ihr HIER in ihrem Blog lesen


10 comments

  1. Alles Liebe!
    Liebe Sophie, danke für den Text. Ich erkenne mich in Vielem wieder, zB in der Situation nach der Geburt, wenn man dann an vorher denkt und zB an den Geburtsvorbereitungskurs… Da ist sowas wirklich nie Thema. Aus Angst? Bei meinem nächsten Geburtsvorbereitungskurs habe ich gesagt, dass mein mittlerer Sohn eine Behinderung hat – keine Reaktionen. Es traut sich vermutlich einfach niemand.
    Und die Sprüche: „Ihr macht das so toll.“ Du hast vollkommen recht: welche Wahl haben wir? Werden wir jetzt wirklich gelobt, dass wir unser Kind lieben?
    Mein Sohn hat „nur“ Downsyndrom. Schreckgespenst Nummer Eins jeder Schwangerschaft. Unser Leben ist so, wie es ist und für uns ist es gut so.
    Ich drück dich!

  2. Ich lese den Beitrag und
    Ich lese den Beitrag und fühle in so vielen Punkten mit. Unsere Hannah hat zwar eine ganz andere Geschichte, aber das Ergebnis ist ziemlich ähnlich. Sie wird bald 2 und ist nach wie vor mein kleines Baby. Aber ich liebe sie so wie sie ist.
    Und ich bin eine normale Mama, wie ich es immer sein wollte.
    Danke dass ihr mir noch mal zeigt, dass wir nicht die einzigen sind

    Alles gute eurem kleinen Räuber.
    Und Grüße von seiner Freundin im Geiste Hannah

  3. Danke für Deinen Text, liebe Sophie
    Ich sitze hier gerade mit Tränen in den Augen. Bei uns ist die Geburt des großen Kindes jetzt mehr als 11 Jahre her, aber längst nicht überwunden. Bis zur Geburt alles problemlos – und dann lief plötzlich alles schief und das Baby landete auf der Neugeborenen-Intensivstation. Mit Schläuchen und Kabeln und piepsenden Monitoren und niemandem, der sich wirklich zu sagen traute, was mit dem Kind ist und welche Schäden es erlitten hat. Es zieht einem von einer Minute auf die andere den Boden unter den Füßen weg und erschüttert das eigene Grundvertrauen, dass schon alles irgendwie gut gehen wird. Oder wie Du schreibst: Kein Glück, keine Vertrautheit. Nur Hilflosigkeit. Unser Sohn ist damals mit einigen negativen Prognosen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Die ersten Lebensjahre wurde er entsprechend engmaschig untersucht. Es gab ein paar Auffälligkeiten, besonders bei der Grobmotorik, aber auch die haben sich im Lauf der Jahre erledigt. Inzwischen ist er ein begeisterter Sportler und die Schule wuppt er auch. Für mich ist das nach wie vor jeden Tag ein großes Wunder – und genau das wünsche ich Euch auch. Und ganz viel Unterstützung von Eurer Familie und Euren Freunden und verständnisvolle Zuhörer.

  4. Kraft und Gelassenheit
    Wenn ich die Geburtsfotos unseres heute Siebenjährigen ansehe, mit Sauerstoffmaske, wie er um Luft kämpfte und die Ärzte um ihn….
    Einen Tag später mit CPAP-Atemgerät und einem aufgedunsenen Gesicht und Körper im Brutkasten….
    Mir kommen noch heute die Tränen und das Atmen fällt mir scher.
    Ich kenne die Ängste, die Ihr durchstehen musstet… Sie gehen nie ganz weg, die Sorge bleibt.

    Ich wünsche Sophie und ihrer Familie viel Kraft und Gelassenheit und eine Million schöner Momente!!!

  5. Unglaublich traurig aber auch schön
    Nur die Liebe zählt und das sieht man an Deinem Bericht! Was mich dennoch interessieren würde ist, wie es zu dem langen Sauerstoffmangel kam. Blasrnsprung, Wehen und Entscheidung zum Kaiserschnitt klingt doch schon mal gut. Würde der Kaiserschnitt zu spät gemacht? Es hört sich auf jeden Fall nach Ärztefehler an. Habt Ihr geklagt? Hat man da überhaupt eine Chance und die Kraft? Macht Ihr jemanden Vorwürfe? Ich weiß, „Hätte hätte Fahrradkette“, aber Ihr müsst mit diesem Schicksal leben. Frieden zu finden, fände ich hier besonders schwer. Zu akzeptieren, dass das Kind gesund wäre, wenn andere Entscheidungen getroffen wären. Das würde mich noch zusätzlich fertig machen. Wie habt Ihr geschafft, damit umzugehen? Alles Gute Euch. Wie ich lese, macht Ihr das beste aus dieser besonderen Situation.

    1. Antwort zu Julias Frage
      Liebe Julia,
      die Antwort auf die “ was wäre wenn“ Frage kann ich dir ganz leicht geben. Denn niemand weiß was zu dem Sauerstoffmangel auslöste. Vielleicht die Plazenta, vielleicht seine Lage, vielleicht war mit den Nieren schon zuvor etwas? Es kann sein dass ein schnellerer Kaiserschnitt das Unglück verhindert hätte. Ich kenne auch eine Mama deren Baby ein solches Szenario nicht überlebte, es kam still zur Welt. Ich hatte so furchtbare Schmerzen und bin trotz allem dankbar, dass wir beide mein kleiner und ich noch hier sind. Wir wollten nicht klagen, aber unsere Versicherung hat „den Fall“ anhand Geburtsbericht usw. überprüfen. Das Ergebnis…eben gibt es nicht eindeutig. Deshalb wurde auch keine Schuld festgestellt. Damit Leben muss jeder der einen Unfall überlebt hat und so sehe ich seine Geburt inzwischenman hat ja keine Wahl. Und wie gesagt die Dankbarkeit ihn heute im Arm halten zu können überwiegt und gleichzeitig vieles aus. Beste Grüße Sophie *

  6. Danke…
    Liebe Sophie & Familie, liebe Stadt-Land-Mamas,

    vielen Dank für diesen Beitrag, der einen wieder mal innehalten lässt im Alltag und die eignenen „Probleme“ in ein anderes Licht rückt, der nachdenklich und dankbar macht.
    Einen großen Respekt, Sophie, für Eure Kraft und Stärke – auch wenn ein Lob möglicherweise befremdlich wirkt, weil Ihr Euren Räuber natürlich liebt und keine Wahl habt, so habt Ihr es dennoch verdient! Eltern zu sein ist immer anstrengend und Kräfte zehrend, aber mit einem besonderen/kranken Kind, für das man alles tut, braucht man sicher um ein vielfaches mehr Kraft, Durchhaltevermögen, Stärke. Da ich Euch nicht handfest unter die Arme greifen kann, was man sicher am meisten braucht, trotzdem ein Lob – vielleicht tut es ein bisschen gut!
    Ich wünsche Euch von Herzen alles erdenklich Liebe und viele gute Phasen für Euren Räuber und Euch, weiterhin viel Kraft für den gemeinsamen Weg und dass Euer Räuber und Ihr das schafft, was Ihr Euch wünscht.

    P.S.: Der Link auf den Blog von Sophie scheint nicht zu funktionieren…