Das erste Jahr ohne unsere Mutter – Gastbeitrag von Nina und Tanja

Wir sind Nina und Tanja, unsere Mutter litt zwei Jahre an einer schweren Krebserkrankung – und starb doch plötzlich an einer Gehirnblutung, nachdem sie sieben Tage im Koma lag.

"Keine Chance mehr auf ein eigenständiges Leben", sagten die Ärzte im Krankenhaus. Sie konnte nicht mehr eigenständig denken, essen, leben. Also wurden die Geräte abgestellt. Wir waren fast froh, dass ihr der lange, schmerzhafte Krebstod erspart geblieben ist und hoffen sehr, dass sie von den sieben Tagen im Koma nichts mehr gemerkt hat. Diese sieben Tage gehören zweifelslos zu den schwersten unseres Lebens. Wir durften Mama nur nachmittags besuchen, also gingen wir jeden Tag zur Arbeit, um überhaupt ein bisschen Stabilität in das Gefühlchaos zu bringen. Als es so weit war, ging alles ganz schnell. Geräte aus, verabschieden, und weg. Heute schreiben wir unserer Mutter einen Brief:

 "Liebe Mami, so vieles ist seit deinem Tod passiert. Wir haben das Haus verkauft, Papa ist zurück in seine Heimat gezogen, Nina erwartet ihr erstes Kind und Tanja heiratet nächstes Jahr. Wir sind fest davon überzeugt, dass du von oben deine Strippen ziehst und dafür sorgst, dass wieder schöne Sachen in unseren Leben passieren! Wie gerne hätten wir dir dein erstes Enkelkind vorgestellt und wie schön wäre es, wenn du die Hochzeit miterleben würdest. Auch Papa würde dir so gerne von seinem „neuen alten Leben“ berichten und dich an seiner Seite haben. Du bist ständig präsent bei dem, was wir tun.

Unser Haus haben wir an eine Familie verkauft, die dir gefallen hätte! Eine junge Familie, die für ihre Kinder nur das Beste will und ihnen eine schöne Kindheit im eigenen Haus ermöglichen möchte. So wie Papa und du in jungen Jahren genau aus den gleichen Gründen diese Aufgabe für uns übernommen habt. Und wir hatten eine sehr schöne Kindheit!

Ninas Kind bekommt die Babydecke, die du einst für Nina selbst gestrickt und in die du sie eingewickelt hast. Papa hat auf dem Friedhof erfahren, dass er Opa wird, denn Nina wollte es Papa und dir gleichzeitig erzählen. Dieser Moment war gleichzeitig unfassbar schön und unfassbar traurig.

Tanja hat ihren Hochzeitsantrag an eurem 30. Hochzeitstag bekommen und sie wird bei ihrer Hochzeit dein Armband tragen – so bist du auch mit dabei! So wie du eigentlich immer überall in Gedanken dabei bist! 

 Du fehlst uns unendlich in jeder Lebenslage. Wir vermissen deine Stimme und deine Ratschläge. Aber auch, wie du uns mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen konntest. Wir vermissen es, wie du von früher erzählst und sogar, dass wir uns über dich auch herrlich aufregen konnten.

Wir vermissen deine Umarmungen und überhaupt vermissen wir deine Person. Wir denken jeden Tag an dich und wir möchten dir einfach noch so viel sagen/dich noch so viel fragen. Dass es uns leid tut, wenn wir mal wieder ungeduldig waren und du dich mit deiner Krankheit manchmal nicht verstanden fühltest.

Wir würden fragen, wie es für dich in deinen Schwangerschaften und bei deinen Hochzeitsvorbereitungen gewesen ist. Wie wir das jetzt am besten kochen können oder wie wir diesen Fleck am besten entfernen können. Diesen Zeitpunkt haben wir verpasst, denn es gab kein „es geht zu Ende“, kein „Sie haben noch ein halbes Jahr zu leben“. Plötzlich warst du nicht mehr da. Mit nur 52 Jahren einfach weg. 

Dein Tod hat einiges bewegt. Wir sind so dankbar dafür, gesund zu sein und ein gutes Leben zu haben. Leider ein Leben ohne Mutter, aber trotzdem ein gutes Leben. Wir haben so viele kranke Menschen während deiner Krankheit im Krankenhaus gesehen, von so vielen traurigen Schicksalen gehört. Wie gut geht es allen, die nicht selbst krank sind oder kranke Angehörige haben.

Und wir sind sehr dankbar dafür, dass wir dich 26/27 Jahre in unserem Leben hatten und du nicht schon früher gegangen bist. Durch dich haben wir gemerkt, dass die Gesundheit das Allerwichtigste im Leben ist.

Danke, dass du unser Leben auch heute noch prägst. Wir vermissen dich unendlich!

Deine Töchter Nina & Tanja 


3 comments

  1. Danke an die Mamis
    Nun sitze ich hier heulend mit riesem Kloß im Hals nach eurem Text und kann so vieles nachempfinden. Vor fast genau 2 Jahren haben ich und meine Schwester unsere Mutter ebenfalls an den Krebs verloren, nach nur einem Jahr und dennoch wie bei euch überraschend plötzlich. Ich war keine 4 Wochen vor der Diagnose selbst Mutter geworden und habe mein Kind in dem Jahr allerdings leider kaum wahrnehmen/genießen können da sich alles um die Krankheit drehte mit vielen Tiefs (Schlaganfall zweimal) und auch Hochs (wo die Hoffnung wieder wuchs). Nach ihren Tod ist das Band zu meiner Schwester noch enger geworden, die Wut, Verzweiflung und Trauer kann sie einfach am besten teilen. Auch nach 2 Jahren denke ich oft, wie gern ich meine Mutti in dem Moment anrufen würde,vor allem in Sachen Kind und wie sie das alles geschafft hat damals. Der wichtigste Zuhörer und „Berater“, ein Stück Zuhause und Geborgenheit war plötzlich für immer weg. Das für immer kann ich nach wie vor schwer begreifen. Seitdem ist aber auch für uns Gesundheit das höchste Gut und über Kleinigkeiten oder Alltagsdramen rege ich mich gar nicht erst auf, so ein Verlust stellt sovieles in den Schatten. Es half uns, dass es leider so viele (be)trifft und man nicht allein damit ist. Geteiltes Leid…so doof und pauschal das manchmal klingt. Ich wünsche euch viel Kraft und Zusammenhalt! Viele Grüße, Lena

  2. Das ist wunderschön…
    …und hat mich sehr berührt. Danke Euch für diesen gefühlvollen Text. Alles erdenklich Gute für die Schwangerschaft & und die Geburt und eine wundervolle Hochzeit!
    Viele Grüße
    Barbara