Nur wenn wir unseren Kindern etwas zutrauen, können sie über sich hinaus wachsen

Es war einer der Momente, in denen das Mutterherz auf einmal ganz schwer wird. In denen der Beschützerinstinkt durchkommt und man sein Kind fest an sich drücken, es dann packen und in die sichere Höhle schleppen will. Ich konnte sehen, dass mein kleiner Sohn unsicher war. Und ich war es auch. 

Wochenlang hatte mein Sohn sich auf den Skiurlaub gefreut. Endlich endlich würde auch er Skifahren lernen – so wie seine große Schwester. Doch als wir dann am Sammelplat mit lauter unbekannten Kindern standen, schmiegte er sich plötzlich an mein Bein. Weg war die Selbstsicherheit, weg die Vorfreude. "Wann holst Du mich wieder ab?", fragte er mit krauser Stirn. "Ganz bald. Aber jetzt hast Du erstmal gaaaaaaanz viel Spaß", sagte ich betont fröhlich. 

Als Zweitgeborener musste mein Sohn bisher durch wenige Situationen alleine, meist war seine Schwester dabei, eine Vertraute, eine Verbündete. Diesmal war es anders und so stand mein Söhnchen jetzt dick eingepackt auf zwei Skiern und winkte mir nach. 

Ich winkte zurück und stapfte dann schnell davon, denn ich wusste: Gleich werde ich weich. Ich sagte zu meinem Mann: "Er ist doch noch so klein. Vielleicht warten wir noch ein Jahr. Was, wenn er keine Freunde findet? Vielleicht friert er auch ganz schnell." 

Glücklicherweise rückte mein Mann mir den Kopf gerade. "Warte doch mal ab. Wenn es nicht klappt, können wir ihn immer noch rausnehmen." 

Als ich das Söhnchen zwei Stunden später abholte, war er guter Dinge. Nicht überschäumend begeistert, aber gut drauf. Das reichte mir erstmal und auch er ging ganz ohne Gemecker am Nachmittag wieder auf die Piste. 

Zwei Tage später traute ich meinen Augen kaum – der kleine Kerl fuhr den Hang hinunter, ganz ohne Angst, dafür aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Und die anderen Kinder ebenfalls. "In dem Alter lernen die Kinder unheimlich schnell", sagte der Skilehrer. "Sie brauchen zwischendurch ein paar Gummibärchen zur Stärkung, aber die Kids haben alle Lust aufs Lernen."

Ich war baff. Und mein Sohn stolz wie bolle. Den ganzen Abend erzählte er vom Skifahren, wie cool das sei und dass wir morgen unbedingt zusammen fahren müssten. 

Manchmal haben wir Eltern den Drang alles Unangenehme von unseren Kindern fern zu halten. Doch ich glaube, die Kinder sind oft viel taffer als wir denken. Sie beißen sich durch, wachsen über sich hinaus – wenn wir sie motivieren und ihnen etwas zutrauen. 

Die ersten Jahre mit Kindern habe ich ja in Berlin Prenzlauer Berg gelebt und leider leider stimmen einige Klischees. Wie oft habe ich Väter gesehen, die mit Vierjährigen in der Kletterspinne hingen. Wie oft habe Mamas gehört: "Pass auf, da kannst Du runter fallen."  Natürlich sollen wir unsere Kinder nicht Gefahren-Situationen bringen – aber manchmal müssen Kinder es alleine schaffen – und wenn sie dabei auch mal auf die Schnauze fallen. Kinder, denen man nichts zutraut, werden irgendwann zu Kindern, die sich selbst nicht zutrauen. 

Oder wie der Hirnforscher und Autor Gerald Hüther es sagt: 

Die gute Botschaft lautet: Entdeckerfreude und Gestaltungslust sind nachwachsende Rohstoffe, die alle Kinder immer wieder mit auf die Welt bringen. Die schlechte Botschaft heißt: Dieser kostbare Schatz verkümmert allzu leicht, wenn er nicht genährt wird, und er verschwindet automatisch, wenn man ihn unterdrückt.