Es ist Sonntagmorgen und wir können seit zwei Stunden in Ruhe frühstücken. Das liegt nicht daran, dass die Kinder bei den Großeltern übernachtet haben, sondern daran, dass neuerdings eine Stecktabelle der Bundesliga in der Küche hängt. Unsere beiden Söhne sind sieben und sie leben Fußball. Was das für ihre Bildung und ihre Entwicklung bedeutet, wird mir erst jetzt so richtig klar!
1. Kinder lernen lesen
Der eine Sohn steht mit meinem Handy in der Hand neben dem anderen Sohn und liest die aktuelle Tabelle vor: "Hooo-ffen-heim. Ah, Hoffenheim". Der andere steckt die kleinen Vereinssymbole in der Stecktabelle um, so dass alles seine Ordnung hat. Sie lesen freiwillig! Weil es um Fußball geht. Außerdem muss regelmäßig der Kicker und der Sportteil der Zeitung durchgelesen werden. "Mama, was steht da?" "Lies doch selbst…" "Na gut!"
2. Kinder lernen auswendig
Natürlich müssen unsere beiden am Montag in der Schule mitreden können, wer welchen Tabellenplatz hat. Also lernen sie sämtliche Vereine auswendig und ihre Tabellenplatzierung – plus Logo.
3. Kinder lernen Feinmotorik
Sie stecken kleine Pappkärtchen in kleine Papplücken. Immer wieder. Nach jedem Spieltag. Das ist doch fast wie Basteln!
4. Kinder lernen Zeichnen
Die Vereinslogos, besonders die der Vereine, die sie nicht mit „Buh“ berufen, müssen natürlich auch gemalt werden. Blätter her, Stifte raus, hier kommt der Geißbock.
5. Kinder lernen Geduld
In der dritten Liga kennen sich unsere Söhne nicht so gut aus, wie in der ersten, also müssen sie die Tabelle dreimal neu stecken. Das geht ohne Weinen, sie haben ein Mammut-Durchhaltevermögen, wenn es um Fußball geht. Wäre das hier ein Gesellschaftsspiel, hätten sie längst wütend die Figuren durch die Gegend geworfen.
6. Kinder bewegen sich
Nach der Tabelle gehen sie natürlich raus kicken, bewegen sich und versuchen, im Tor Manuel Neuer und im Feld Lewandowski nachzuahmen. Auch ein schauspielerisches Talent lässt sich dabei aus ihnen herauskitzeln.
7. Kinder trainieren ihr Langzeitgedächtnis
"Ach, das ist doch die Mannschaft die 3:0 gegen Hamburg gewonnen hat." Unsere Kinder wissen mittlerweile Dinge und Ergebnisse, von denen ich keine Ahnung habe. Es ist der wohl erste Bereich, in dem sie mich wissens-technisch überholen. Das macht mich sehr stolz. Und demütig natürlich.
8. Kinder lernen verlieren
Auch wenn sie noch oft weinen, wenn Ihr Lieblingsverein in der Bundesliga verliert, sie lernen, dass der Verein danach wieder aufsteht und irgendwann auch wieder gewinnt. In ihrem eigenen Verein klappt das mit dem Verlieren sogar schon ohne Tränen.
9. Kinder lernen Fairness
Wer eine rote Karte bekommt ist raus. Das wissen sie. Im Erziehungsalltag mit gelben oder roten Karten zu drohen ist die wirksamste Methode für echte kleine Fußballerfreunde. Echt jetzt.
10. Kinder lernen Teamwork
Beim Fußball zählt die ganze Mannschaft, nicht der einzelne. Alle müssen zusammen halten. Für den Geschwisteralltag üben wir das noch, da gibt es noch viele Konflikte, auf dem Platz allerdings leben sie Teamplay und gratulieren sich gegenseitig und großmutig zu ihren Toren.
11. Kinder lernen Ausdauer
In Zeiten des Überflusses geht es vielen Kindern so, dass sie nichts mehr richtig anpacken. Drachen steigen lassen, Memory spielen, ferngesteuertes Auto. Am Ende steht alles rum und nichts wurde richtig durchgezogen. Fußball hat eine ganz andere Beständigkeit in ihrem Leben. Da bleiben sie – im wahrsten Sinne des Wortes – am Ball.
