Interview mit Katy: Wie ich nach dem Mord an meiner Schwester zurück ins Leben fand

Ihr Lieben, manchmal ist die Welt klein und Menschen finden über Umwege zueinander, weil man denken könnte, sie müssten zueinander finden. Jedenfalls suchte in einem Forum für Frauen eine Frau Unterstützung. Sie schrieb, sie habe eine Freundin, die gern ein Buch veröffentlichen würde.

Ich meldete ich daraufhin bei ihr und erzählte, dass ich vielleicht helfen könne, weil ich den ein oder anderen Kontakt in die Buchbranche hätte. Sogleich vermittelte mir ebendiese Frau den Kontakt zu Katy. Wir telefonierten – und verstanden uns gleich auf Anhieb. Und nicht nur das. Wir stellten auch noch fest, dass wir sogar gemeinsame Bekannte haben.

Wir redeten über unsere Familien und ihre Geschichten. Und Katy hat eine besonders bewegende zu erzählen, denn vor fünf Jahren – im Herbst 2013 – wurde ihre damals 21 Jahre alte Schwester (im Foto links) ermordet. Seitdem ist für Katy und ihre Familie nichts mehr, wie es war. Wie sie heute auch Kraft aus der Trauer zieht, das hat sie uns in einem berührenden Interview erzählt. Katy, danke vielmals für Dein Vertrauen!

Liebe Katy, Du beschreibst deine Schwester Larissa als Deinen "Zwilling im Herzen". Ihr seht auf dem Bild so glücklich aus! Was war sie für ein Mensch und was verband Euch besonders?

Hach was für eine tolle Frage, endlich fragt mal jemand nach ihr und nicht immer nur wie war der Mörder… Danke! 

Sie war wohl einer der lebensfrohsten Menschen, die ich je gekannt habe. Sie hat immer gelacht und war stets motiviert, all ihre Vorhaben anzugehen und auch gut zu meistern. Sie hat das Leben mit einer bewundernswerten Leichtigkeit gelebt und sich selten über Kleinigkeiten beschwert. Sie war sportlich und liebte die Natur. Ihr Lebensmotto war Lebe.Lache.Liebe. Jeden Tag. Ihr Herz war großzügig gegenüber Menschen, die es nicht leicht hatten und daher half sie stets, so gut es ging.

Wir waren uns charakterlich sehr ähnlich und auch unsere Beziehung zu unseren Eltern war ähnlich aufgebaut. Unsere Interessen waren fast immer dieselben und sie erinnerte mich stets an mein jüngeres Ich. Eine ähnliche Verbindung hatten meine anderen beiden Schwestern zueinander.

Larissa und ich verstanden uns blind und hatten den großen Traum, zusammen nach Wien zu gehen, nachdem ich mein Studium in Innsbruck abschloss. Sie wollte Technische Physik studieren, ich wollte weiter Archivwissenschaften studieren.

2013, also vor fünf Jahren, wurde Deine Schwester ermordet. Was genau ist passiert?

Ich veranstaltete eine Party bei mir zu Hause. Dorthin kamen auch Larissa und ihre neue Bekanntschaft – ein Mann, den sie zwei Monate zuvor kennengelernt hatte. Wir verbrachten eine lustige Partynacht und sie beide gingen zu ihm nach Hause. Dort kam es zum Streit.

Er erwürgte Larissa anschließend und entsorgte sie im nahe gelegenen Stadtfluss. Am nächsten Tag erzählte er mir, dass meine Schwester mitten in der Nacht die Wohnung verlassen habe. Von da an begann die Suche nach ihr – für zehn lange Tage. Auch er half bei der Suche mit.

Nach zehn Tagen kam die Wahrheit durch einen Fehler seinerseits ans Licht. Er handelte scheinbar aus Eifersucht auf einen Freund von mir an jenem Abend.

Hattet Ihr eine Vorahnung, dass so etwas passieren könnte?

Nein. Die beiden kannten sich gerade mal zwei Monate etwa. Ich lernte ihn erst direkt bei der Feier kennen. Er war mir auf Anhieb sympathisch und nicht auffallend. Kurz bevor sie nach Hause gegangen sind, war er kurz eifersüchtig auf einen Freund von mir, aber solche Dinge passieren tagtäglich beim Ausgehen und heißen nicht sofort, dass jemand einen Mord begeht.

Dennoch habe ich mir lange Vorwürfe gemacht. Auch wenn ich heute weiß, dass ich sowas niemals hätte ahnen können.

