Es gibt im Leben einer Mutter schwierige Gespräche, die mit dem Kind geführt werden müssen. Meine Tochter ist fünf und sehr aufgeweckt. Sie beobachtet ihre Umgebung äußerst genau und fragt mir Löcher in den Bauch.
Ich meine nicht die demnächst anstehenden Gespräche darüber, wie Babys in den Bauch kommen und wo sie rauskommen. Darüber mache ich mir keine Sorgen. Das kann ich erklären.
Wenn wir aber im Radio Nachrichten hören und das Kind will wissen, was Bomben sind, wer ein Terrorist ist und ob Atomraketen wirklich abgeschossen werden könnten, warum Kinder einfach verschwinden und was Kriegswaisen sind, dann hängt mir ein Kloß im Hals. Ich würde am liebsten lügen und erwische mich beim Verniedlichen oder beim Ablenken vom Thema.
Ich möchte mein Kind einerseits auf die Welt vorbereiten, wie sie nun mal ist. Andererseits will ich für meine Tochter natürlich eine fröhliche, unbeschwerte Kindheit und die Welt da draußen gibt mir als Erwachsene Fragen auf, die ich nicht beantworten kann.
Das mit dem Ablenken habe ich auch bei unserem ersten Gespräch über Syrien versucht. Das klappt aber mit meiner Tochter nicht sehr gut. Sie hatte in der „Sendung mit der Maus“ einen Bericht über eine Familie gesehen, die vor dem Krieg nach Deutschland geflüchtet ist. Das hat Anna wahnsinnig beschäftigt. Sie wollte von mir wissen, was Krieg eigentlich ist, warum Menschen sich gegenseitig totschießen, wo die Leute leben, deren Häuser zerstört sind und was mit den Kindern passiert, wenn die Eltern tot sind. Dieses Gespräch konnte ich nicht sehr souverän moderieren und schließlich weinten wir beide, weil diese Welt einfach so ist. Anna hatte schreckliche Angst, dass bei uns auch irgendwann ein Krieg ausbrechen könnte. Mit schlimmen Magenschmerzen versprach ich ihr, das würde nicht passieren. Normalerweise ist es meine oberste „Mama-Maxime“, dass ich alle meine Versprechen einhalte – aber können wir uns wirklich sicher sein? Die Menschen in Syrien hatten bis vor ein paar Jahren ein gutes, sicheres Leben und dann kam der Krieg.
Ich war sehr froh, als das Thema beendet schien, aber es kam immer wieder zu Gesprächen über den Krieg. Ich hatte große Angst, sie überfordert zu haben und fand es schlimm, dass sie so viel darüber nachdachte. Aber mal ehrlich, was hätte ich tun sollen? Dem Kind erzählen, es wäre gar kein Krieg in Syrien? Den Fernseher und das Radio ausschalten? All das wäre für mich keine Alternative gewesen – ich versuche meinem Kind immer mit dem Respekt zu begegnen, den ich auch für mich haben möchte.
Eines Tages kam ich ins Wohnzimmer und sie saß eifrig malend vor ihrem Bastelschrank. Sie erzählte mir, dass sie jetzt eine Firma gründet und mit dem eingenommenen Geld will sie arme Kinder in Syrien unterstützen. Das heißt: Sie malt Bilder, verkauft diese und spendet die Erlöse. Was für eine tolle Idee! (Die Geschichte dazu habe ich hier aufgeschrieben: https://muttispielt.de/kinderkunst-hilft-syrien/)
Wir haben beide Vollgas gegeben und ich bin mittlerweile ganz verliebt in das Projekt. Weil man das Gefühl hat, etwas tun zu können. Natürlich stellt sich eine Fünfjährige die ganze Sache viel einfacher vor als sie ist … Aber es gibt schon viele großartige Menschen, die uns unterstützt haben. Anna grübelt nicht mehr so viel über den Krieg, Gott sei Dank. Sie freut sich über jeden Fortschritt. Zum Beispiel, dass es einen eigenen T-Shirt-Shop mit Bildern von ihr gibt und dass andere Kinder uns Bilder schicken (Hier noch ein Artikel dazu: https://muttispielt.de/annas-kunsthandel-meine-tochter-ist-unternehmerin/)
Ich habe noch viel über das Dilemma mit der Wahrheit über die Welt nachgedacht und glaube inzwischen, dass es einen Mittelweg geben muss.
Ich muss meiner Tochter erzählen können, dass es böse Menschen gibt und dass sie nicht mit Fremden gehen soll, darf ihr aber keine Angst machen rauszugehen. Sie muss doch auch wissen, dass es schlimme Krankheiten und Unfälle gibt, sonst ergeben meine berechtigten Ermahnungen, dass irgendetwas „gefährlich“ ist, ja auch keinen Sinn.
Genauso halte ich es mit den Nachrichten. Fernsehnachrichten bekommt sie in keinem Fall zu sehen und bei den Nachrichten im Radio erkläre ich den Zusammenhang so gut es geht. Wenn ich etwas selbst nicht verstehe, dann sage ich das. Genauso, wenn ich etwas schrecklich finde und ihr mitteilen muss, dass unsere Welt so viel gefährlicher und schlechter ist, als es unser Leben vermuten lässt.
Ich bin nämlich dankbar, unfassbar dankbar, dass wir hier leben – auf der angenehmen Seite der Welt. Damit meine ich in keiner Weise, dass in Deutschland für alle Menschen alles in Ordnung ist. Aber wie die meisten Menschen hier haben wir ein Dach über den Kopf und müssen uns keine ernsthaften Sorgen darüber machen, wie wir satt werden. Unser Wasser kommt aus der Leitung, vor der Tür steht ein Auto. Wie oft sehen wir das alles als selbstverständlich an? Nur wenn ich meinem Kind (in verträglicher Form) erzähle, wie die Welt ist, wird sie eines Tages auch darüber glücklich sein.
Ihren Impuls helfen zu wollen finde ich so wunderbar, dass ich zurzeit halbe Nächte daran arbeite, dass ihre Idee erfolgreich wird. Der Erfolg hängt nicht nur vom Spendenvolumen ab. Der Erfolg ist, wenn ganz viele Menschen verstehen, dass jeder etwas tun kann, um zu helfen. Sogar ein fünfjähriges Mädchen. Seid ihr dabei? Wir freuen uns.
1 comment
Tolle Idee
Ich finde deine Tochter hat eine super Idee gehabt! Toll, wie sie die Kinder in Syrien unterstützen möchte und wie du sie dabei unterstützt.
Ich bin immer so unsicher ob das gespendete Geld auch wirklich (eins zu eins) dort landet wo es ankommen soll..ich vertraue euch aber einfach mal und habe mir gerade eine Tasse mit einem Motiv deiner Tochter (Blumenwiese) bestellt 🙂
Wenn es Bodies oder Shirts für Babies gegeben hätte, hätte ich auch was für meine Tochter bestellt 😉