Liebe Caroline, Deine Mama ist vor 4,5 Jahren an Brustkrebs gestorben. Sie war gerade mal 48 Jahre alt. Kannst du uns mehr über deine Mama erzählen?
Meine Mutter war bei der ersten Erkrankung 35 Jahre jung. Diagnostiziert wurde der Brustkrebs jedoch erst 2 Jahre später. Die Ärztin schickte sie beim ersten Mal wieder weg und faselte etwas von „Sie sind so dünn, da merkt man halt jeden Knochen“.
Als der Tumor dann schon von außen sichtbar war, ging sie 2005 wieder zur Untersuchung. Da war er natürlich schon ziemlich groß. Es war ein sehr aggressiver Tumor. Meine Mutter war eine sehr rationale Frau. Gefühle wurden nicht wirklich gezeigt, zumindest uns Kindern gegenüber nicht. Sie wollte den Krebs besiegen und hat gekämpft.
Welche Therapien hat deine Mutter dann bekommen?
Sie bekam damals die klassische Chemo. Zum Glück ambulant. Aller 2-3 Wochen, wenn ich mich richtig erinnere. Danach ging es ihr immer ein paar Tage ziemlich schlecht. Nach ein paar Monaten wurde der restliche Tumor operativ entfernt und die anschließende Bestrahlung begann. Kurz vor meinem Abi 2006 war sie dann tumorfrei.
Leider kam der Krebs 2012 zurück. Ich war gerade mit dem Studium fertig und für mein Referendariat nach Ludwigsburg gezogen (6 Autostunden von meinen Eltern entfernt). Diesen Tumor (es war wohl wieder diese Art Tumor, allerdings im Knochen hinter der Brust) konnte man wohl nicht mehr mit derselben Chemo bekämpfen. Sie bekam eine Therapie, die diesen Tumor einkapseln sollte, sodass er nichts „anstellen“ konnte, also weder wachsen, noch strahlen und somit keine lebensnotwendigen Organe beschädigen.
Dies ging ein paar Jahre gut. 2014 dann wieder eine Schockdiagnose. Der Tumor hatte gestreut. Meine Mutter bekam wieder eine Chemotherapie, die sie gut vertrug.
Im selben Jahr wurde ich schwanger. Dies war das größte Glück für sie. Sie hatte immer Angst davor, dass sie ihre Enkelkinder nicht mehr kennenlernen würde. Ihre Enkeltochter gab ihr viel Kraft. Wir wohnten damals in München und versuchten uns so oft wie möglich zu sehen.
Wann war klar, dass deine Mutter sterben wird?
Irgendwann schlugen die Therapien nicht mehr wie erhofft an. Der Krebs streute auf die Leber. Meinem Vater war Ende 2015 klar, dass meine Mutter nur noch ein paar Monate haben wird. Er fragte einen Arzt dann auch ganz direkt.
Wie bereits erwähnt, standen Gefühle in unserer Familie nicht so im Vordergrund und somit wurde auch nicht wirklich über den Tod gesprochen. Jeder hoffte nur das Beste und redete sich auch dieses ein.
Im April 2016 heirateten wir standesamtlich bei München. Da war meine Mutter noch dabei. Diese Reise war jedoch ein riesiger Kraftakt für sie. Als sie schon direkt nach der Hochzeit abreisen und nicht mehr zum 1. Geburtstag ihrer Enkeltochter bleiben wollte, wurde mir innerlich klar, dass es nicht mehr lang gehen wird. Ich habe es aber weggeschoben.
Anfang Mai wollten wir meine Familie besuchen fahren. Da meinte mein Vater am Telefon, dass ich mehr Sachen einpacken sollte. Damit sagte er mir durch die Blume, dass es bald passieren würde.Tatsächlich ging es dann auch ziemlich schnell, was gut für meine Mutter war. Sie wollte nicht lange leiden, sie wollte nicht zum Pflegefall werden, sie wollte nur noch erlöst werden. Am 12. Mai ging sie dann von uns. Sie starb zu Hause in ihrem Bett. Wir konnten sie alle noch einmal sehen.
Du hast das Gen für Brustkrebs geerbt. Seit wann ist das klar und wie wurde das festgestellt?