Wie erinnerst Du Dich an diese Zeit der Ungewissheit während der Suche?

Diese Zeit hat mich an meine körperlichen Grenzen gebracht. Jeden Tag diese Ungewissheit zu haben, zwischen Hoffnung und Angst zu leben, war derart belastend, dass mein Körper mit Haarausfall und Schwächeanfällen reagierte.

Zudem musste ich permanent erreichbar sein für etwaige Hinweise und telefonierte oder simste gefühlt 23 Stunden pro Tag mit diversen Suchleuten, Unterstützern oder der Kripo. Wir haben täglich gesucht, um nicht nichts zu tun und hatten sehr viele Helfer an unserer Seite.

Gegessen habe ich irgendwas, manchmal auch nichts, aber darauf habe ich kaum geachtet. Schlafen konnte ich ebenso kaum. Geredet haben wir innerhalb der Familie viel und haben uns alle möglichen Szenarien immer wieder durch den Kopf gehen lassen. 

Wann konnte Larissa beerdigt werden und wie habt ihr diesen letzten Weg gestaltet?

Nachdem am 6. Oktober 2013 ihr Körper im Inn gefunden wurde, konnte die Beerdigung etwa eine Woche später stattfinden. Ich habe dafür ein Video mit ihren schönsten Momenten zusammengeschnitten, wir haben Luftballons zum Himmel steigen lassen.

Ihre Lieblingsband „Bluatschink“ hat extra gespielt und im Anschluss gab es eine Trauerfeier in einem örtlichen Lokal. Es war der einzige Abschied, den wir hatten, denn sehen konnten wir sie nicht mehr. Diesen Tag mit so viel anderen Menschen zu teilen, war einerseits schön… andererseits hätte ich mir in dieser besonderen Situation mehr Intimität gewünscht.

Du bist in der Zeit der Trauer sehr nah zusammengerückt mit Deiner Familie, mit deinen Eltern und mit Deinen weiteren beiden Schwestern. Was hat Dir das in dieser Zeit bedeutet? 

Das war nicht von Anfang an so. Erst hat uns die Trauer weit auseinandergerissen, da jeder anders mit dem Verlust umging und keiner wusste, wie er sich verhalten sollte. Viele Konflikte und Streitigkeiten sind dadurch entstanden. Erst als wir uns damit beschäftigt und offen miteinander geredet haben, konnten wir diese Konflikte überwinden und daran wachsen.

Der Zusammenhalt bedeutet mir enorm viel, denn sie waren mein Grund, weiterzuleben und weiterzukämpfen. Vor allem meine jüngeren Schwestern waren teilweise meine Motivation, mich nicht gehen zu lassen und ein gutes Vorbild zu sein.

Wann wurde aus dem Schockzustand Trauer, wann Wut – und wann und wie konntest du Dich zurück ins Leben, in deine Zukunft wagen?

Ich finde – rückblickend betrachtet-, dass sich gleich nach der Beerdigung der erste tiefe Trauer-Zusammenbruch breit machte und von da an all diese Zustände immer wieder abwechselten. Das hing stark davon ab, welcher Tag war, welches Ereignis, was wieder in den Medien stand und wie es meiner Familie erging.

Bei mir kam noch dazu ganz viel Angst bis hin zu Panikattacken vor dem Mörder. Ich hatte schwere Alpträume, die mir meine ganze Kraft raubten. 

Schritt für Schritt habe ich es immer wieder mal gewagt, Alltägliches zu versuchen. Meistens endete es in einem Tränenmeer – egal ob beim Einkaufen, Spazieren, Waschen, Kochen oder zur Uni gehen. Jede dieser alltäglichen Handlungen hat mir bewusst gemacht, dass das Leben trotz dieses Schmerzes weitergeht und das hat mich immer wieder neu überrollt.

Ich war noch nicht bereit dazu, dass es weitergehen sollte und doch musste ich weitermachen, denn schließlich brauchte ich Geld, um zu leben. Deshalb funktionierte ich irgendwie, sodass ich wenigstens noch meine Miete bezahlen konnte. Dabei griff ich zu Beginn sehr oft zum Alkohol, mit dem ich glaubte, besser durch den Alltag zu kommen. Allerdings hat er meinem Körper und meiner Psyche mehr Schaden bereitet, als positive Entwicklungen.

Wer oder was hat Dir auf diesem Weg am meisten geholfen?

