Die Wehenschreiberin: Eine Hebamme plaudert aus dem Nähkästchen

Ihr Lieben, der Berufsstand der Hebamme liegt uns so sehr am Herzen – und da wir ihre Kolumne im SZ Magazin jedes Mal aufs Neue verschlungen haben, sind wir unglaublich glücklich, sie heute bei uns im Blog zu Gast zu haben: Maja Böhler, die Hebamme hinter der Kolumne "Die Wehenschreiberin".

Liebe Maja, in deinem Buch "Die Wehenschreiberin" (Affiliate Link) schreibst du den tollen Satz "Der Kreißsaal ist die größte Bühne der menschlichen Existenz". Was genau meinst du damit?

Im Kreißsaal zeigen sich die existentiellsten Erlebnisse und Gefühle der Menschen. Die Grenze zwischen Leben und Tod, Freude und Trauer, Kraft und Verletzbarkeit verläuft mitten hindurch und macht mir in meiner täglichen Arbeit immer wieder bewusst, wie viel Glück wir oft vergessen wahrzunehmen, wieviel Dankbarkeit man zeigen sollte und kann, für Dinge die einem oft selbstverständlich erscheinen.

Und dann gibt es da diesen Moment,  wo Eltern dieses neugeborene Wesen, die real gewordene Verbindung zwischen ihnen in Händen halten. Ein Moment reiner Liebe, die einen ganzen Raum erfüllen kann. In diesem Moment steht auch für mich die Erde oft einen Moment still.

In deinen Kolumnen fürs SZ Magazin und im Buch schreibst du von Müttern, die unter Presswehen noch WhatsApps schreiben, Eltern, die die fünf Vornamen des Kindes nochmal durchdiskutieren, von Vätern, die sich die Kleidung vom Leib reißen und in die Geburtswanne springen. Welche Situation war für dich die krasseste als Hebamme?

Einiges habt ihr da schon erwähnt. Es gibt immer wieder Situationen, die mich überraschen, die urkomisch sind, mich wütend und traurig machen oder erstaunen: Frauen, die über sich hinauswachsen, Bodybuilder, die beim Anblick ihres Neugeborenen in unhaltbare Heulkrämpfe ausbrechen oder Angehörige, die mich nachts um 4 bedrohen, weil die Kaffeemaschine defekt ist.

Am „krassesten“ und nachdrücklichsten sind für mich aber Momente, die mir zeigen, das Leben und Tod oft nur Millimeter voneinander entfernt sein können. Wie diese eine Geburt vor ein paar Monaten. Das Kind hatte eine schwere Erkrankung, von der niemand vor Geburt wusste. Binnen Sekunden hatte sich eine Traumgeburt zu einem Horrorszenario verändert, das ich und kein anderer aus meinem Team so je zuvor erlebt hatte.

Während die Kinderärzte sich nach der Geburt unermüdlich um das Baby kümmerten, hielten die Mutter, der Vater und ich nur an den Händen und weinten. Ich fühlte mich selbst so hilflos und wollte doch den Eltern beistand sein.

Doch wie bei einem Uhrwerk griff ein Zahnrad ins andere. Die Gynäkologinnen, Kinderärzte, meine Hebammenkolleginnen und Amali unsere Reinigungsfrau – jeder tat sein möglichstes. Am Ende überlebten beide. Es waren viele helfende Hände am Werk und auch vieles mit Glück zur rechten Zeit am rechten Ort.

Gerade in einem Moment, wo ich mich vollkommen macht- und hilflos gefühlt habe, habe ich gemerkt, wieviel man gemeinsam schaffen kann.

Gab es auch schon mal Grenzüberschreitendes? Einen Vater, der dir während der Geburt Avancen machte oder dich um den Husband Stitch bat?

Wo viele Menschen arbeiten, trifft man auch auf viele Menschen. Sowohl auf nette, tolle Menschen, aber auch auf Menschen, die man eher nicht so gerne kennengelernt hätte. Ja, Avancen gab es schon mal, auch den Husband stitch (dass es dafür diesen Ausdruck gibt, musste ich ehrlich gesagt aber auch erst googlen).

Meiner Freundin Elli, die auch Hebamme ist, passierte mal einen erzählenswerte Story. Der werdende Vater kam ihr unter der Geburt sehr bekannt vor. Während sie noch überlegte, ob es ihr Bankberater oder Lehrer ihres Sohnes sei, fing er sie vor der Kreißsaaltür ab: Ja, sie kenne ihn, ja er sei vor 4 Wochen mit seiner Freundin zur Geburt auch hier im Krankenhaus gewesen, aber bitte, bitte, sie solle seiner Ehefrau nichts verraten.

Verblüfft, schockiert und mit einem absurden Gefühl von Anerkennung für soviel Logistik, die dieser Mann anscheinend leisten konnte, nickte Elli erstmal zustimmend. Kurz später war sie aber dankbar, dass der Schichtwechsel anstand. Ihr Geheimnis behielt sie für sich. In solchen Momenten sind wir keine Moralpolizei, sondern eben medizinisches Personal und das erfüllen wir, egal wie sympathisch einem das Gegenüber ist.

Hast du dich auch schon mal so richtig fremdgeschämt? Wenn ja, wann und wieso?

Eigentlich sage ich manchmal scherzhaft: Die Scham dürfen sie gerne an der Kreißsaaltür abgeben. Aber nicht, weil man unter der Geburt nicht mehr selbstbestimmt ist oder dergleichen. Eher weil der Kreißsaal ein geschützter Raum ist, wo körperliche Dinge passieren dürfen, Ängste sein dürfen, die normal sind und in unserem Alltag unterdrückt und nicht schicklich sind.

