Down-Syndrom: Jeder hat sein Päckchen zu tragen – ich trage meins mit Freude

Ihr Lieben, Conny Wenk ist eine der Frauen, die wir schon recht lange im Internet verfolgen. Wir freuen uns immer über ihren strahlenden Optimismus und ihre wunderbare Tochter Juliana. Heute ist Welt-Down-Syndrom-Tag und wir sind total glücklich, dass Conny wieder einen großartigen Gastbeitrag für uns geschrieben hat. VIELEN DANK dafür! 

Kürzlich saß ich mit einer Freundin beim Abendessen und sie erzählte mir von ihrem bevorstehenden 20jährigen Abi-Treffen, das sie „ausfallen lassen“ wollte. Auf der einen Seite würde es ihr zwar leid tun, denn sie hätte schon Lust, ihre alten Freunde und Klassenkameraden wieder zu sehen. Auf der anderen Seite könne sie jetzt dieses „Mein großes Haus, mein dickes Auto, meine tollen Kinder“-Geprahle überhaupt nicht vertragen. Wie ich wenig später herausfand, fehlten ihr vor allem der Mut und das Selbstbewusstsein, ihren ehemaligen Mitschülern von ihrer dreijährigen Tochter mit Down-Syndrom zu erzählen. Was würden die anderen denn dann denken? Mitleid wäre jetzt das Letzte, was sie gebrauchen könnte.

Ihre Worte stimmten mich traurig. Vor mir saß eine bildhübsche, beruflich erfolgreiche Frau und Mutter von zwei wunderbaren Kindern. Die Ehefrau eines tollen Mannes, der sie über alles liebt und die durch ihre warmherzige, großzügige und hilfsbereite Art in Familie und Freundeskreis sehr ge- und beliebt ist. Warum hatte diese Frau jetzt plötzlich Angst vor den Reaktionen von Menschen, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte?

Und dann musste ich an mein eigenes Abi-Treffen denken, als Juliana auch gerade einmal drei Jahre alt war. Es war ein schöner Abend, ganz ohne die von allen gefürchtete Prahlerei. Ganz im Gegenteil. Gegen Mitternacht, mehr als die Hälfte hatte bereits das Lokal verlassen, der Rest saß in gemütlicher Runde mit einem Rotwein zusammen, wurde ich von meiner Sitznachbarin gefragt, ob ich eigentlich auch Kinder hätte. Natürlich hatte ich Fotos von Juliana eingepackt und zeigte sie in die Runde, vom Down-Syndrom erwähnte ich dabei nichts. Die ersten Reaktionen kamen: „Wie süß sie ist!“ „Hat die schöne große Augen!“ Und dann fragte meine Nebensitzerin: „Sie sieht irgendwie aus wie eine kleine Geisha. Ist ihr Vater etwa Japaner?“. Alle schauten mich neugierig an. Da musste ich schmunzeln und antwortete ganz nüchtern: „Nein. Sie hat das Down-Syndrom.“

Keiner sagte ein Wort. Ich wusste, dass es nun an mir war, meine alten Klassenkameraden aufzuklären, wie es ist, mit einem Kind mit Down-Syndrom zu leben. Meine Erzählung war wohl weder wehleidig, noch euphorisch. Ich habe einfach erzählt, wie es so ist, wenn es eben nicht so ist, wie vielleicht erwartet. Danach herrschte eine Zeit lang Schweigen, so eine Dosis „echtes Leben“ wollte wohl erst einmal verdaut sein.

Auf einmal erzählte die Frau neben mir, dass sie übrigens an schlimmen Angstzuständen und Panikattacken leidet und deshalb seit fünf Jahren zum Psychiater gehe. Ein wenig später offenbarte eine andere, dass sie zwar vor zehn Jahren ihren Traummann geheiratet habe, sich aber seit einiger Zeit eher zu Frauen hingezogen fühle. Es mag sich jetzt fast ein wenig nach Selbsthilfegruppe und weniger nach Klassentreffen anhören, aber plötzlich war nicht mehr nur die „heile Welt“ unser Gesprächsthema, sondern auch Ängste und Sorgen, Schwierigkeiten im Job und Probleme in der Partnerschaft. 

Irgendwie hatte die Erzählung von meiner – nach „normalen“ Maßstäben – plötzlich nicht mehr perfekten Familie die anderen dazu ermuntert, ihre Masken fallen zu lassen. Ich musste unweigerlich an eine Aussage von Dr. Eckart von Hirschhausen denken, der eine altbekannte Redewendung einmal treffend ergänzt hat:

„Jeder hat sein Päckchen zu tragen oder zumindest noch von der Post abzuholen.
Wenn der Postbote klingelt, sind wir nämlich oft nicht da.“

Niemand ist perfekt. Selbst diejenigen, die in unserer Leistungsgesellschaft zumeist oben schwimmen, sind verwundbar und haben Sorgen. Auch wenn sie es sich selbst vielleicht nicht eingestehen wollen. Und daher ist es auch nicht schlimm und schon gar nicht minderwertig, in gewissen Dingen nicht der Norm zu entsprechen. Ich zumindest trage eines meiner Päckchen mit großer Freude, denn ich habe darin vieles entdeckt, was ich darin gar nicht vermutet hatte.

Und dann erzählte ich meiner Freundin von meinem kleinen „Trick“, den ich immer anwende, wenn ich jemandem begegne, der herablassend und arrogant ist und mir das Gefühl gibt, minderwertig zu sein. Anstatt mich also völlig aufzuregen, traurig und verletzt zu sein, stelle ich mir vor, dass dieser Mensch ein unsichtbares Schild um den Hals trägt, auf dem steht: „Auch ich bin verletzlich. Bitte gib mir das Gefühl, wichtig zu sein.“ Wie sehr würde es uns helfen und wie viel leichter könnten wir verzeihen, wenn wir mehr über diese Person wüssten. Wir würden ganz anders reagieren, wenn wir wüssten, dass dieser Mensch gerade eine Scheidung durchmacht, seinen Job verloren hat, eine wirklich traurige Kindheit hatte oder vielleicht sogar nie geliebt worden war.

—-ZUM WEITERLESEN: 

Heute danke ich dem lieben Gott täglich – ein weiterer Gastbeitrag von Conny

Kann ich mein Kind so lieben wie es ist? Ein Interview zum Thema Down Syndrom

Gut, dass jeder anders ist!


1 comment

  1. Stimmt genau!
    Danke für diesen wunderbaren Gastbeitrag! Ich freue mich immer, wenn ich irgendwo etwas von Conny lese – und es stimmt tatsächlich: Wir alle tragen unser Päckchen, und das Extrachromosom wiegt nun wirklich nicht schwer – vor allem, wenn man bedenkt, wie reicht wir im Gegenzug dafür beschenkt werden!