Meine Freunde waren sicherlich vor allem zu Beginn eine enorm wichtige Stütze, gerade weil es innerhalb der Familie schwierig war. Von Beginn an hatte ich zudem eine Therapeutin, die mir ebenfalls enorm geholfen hat. Was mir allerdings wirklich das Leben gerettet hat, waren Bewegung und Sport.

Vor Larissas Tod hatte ich einen Ski-Unfall mit Kreuzbandriss als Folge. Ich wurde operiert und bekam noch eine Thrombose dazu. Monate später war mein Knie besser, aber noch lange nicht gut. Nachdem Larissa starb, hatte ich mich nicht mehr um mein Knie gekümmert. Dadurch wurde es zunehmend schlechter.

Anfang 2014 hatte ich einen Termin bei meinem Operateur. Dieser sagte mir, dass ich anfangen solle meine Muskulatur aufzubauen, weil ich sonst niemals wieder würde joggen können. Das war der erste Funke.

Meine Schwester war immer die Sportskanone und meine persönliche Motivation zum Sport. Ich ging raus aus der Praxis und dachte: „Ich werde für dich trainieren, kleine Schwester.“ Erst versuchte ich es in einem Fitnessstudio. Das ließ sich aber mit meinen Heulkrämpfen nur schwer vereinbaren, weshalb ich meine Übungen nach draußen verlegte. Dort fühlte ich mich frei und konnte all meinen Gefühlen freien Lauf lassen.

Ich spürte, wie toll es sich anfühlte, meinen Körper wieder wahrzunehmen und ihm die Kraft zurückzugeben, die er nun deutlich brauchte. Meine körperliche Verfassung verbesserte sich und ich konnte auch wieder Freude und Glück spüren. Seit diesem Tag trainiere ich regelmäßig – bis heute. Der Sport ist mein Lebensinhalt geworden.

Dieses Training hat mich auch durch die Zeit der Verhandlung gebracht (der Täter bekam 20 Jahre mit anschließender Sicherungsverwahrung), mir geholfen, Entscheidungen für mich und meinen Körper zu treffen und auf mich zu achten.

Du hast dann Seelensport gegründet, einen "bewegten Weg aus der Trauer". Was genau bietest Du da an und was gibt Dir das auch für Dich selbst?

Ich würde es eher so nennen: einen bewegten Weg für die Trauer. Denn meine Trauer ist noch immer da. Sie hat sich verändert, wie sich alles im Leben stetig verändert, aber sie ist ein täglicher Teil von mir, der meine Liebe zu meiner Schwester zeigt.

Das Training nimmt mir die Trauer nicht und auch sonst keinem, vielmehr geht es darum, durch die Bewegung einen Weg zu finden, mit ihr umzugehen – und mit all den damit verbundenen Gefühlen. Es geht darum, den Körper als Instrument zu nutzen, diesen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und den Körper gleichzeitig zu stärken.

Ich biete den Seelensport in ganz unterschiedlichen Formen an: Kurse vor Ort in Innsbruck, eine Erholungswoche in den Bergen, Workshops in ganz Deutschland und Österreich. Außerdem halte ich Vorträge zum Thema Trauer in Bewegung, biete aber auch Online-Trainings an. Außerdem schreibe ich einen Blog über Themen aus dem Bereich Trauer.

Das Gefühl, einen Teil meiner Schwester in der Form in die Welt hinauszutragen und anderen trauernden Menschen Hoffnung zu machen, dass ein Leben mit der Trauer möglich ist und auch mit einem Lächeln verbunden werden darf, schenkt mir innere Zufriedenheit und einen Sinn in diesem neuen, zweiten Leben, wie ich es nenne.


Fünf Jahre sind nun seit dem Mord an Deiner Schwester vergangen. Ich habe Dich am Telefon als fröhlichen Menschen empfunden, der jeden Tag nutzen möchte. Dein Leben scheint intensiver geworden zu sein. Und zwar nicht nur im Schmerz, sondern auch in der Dankbarkeit. Ist mein Eindruck richtig?

Ja, absolut. Als junger Mensch lebt man oft mit dem Gedanken, dass das Leben unendlich sei und verschiebt gerne vieles nach hinten. Mir wurde bewusst, dass wir alle sterblich sind und der Tod jeden Tag eintreffen kann. Mit diesem Gedanken lebe ich Momente bewusster und intensiver, aber auch meine Beziehungen. Ich verschwende keine Zeit mehr für Dinge, die mir nicht gut tun oder mich belasten.