Als ich nach München zog, schickte mich meine neue Gynäkologin auf Grund meiner Familiengeschichte in die Uni um untersuchen zu lassen, ob der Tumor meiner Mutter genetisch bedingt ist. Dort wurde mir nach der Untersuchung gesagt, dass ich in 5 Jahren nochmal kommen solle. Das verstand ich alles nicht so richtig.
2019 erkrankte eine Schulfreundin von mir mit gerade mal 30 Jahren an Brustkrebs. Da erinnerte ich mich an diese Fünf-Jahres-Aussage und machte einen Termin. Ich ging hin und dachte: Was soll sich schon geändert haben?
Die Ärztin klärte mich aber darüber auf, dass man 2013 nur 2 Gene kannte, die für Brustkrebs verantwortlich sein könnten. 2019 waren es schon 18 bekannte Gene. Das war schockierend und doch dachte ich, dass ich schon keins davon haben werde.
Was leider nicht stimmte….
Genau. Ich habe das Palb2-Gen von meiner Mutter geerbt.
Was bedeutet das genau? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass du auch erkrankst?
Das Palb2-Gen hängt wohl ganz stark mit den bekannten BRCA1 und 2 Genen zusammen, weshalb ich zu einer 70%igen Wahrscheinlichkeit noch in den 30ern an Brustkrebs erkranken könnte (ich bin jetzt 34). Außerdem bringen diese Gene häufig den aggressivsten Tumor mit sich, der dann ganz schnell wächst.
Puh, wie hast du das aufgenommen?
Ich war natürlich total durcheinander und konnte es gar nicht glauben, dass es MICH getroffen hat. Wir sind glücklicherweise 2 Tage nach der Diagnose für 10 Tage mit unseren beiden Töchtern nach Mallorca in den Urlaub geflogen. Dort konnte ich abschalten und meine Gedanken und Gefühle ordnen. Ich hatte mir (und auch allen anderen) immer gesagt, dass ich mir die Brüste abnehmen lassen würde, wenn sich herausstellt, dass ich so ein Gen in mir trage. Doch es ist die eine Sache, sich das theoretisch vorzunehmen. Wenn es dann soweit ist, ist der Schritt dann doch ganz schön heftig.
Wie hast du dich dann schlussendlich entschieden?
Auf Grund der Palb2-Diagnose wurde ich nach dem Urlaub ins MRT geschoben. Dabei fand man einen Knoten. Ich musste zur Biopsie. Diese Tage des Wartens und der Ungewissheit haben mich psychisch extrem belastet und stärkten meinen Entschluss zur Mastektomie. Der Knoten war gutartig, meine Nerven waren dennoch am Ende. Da war ich mir sicher, dass ich diesen Weg gehen muss.
Kann man sich auf diese Operation irgendwie mental vorbereiten? Wie ging es dir mental nach der Op?
Ich habe mir eigentlich immer nur gesagt, dass ich es meinen beiden Mädels und meinem Mann schuldig bin. Und natürlich auch mir selbst. Und vielleicht auch ein wenig meiner Mutter. Hätte sie damals gewusst, dass ihr Tumor genetisch bedingt war, hätte sie wahrscheinlich genauso entschieden und, wer weiß, wohlmöglich würde sie noch leben.
Nach der OP ging es mir mental sehr gut. Ich hatte 2 Kinder gestillt und war körperliche Veränderungen gewohnt. Außderdem habe ich in der Woche in der Klinik so viele tragische Schicksale gesehen, dass ich nie daran zweifelte, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist.
Und wie ging es dir körperlich?
Oh, das war schon ziemlich heftig. Vorher verglich ich die OP immer mit meinen beiden (nicht ganz komplikationsfreien Geburten) und die hatte ich ja auch geschafft. Aber es war dann doch sehr anders und viel viel schmerzhafter.
Die erste Woche im Krankenhaus konnte ich meinen Oberkörper kaum bewegen und war auf viel Hilfe angewiesen. Auch die Wochen darauf. Wir hatten glücklicherweise Unterstützung von der Lebensgefährtin meines Vaters bekommen. Meine jüngste Tochter war damals erst 1,5 Jahre alt und ich durfte (und konnte) nicht schwer heben. Es wurde aber von Woche zu Woche besser.