12. Kinder lernen Koordination
Gleichzeitig dribbeln, die Mannschaft im Auge behalten und die Ansagen des Trainers befolgen: Das ist so schwer wie eine Bruchrechnungs-Aufgabe aus dem Schulunterricht. Mindestens. Fußball ist also auch Mathe. Irgendwie.
13. Kinder lernen Konzentration
Von draußen schreien Eltern rein, sie blenden das aus, wenn sie auf dem Platz sind, weil sie selbst ihr Ziel am besten vor Augen haben. Schauen wir Fußball im Fernsehen, kann ich ihnen Schokolade und Gummibärchen und Chips gleichzeitig anbieten, sie reagieren nicht. Sie versinken komplett und konzentriert im Spiel.
14. Kinder lernen Disziplin
Wenn der Kuchen spricht, haben die Krümel Pause, das wissen wir seit Tommy Gerhardt. Das gilt natürlich auch fürs Training. Zu Hause klappt das zwar noch nicht immer, aber wenn der Trainer etwas sagt, wird das befolgt. Und wenn sie es woanders können, wissen sie ja wenigstens, wie es geht. Beruhigend.
15. Kinder lernen Ehrgeiz
Sie wollen gewinnen. Das haben wir ihnen nicht eingebläut, das kommt von ganz von innen. Und je mehr sie sich mit Fußball auseinandersetzen, desto größer wird ihr Ehrgeiz. Das ist eine Entwicklung, die wir ihnen nicht hätten beibringen können. Es kommt einfach. Und Ehrgeiz ist doch immer gut. Auch wenn er für ein Hobby entfacht.
Das alles sind Dinge, die wir unseren Jungs trocken und in der Theorie nur schwer hätten beibringen können. Natürlich lässt sich das nicht nur auf Fußball, sondern auch auf alle anderen Sportarten anwenden. Oder auf ein Interesse an Dinosauriern, über das die Kinder Wissen anhäufen, das einem selbst nicht geläufig ist. Es ist fantastisch zu sehen, welche Persönlichkeiten und Interessen diese kleinen großen Leute in unserem Leben entwickeln.
5 comments
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Vertraulichkeit
Bildung durch Fußball
Liebe Lisa,
ein toller Artikel und ich kann deine Erfahrungen und Beschreibungen nur bestätigen. Mein Sohn ist vier Jahre alt und Fußball begeistert. Er kann noch nicht lesen, aber er sammelt begeistert die Sticker und Kärtchen, die es beim Supermarkt gibt. Er kann die Namen der Spieler benennen, kann Zahlen lesen und hat eine unglaubliche Ausdauer, sich damit zu beschäftigen. Die sozialen Aspekte des Mannschaftssport sind natürlich auch nicht zu vernachlässigen.
Viele Grüße und eine schöne WM
Maria
Ja!
Gerade gestern im Auto: der Große (9) zum Kleinen (6): das Land mit P gegen das Deutschland 0:3 (glaub ich, nicht sicher – ICH hab’s mir nicht gemerkt) gewonnen hat. Der Kleine: na klar Portugal! Es ist auch ein bisschen Erdkunde! Von vielen Ländern hätten beide ohne Fußball noch nichts gehört und die Erklärung warum der 1. FC Köln nicht gegen die Nationalmannschaft spielt … Warum es Landes- und Bezirksliga heißt … Mal abgesehen davon, dass der kleine mit 5 bei der WM alle deutschen Rückennummern den Spielern zuordnen konnte und jedes geschossene Tor, jedes Ergebnis usw. Ganz ohne Fußball-Verein, weil das leider in unserer Konstellation nicht möglich ist.
Gute punkte
Schön beobachtet. Ich hab auch zwei Jungs und kenne das 🙂 LG Andrea
Wie wahr 🙂
Mein Sohn lernt auch nur deswegen Lesen 🙂