Was möchtest Du anderen Menschen gern mit auf den Weg geben, die mit Schicksalsschlägen leben müssen?

Sich bewusst Zeit für sich und für seine Gefühle. Geduldig mit sich sein und einen Schritt nach dem anderen gehen. Trauer braucht Zeit, Geduld und ein liebevolles Umgehen. Wenn wir uns auf diese schmerzvolle Reise einlassen, verbergen sich dahinter ganz viele schöne, bereichernde Momente, neben all den Tränen. Sich dabei keinen Druck von außen geben zu lassen, sondern bei sich zu bleiben, ist ganz wichtig.

Du musst gar nichts. Außer sein. Es ist deine Trauer, dein Schmerz, also auch deine Regeln.

Das sind schöne Worte. Wie geht es jetzt in Deinem Leben weiter?

Derzeit bin ich auf der Suche nach einem Verlag, weil ich das Geschehene bereits niedergeschrieben habe und gern veröffentlichen würde. Mit meiner Geschichte möchte ich anderen Menschen Hoffnung
schenken, aber auch aufklären, was ein Trauerweg nach einem Mord bedeutet und inwiefern wir alle hier miteinspielen.

Außerdem startet ab Herbst 2019 mein Ausbildungsprogramm für SeelenSport-TrainerInnen. Denn mein Wunsch und Ziel ist, dass für jeden Trauernden dieser Kurs neben den Gesprächsgruppen in vielen Städten zugänglich sein wird. Die Ausbildung richtet sich an TrauerbegleiterInnen, TherapeutInnen und TrainerInnen.

Ansonsten lasse ich mich überraschen, denn am Ende weiß doch niemand, wie es wirklich weitergeht im Leben.

Denn das findet genau Jetzt und Hier statt und darf gelebt werden!


 


3 comments

  1. Ausbildung Seelen Sport
    Hallo, ich habe dein Interview gelesen und es hat mich sehr berührt. Ich arbeite ehrenamtlich als trauerbegleiterin und überlege schon seit einiger Zeit, wie man den Sport, der mir sehr wichtig ist, mit dieser Arbeit für Trauernde verbinden kann. Ich habe auch letztes Jahr mit einer Gruppe junger Erwachsener gearbeitet, deren Freundin ermordet wurde. Wann und wo starten deine Ausbildungskurse und wie werden sie aussehen? Über eine Rückmeldung würde ich mich sehr freuen. Alles Liebe Kerstin

    1. Antwort bezüglich Ausbildung
      Liebe Kerstin,
      schön, dass du eine so wertvolle Arbeit machst und auch dass du gedanklich den Sport mit der Trauer verbinden möchtest.
      Im Oktober startet die erste Ausbildung, Nähe Innsbruck. Im November wird es wahrscheinlich einen Ausbildungszyklus auf Mallorca geben, weil die Anbindung mit dem Flug dorthin eine sehr einfache und günstige ist (vor allem für jene, die aus Hamburg etc. kommen – nach Innsbruck fliegt kaum etwas)
      Die Ausbildung beinhaltet die Thematik inwiefern Bewegung und Gefühle zusammenpassen und wie wir Bewegung dafür einsetzen können, um Gefühle nach außen zu bringen. Es wird generell sportliche Bewegung und Psyche theoretisch aufgearbeitet, körperliche Folgen in der Trauer werden behandelt und auch Embodiment wird ein wenig beleuchtet. Der Aufbau des ganzen Kurses wird durchgearbeitet und es werden mehr als 30 Übungen erlernt, in Kategorien unterteilt, die du dann entweder in deiner Gesprächsgruppe, in Einzelsitzungen oder eben in Form des gesamten Kurses anbieten kannst. Du erhältst ein Booklet mit allen Übungen, dem muskulären Hintergrund und der Geschichte dahinter (positive Affirmationen) und professionelles Videomaterial, um alle Übungen und deren Ausführung immer wieder nachsehen zu können. Falls du Interesse an der Ausbildung haben solltest, freue ich mich wenn du dich im Ausbildungsnewsletter anmeldest unter http://www.seelensport.at/ausbildungen-zertifikate/ . Dort bekommst du dann demnächst Infomaterial zugeschickt, sobald alles mit den Räumlichkeiten und Kosten geklärt ist.
      Falls du noch weitere Fragen haben solltest, melde dich einfach bei mir unter katy@seelensport.at.

      Alles Liebe,
      Katy

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