Es gibt ja die Möglichkeit, die Brust mit Implantaten wieder aufzubauen. Was denkst du darüber?
Das habe ich selbstverständlich machen lassen. Wenn man die Möglichkeit hat, warum nicht. Das wird alles innerhalb einer OP gemacht, also Mastektomie mit anschließendem Wiederaufbau. Man hat also „nur“ einmal Schmerzen. Und meine Krankenkasse hat alles bezahlt.
Wie geht es Dir heute? Und wie ist deine Familie mit all dem umgegangen?
Mir geht es heute (es ist nun fast ein Jahr her) sehr gut. Ich bin so froh, dass es zeitlich gerade so passte. Früher wäre es auf Grund des Stillens nicht möglich gewesen (es müssen zwischen letztem Stillvorgang und OP mindestens 6 Monate liegen) und kurz darauf hätte man mich coronabedingt nicht mehr operiert.
Meine Familie war eine sehr große Unterstützung für mich. Mein Mann stand voll und ganz hinter meiner Entscheidung. Am schwierigsten war es für meine große Tochter. Sie hatte große Angst um mich. Sie kann sich zwar nicht mehr an ihre Oma erinnern, jedoch sprechen wir sehr oft mit ihr über sie.
Im Kindergarten erzählte sie, dass Mama die Brüste abgeschnitten werden und es nun neue aus Plastik geben würde. Wir erklärten ihr, dass ich das mache, damit ich nicht die doofe Krankheit bekommen würde, an der Oma sterben musste.
Was möchtest du noch zu dem Thema sagen?
Mir ist es ganz wichtig, dass viele von meiner Geschichte lesen. Das Thema wird, meiner Meinung nach, viel zu wenig publik gemacht. Vor Jahren hörte man mal von Angelina Jolie, jedoch dachte ich immer, dass sich solch OPs nur Promis und Superreiche leisten könnten. Kaum einer weiß, dass die meisten Krankenkassen heutzutage dafür aufkommen. Hätte ich meine Frauenärztin nicht gehabt, hätte ich mich höchstwahrscheinlich auch nicht testen lassen.
Jede Frau mit einer ähnlichen Familiengeschichte sollte sich darüber Gedanken machen, wie sie mit dem Wissen darüber, ein Krebs-Gen in sich zu tragen, umgehen würde. Einige Frauen wollen es gar nicht wissen, weil eine OP nicht in Frage käme. Allerdings ist es wichtig zu wissen, dass einer Frau mit einem dieser Gene mehr Vorsorgeuntersuchungen zustehen würden.Ich konnte mein Risiko durch die OP von ca. 70% auf etwa 3% minimieren.
Abschließend möchte ich Euch noch eine ganz tolle Serie empfehlen. „The Bold Type“ beschäftigt sich auch sehr intensiv mit diesem Thema. „Sex and the City“-like mit mehr Tiefgang. Wirklich sehr sehenswert!
3 comments
Für mich sehr nachvollziehbar!
Ich selbst bin mit 44 an Brustkrebs erkrankt und habe zwei Kinder im Grundschulalter.
LG Ines
Hallo, ich habe ein ähnliche Geschichte (meine Mutter starb als ich 7 Jahre alt war und BRCA1). Ich möchte nur informieren, dass der Wiederaufbau auch aus körpereigenem Fettgewebe, z.b. Bauch oder Po, möglich ist. Das Gewebe wird an den Blutkreislauf „angeschlossen“. Zu wissen, dass kein „Fremdkörper“ in mir ist, hat die Entscheidung für die Masketomie sehr erleichtert und ich fühle mich wohl damit bzw. merke es im Alltag gar nicht mehr. Die Krankenkasse hat die Kosten übernommen. Viele Grüße Annette
Liebe Caroline,
danke für deine persönliche und schmerzhafte Geschichte. Mein Beileid auch bezüglich deiner Mutter.
Ich finde es sehr mutig, dass du dich für die Operation entschieden hast. Und auch persönlich richtig.
Falls du, liebe Caroline, dies liest: wie schnell hast du dich an deine jetzigen Brüste gewohnt? Und kommt noch oft der Gedanke hoch, dass du schwer an Brustkrebs hättest erkranken können? Oder hast du diesen Part deines Lebens ad acta gelegt?