Erinnert Ihr euch noch an den Sturm, der 2013 unter dem Hashtag "Aufschrei" durch die sozialen Netzwerke wehte? Viele Frauen erzählten in diesen Wochen von sexistischen Vorfällen, von übergriffigen Erfahrungen, die nicht einvernehmlich waren. Daraus entfachte eine Debatte über Sexismus in unserem Land.
Nun las ich neulich bei der Edition F die Geschichte von Sophia Hoffmann. Sie erzählt in diesem Text darüber, dass sie bei einem Freund übernachtete und aufwachte, weil er auf ihr lag und das tat, was sie am Abend zuvor eindeutig abgelehnt hatte. Sie schob dieses Erlebnis weg, bis sie irgenwann realisierte. Nein, das war eine Vergewaltigung! Es war nicht einvernehmlicher Sex.
Für einige Tage ging mir der Text nicht mehr aus dem Kopf, denn unter Vergewaltigung denken doch viele von uns an den Tatort am Sonntagabend, an Fahrräder, von denen Mädels gezogen und in dunkle Gassen geschleppt werden. An Dramen, erwachsen in den Köpfen von Drehbuchschreibern. Das heißt nicht, dass es das nicht auch gibt, aber es gibt eben auch ganz andere Formen von sexueller Gewalt. Solche, die nicht dramaturgisch aufgebauscht werden, sondern im eigenen Wohnzimmer stattfinden oder in dem einer WG von Freunden. Solche, die manche nicht einmal Vergewaltigung nennen würden, weil "Ach stell dich nicht so an!". DAS GEHT NICHT!
Wenn Sex nicht einvernehmlich ist, dann hadelt es sich um eine Vergewaltigung und dann sollte sie auch so genannt werden. Das wissen die betroffenen Frauen oft selbst nicht. So ging es auch Sophia, der Autorin des Textes bei der Edition F. Wir haben ihren Text auf unserer Facebookseite geteilt. Daraufhin meldete sich Janina bei uns, die eigentlich anders heißt.
Der Text hat ihr die Augen geöffnet. Denn auch sie dachte, ihr sei zwar etwas Unangenehmes geschehen. Erst als sie Sophias Text las, wusste sie: Auch mir ist das passiert. Auch ich sollte Vergewaltigung dazu sagen. Sie hat ihre Erlebnisse für uns aufgeschrieben. Damit auch andere den Mut finden, das, was ihnen passierte, beim Namen zu nennen. Damit niemand denkt, so etwas passiere halt mal. Damit jeder weiß: Nein, auch das ist eine Straftat. Danke für Dein Vertrauen, Janina!
"Bei mir ist es schon zehn Jahre her und ich habe es offenbar nie als "richtige" Vergewaltigung gedeutet, keine Ahnung warum. Verdrängt, weggeschoben, es gab Wichtigeres…
Es ging mir nicht gut in der Zeit, es war eine verrückte Zeit in der Theater- und Kleinkunstszene, ich habe in dem Bereich studiert, in der Kleinkunstszene gearbeitet, zuviel geraucht und getrunken, das haben fast alle, den einen oder anderen Fehler gemacht, irgendwann bin ich zusammengebrochen, habe nach einer Therapie mit allem und allen aus dieser Zeit abgeschlossen und ein anderes, normales, fast spießiges Leben begonnen.
Dass ich nie wieder eine Beziehung gehabt habe und, obwohl ich allein nicht immer glücklich bin, jeden Annäherungsversuch schnell unterbinde, habe ich immer irgendwie anders erklärt.
Und gerade lese ich euren Beitrag, bzw. den Gastbeitrag und alles dreht sich in mir, die unterschiedlichen Männer, die immer und immer wieder meine Betrunkensein und meine ganze instabile Naivität in dieser Zeit ausgenutzt haben.
Die Morgende, an denen ich schmutzig und beschmutzt und tieftraurig aus fremden Wohnungen gewankt bin. Ja, ich wollte Nähe und in den Arm genommen werden und Geborgenheit, aber ich wollte ganz sicher nie vergewaltigt werden.
Es ist furchtbar das auszusprechen, bzw. zu schreiben, aber das ist mir, tatsächlich mir geschehen. Ich bin vergewaltigt worden. Nicht in irgendeiner dunklen Seitengasse von einem Fremden, nein, dennoch wollte ich mit keinem der Männer schlafen, das habe ich gezeigt und gesagt, haben sie mich nicht ernst genommen, weil ich betrunken war?
Ich habe nicht geschrien und nicht um mich geschlagen, ich habe nein gesagt und versucht sie wegzuschieben, aber dann habe ich meist einfach nur still geweint und gewartet, bis sie fertig waren.
Aber ich habe es nie gewollt und nie zugestimmt, das ist es doch, was eine Vergewaltigung ausmacht….