Ein Pups, der einfach laut entfährt, auch Stuhl, der unter der Geburt abgehen kann oder Flüche, schlimmer als bei jedem Seemann. So what. Ekel und Fremdscham habe ich wenig.

Oft entstehen solche Situationen aus Unsicherheit. Die Leute sind ja meist das erste Mal in einer unbekannten und dazu noch extremen Situation. Und wenn dann lacht man oft offen und gemeinsam drüber. Und das baut die Anspannung und Ängste besten ab.

Wie erlebst du den krassen Widerspruch der Reaktionen von außen? Zwischen "Awwwww, du bist Hebamme?!? Wie schööööön" bis hin zum Wahnsinn der Arbietszeiten, des Fachkräftemangels und der horrend steigenden Haftpflichtsummen… ?

Genauso. Viele stellen sich vor, dass mein ganzer Tag aus dem Schunkeln von Wonneproppen besteht. Aber wie körperlich anstrengend, emotional zehrend und fordernd er aussieht, merken sie meist erst, wenn sie mal selber ein bisschen Zeit im Kreißsaal verbracht haben. Von Freunden, die ein Kind bekommen haben, bekomme ich dann auf einmal erstaunte Anrufe, was ich für einen irrsinnigen Job hab.

Meine Co-Autorin begleitete mich mal in der Arbeit. Sie war sprachlos, als ich auf ihre Frage, ob ich zur Mittagspause dann mal einen kleinen Spaziergang draußen machen würde, entgegnete, dass ich während meiner 8-Stunden-Schicht den Neon beleuchteten Kreißsaaltrakt nicht verlassen würde und schon froh bin, während der Dokumentation am Schreibtisch zu sitzen und da schnell einen Kaffee zu trinken.

Dennoch mag ich meine Arbeit, sie gibt mir viel. Aber obschon ich meinen Beruf liebe, wünsche ich mir faire Arbeitbedingungen. Ein wichtiger Spruch verdeutlich das gut mit: you also need to take care of care takers.

Für mich und uns ist der Beruf der Hebamme einer der wichtigsten in Sachen Frauengesundheit. Seelisch wie körperlich, was können wir "Normalos" denn noch tun, um diesem Berufsstand zu helfen?

Geht auf die Barrikaden. Leider ist es nur mit Aufklärung ALLER und Druck auf Politik und Gesundheitswesen möglich. Es fühlen sich ja leider nur wenige betroffen: die Großelternfraktion und Eltern, die bereits ältere Kinder haben, denken, damals war alles schon ok, so wie es war. Junge, noch kinderlose Leute nehmen das Thema noch nicht wahr. Von daher sind es leider meist nur die Eltern, die  gerade mittendrin sind im Thema Kinderwunsch, Schwangerschaft und Geburt.

Sie bekommen den Hebammenmangel, die Versorgungsengpässe im Kreißsaal, aber auch die anderen kontroversen Themen, wie etwa Gewalt in der Geburtshilfe, am eigenen Leib mit. Aber selbst von denen, die gerade davon betroffen sind, engagieren sich nur wenige. Daher rüttelt alle auf, es geht um die Zukunft unserer Kinder: wie werden sie mal versorgt sein, wenn sie Kinder kriegen.

Wie wollen wir als Frauen im und durch das Gesundheitssystem behandelt werden. Da müssen alle mit ein einem Strang ziehen. Also informiert Eure Eltern, Tanten, Onkels, Nachbarn, Freunde. Es muss ein großer Punkt auf der politischen Agenda werden.

(Und im Alltag kann man schon anfangen: ein ehrliches und aufrichtiges Danke. Da braucht es kein Merci. Aber Wertschätzung und Respekt für das, was jeder von uns leistet: Den Hebammen, den Kollegen im OP, den Erziehern, Bahnkontrolleuren, dem Postboten und der Kassiererin im Supermarkt abends um halb zehn, zaubert ein echtes Danke ein Lächeln ins Gesicht.)

Erzählst du uns zum Abschluss noch deine allerallerschönste Kreißsaalgeschichte, die du nie vergessen wirst?

Es klingt pathetisch. Aber es sind so viele… Die Paare sind oft verdutzt, wenn sie nach mehreren Jahren zur Geburt des zweiten Kindes kommen und ich ihnen kleine Details der ersten Geburt erzählen kann. Aber es sind viele Momente für die ich dankbar bin und die sich in mein Herz gebrannt haben. Vom schluchzenden Bodybuilder, der mich nach der Geburt packte und so fest umarmte, dass mir fast die Luft wegblieb.

Über der afghanischen Mama, die ganz allein im Kreißsaal war und wir uns nur mit Händen und Füßen verständigen konnten. Über die betroffenen Eltern und Kinder, die ich bei stillen Geburten betreut habe, also bei Geburten, bei denen ein totes Kind zur Welt kam. Ich denke so oft auch an diese Familien.

Bis hin dazu wie geehrt ich mich fühle, Freunde bei der Geburt begleiten zu dürfen und oft noch am 5. Geburtstag der Kleinen an diesen besonderen Moment denke, wo sie geschlüpft sind.

Es sind viele kleine Momente, die mein Herz mal schwer werden und mal vor Glück hüpfen lassen.


1 comment

  1. Mother Hood e.V. unterstützen!
    Tolles Interview! Und wie Maja im Interview sagt: „Geht auf die Barrikaden!“. Werdet am besten Mitglied bei Mother Hood e.V. (https://www.mother-hood.de). Wir kämpfen für eine bessere Geburtshilfe! Ab 25€/Jahr könnt ihr passiv Mitglied werden, habt keine Arbeit, aber gebt uns und allen Eltern eine Stimme. Danke! ❤️

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