Heute bin ich beziehungslos, gefühlsschwankend, immer etwas misstrauisch und auf der Hut, aber nicht unglücklich. Vielleicht haben sie mich benutzt und vergewaltigt, vielleicht haben sie für immer mein Männer- und Beziehungsbild zerstört, vielleicht war auch ich mitschuld, alles egal, ich bin stolz, heute kein schwaches Mädchen mehr zu sein, nie wieder das schwache Mädchen von früher.
Ich bin stark und erkenne heute, ja, ich bin vergewaltigt worden und kann und werde darüber sprechen. Weil ich stark, selbstbewusst und glücklich bin. Anders. Ein bisschen ver-rückt. Aber glücklich.
Danke, dass ich all das dank euch erkennen und loswerden durfte.
Hinweis: Bei dem Foto handelt es sich um ein Symbolbild. Fotoquelle: photocase/rowan
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Vergewaltigung zu Hause
Ich bin verheiratet,leider nicht unter Migräne,bin eine berufstätige Mutter aber habe nicht mehr Lust auf täglichen Sex. Mein Mann schon. Er drückte seinen Unterarm auf meinen Hals und sagte: „Das geht so nicht, dass du keine Lust mehr hast!“
Ich wollte nicht, ich trinke nun, um das alles zu vergessen….
Wie kann das?
Vergewaltigung ist schlimm. Keine Frage. Aber genauso schlimm ist es, sich besinnungslos zu saufen. Immer und immer wieder, die eigenen Grenzen nicht zu kennen und freiwillig mitzugehen zu fremden Kerlen, mit ihnen rumzumachen und eindeutige Angebote zu machen und am Ende zu sagen „Wollte ich ja so eigentlich nicht.“ Das passiert einem einmal… aber nicht öfter. Wenn ich sowas lese „Aber ich habe es nie gewollt und nie zugestimmt, das ist es doch, was eine Vergewaltigung ausmacht..“ Wie oft ist das dann passiert? Wenn man sich nach sowas scheiße fühlt, egal, wie man es benennt, dann sollte man aufhören. JA. Man sollte langsam mal darüber nachdenken, ob man sich besinnungslos saufen und kiffen sollte. Ich hasse Kerle, die einen nicht in Ruhe lassen, obwohl man „verschwinde“ sagt. Ich hasse Kerle, die gewalttätig werden. Ganz klare Kiste. Aber ich kann Euch bei jedem Mal feiern gehen, 3 Damen der Schöpfung zeigen, die ihre Spielchen mit den Kerlen spielen.. Ja, nein, ja, nein, ja, nein… Lässt er sie links liegen, schmeißt sie sich lasziv, obszön wieder an ihn ran. Ganz ehrlich. Woran genau soll dann der andere noch erkennen, was die Dame wirklich will. Da liebe ich mir die Amis, die sich ne App runterladen und vor dem Beischlaf mal schön unromantisch ein beidseitiges Einverständnis unterschreiben müssen. Das wäre die Lösung. Und wenn ich mit meinem Freund schlafe, sage ich zu der ein oder anderen Sache auch „nein“… Da geht es um ne Berührung an einer unschönen Stelle, um eine Stellung, die man evtl. nicht mag. Das heißt aber nicht „nein, ich will keinen Sex“… Wenn ich keinen Sex will, dann sag ich das. In Worten. Ganz klar. Und wenn ich einem Kerl nicht traue, dann gehe ich nicht mit. Um es noch mal klar zu sagen. Ich bin gegen Vergewaltigung. Ich bin aber auch gegen Frauen, die sich an Kerle ranschmeißen, sich mit Drogen betäuben und Wischiwaschi Aussagen machen und eben nicht klar sagen „ich will nicht mit dir schlafen. Finger weg! Lass mich!“ und am nächsten Morgen, wenn sie nüchtern sind, sagen „Vergewaltigung“.
Ich bin Janina…
…das ist meine Geschichte und deine Worte verletzen mich sehr. Es ist nicht so, dass ich nicht nachvollziehen kann, was du schreibst und wie du denkst. Aber du kannst hier nur einen Bruchteil über mich und meine Geschichte erfahren und dafür urteilst du hart. Glaub mir, ich bin und war schon immer das Gegenteil von lasziv oder an Männer ranschmeißend. Ich habe auch nie gekifft oder Drogen genommen. Ich habe Zigaretten geraucht und Wein getrunken. Ich bin auch nicht wild feiern gegangen, sondern habe in der freien Theaterszene gearbeitet und mich auch aufgehalten und viele Bekannrschaften gemacht. Männer und Frauen. Ich habe nie bestritten, dass mein Verhalten absolut dumm war, zuviel Wein zu trinken, weil ich unglücklich war, war falsch und immer wieder Zuflucht bei Männern zu suchen, war auch falsch. Das ist dumm und naiv gewesen. All das stimmt. Aber ich war ganz sicher nie ein kiffender, lasziver oder ordinärer Vamp, der Spielchen spielt und sich hinterher beschwert. Und ich habe viel zu lange selbst gedacht, es wäre meine Schuld und es ging mir so lange Jahre schlecht dabei, mich zu schämen und das alles zu verschweigen. Es tut weh zu lesen, wie hart und schnell man verurteil wird oder Schuldzuweisungen bekommt, obwohl du nur einen Bruchteil meiner Geschichte kennst, bzw. mich gar nicht kennst. Nicht kennen kannst.
Natürlich kann ich nur das
Natürlich kann ich nur das verwerten, was ich zu lesen bekomme. Und das ist nun mal meine Meinung. Außerdem war die Beschreibung der Mädels, die ich so beim ausgehen sehe, keineswegs auf Dich gemünzt.
„Zuflucht bei Männern gesucht“. Da ist es doch schon wieder. Sowas passiert mir einmal, wenn ich das wirklich nicht will. Ansonsten solltest Du grundsätzlich mal eine Therapie in Betracht ziehen, die dich aus dieser selbst gewählten Opferrolle heraus holt. Ich habe in meinem Leben eine Situation erlebt, die ich niemandem wünsche und danach war Schluss. Aus die Zeit des Trinkens bis es mir scheiß egal war, aus die Zeit der Bestätigungssuche bei Kerlen. Wie gesagt, wäre mir das mehrmals passiert, hätte ich mich fragen müssen „Sanni, WARUM machst Du den Scheiß? Warum bringst Du Dich immer und immer wieder in so eine Situation?“ Und ja, auch dafür ist ein Therapeut da, um Dir BEVOR so etwas immer und immer wieder passiert, mit Dir an Deinem Grundproblem zu arbeiten. Das leg ich jeder Frau ans Herz, die sich nach erfolgloser Bestätigungssuche nach dem Beischlaf scheiße fühlt, es aber immer und immer wieder macht. Da ist die Grenze nämlich arg verwischt von Vergewaltigung und sich nur unwohl fühlen und bereuen. Und auch gerade wenn man sich fremd ist und einen One-Night-Stand hat, sagt man bei einigen Sachen nein… nicht da anfassen, da bitte auch nicht, nicht oral…usw.. Das bedeutet aber nicht, dass der Kerl dabei raffen soll, dass Du eigentlich so gar keinen Sex haben wolltest. Nein heißt nein. Da bin ich bei Dir. Das nein muss dann aber auch vor Beginn des Beischlafes kommen oder man muss einfach mal die Klappe aufmachen und sich meinetwegen ne Ausrede einfallen lassen „ich muss auf Toilette, moment“. Dann packt man seine Sachen und geht. Wenn man sich allerdings nicht konkret artikulieren kann, dann darf man nicht erwarten, dass der Kerl hellsehen kann.
Deine Geschichte klingt nämlich so, wenn Du hättest aufstehen und gehen wollen, hätten die Kerle vielleicht doof geguckt, aber Dich nicht gewaltsam zurück gehalten. Und ich denke, da liegt der Kern.
Wenn Du Dich angegriffen fühlst, tut es mir leid. Du wirst Dich sicher so fühlen, wie Du schreibst und das ist ernst zu nehmen. Allerdings kann ich den von Dir getätigten Äußerungen keinesfalls ein einseitiges Verschulden erkennen. Trotzdem hoffe ich, dass Du in einer guten Betreuung bist und Dich davon erholst.
…wenn es denn so einfach wäre
Auch ich habe eine Geschichte. Grausam und brutal. Man nennt sie Partnerschaft (Ex). Und immer und immer wieder wird einem gesagt „Das alles geht doch gar nicht, ihr ward doch ein Paar“ ect.
Manchmal ist die Welt ein A-Loch
Gastbeitrag
beim Lesen der Geschichte denke ich an meine Eigene. Ich hab viel gefeiert, bin in den Neunzigern durch die Techno-Szene unserer Kleinstadt getobt. Zielos, Planlos und auf der Suche nach dem Glück, und wenn schon nicht Glück, dann doch wenigstens ein bißchen Liebe, Wärme und Geborgenheit…. Das alles ist lange her und ich habe meinen Frieden damit gemacht – es macht mich auch zu dem, was ich heute bin. Aber immer wenn ich an diese Nächte denke, bin ich mir sicher, dass ich mich genauso wie mich die Männer mehr verwaltigt haben.
Danke, dass Ihr solche Texte
Danke, dass Ihr solche Texte ebenfalls „bringt“ und danke an die Schreiberin: Danke fürs Erzählen!
Ganz wichtiges Thema!
Keine Frau, der so etwas passiert ist, sollte schweigen!
Danke
Janina und Euch, dass Ihr das Thema aufgreift. Es gibt so viele Frauen, die aufgezwungenen Sex aushalten müssen. Es ist wichtig, zu wissen, dass das nicht ok ist. Danke euch für euren Beitrag!