Kinderwunsch, Hebammen, Gender Pay Gap: Warum diese Anwältin gern mal „Was soll denn bitte der Scheiß?“ in den Gerichtssaal rufen würde

Ihr Lieben, ihr kennt Nina möglicherweise durch ihren Blog juramama.de (falls nicht, husch, husch, rüber da!) und nun hat diese wunderbare Frau auch noch ein Buch geschrieben UND uns ein Interview zugesagt. Warum das so toll ist? Weil Nina staubtrockene Juristerei nicht nur anschaulich, sondern auch noch witzig verpacken kann. Wir haben mit ihr über langweilige Kollegen, über die Subventionierung von Kinderwunschbehandlungen,  über Veränderungswünsche für Deutschland, über Gender Pay Gap und die Not der Hebammen gesprochen.

Nina, du bist Anwältin und Bloggerin, das ist eine lustige Mischung, die dich aber ziemlich gut beschreibt. Was bringt dir das Schreiben neben der Juristerei?

Anwältin sein gilt ja jetzt nicht gerade als ein fröhlicher Beruf mit viel guter Laune, kreativer Selbstverwirklichung und Arbeiten an der frischen Luft. Im Studium hab’ ich teilweise auch gedacht, ich sterbe demnächst vor Langeweile. Aber die Praxis kann tatsächlich ganz anders aussehen. Mit dem Arbeitsrecht habe ich mir zudem ein hochemotionales Fachgebiet ausgesucht, in dem ganz schön die Fetzen fliegen können und das Leben tobt. Ich muss das ganze Interessante nur immer so gestelzt in feinstem Juristendeutsch verpacken, so dass es bitte möglichst auch kein Laie verstehen kann. „Der Auffassung des Beklagten kann diesbezüglich nicht zugestimmt werden (siehe BAG Az.: blabla)“ ist deutlich langweiliger als „Was soll denn bitte der Scheiß?“, obwohl genau das damit gemeint ist. Da kommt mir das freie Schreiben über meine Arbeit und über die Probleme meiner Generation total entgegen. Das wirkt quasi wie ein Schnaps nach einem Gyrosteller beim Griechen und ich kann meine Leser ein wenig mitnehmen hinter die Kulissen.

Nun hast du ja auch ein ziemlich amüsantes Buch – "Keine Kinder sind auch keine Lösung" – über Recht und Familien geschrieben (ja wirklich, Jura und Humor schließen sich nicht aus!), wie waren denn bislang die Rückmeldungen von deinen Kollegen aus der Rechts-Branche?

Bisher waren die Reaktionen durchweg positiv. Jeder Anwalt kennt diese Probleme und auch die Gespräche hinter vorgehaltener Hand. Mein Berufsstand ist eigentlich viel lässiger als man gemeinhin vermuten würde. Außerdem sind wir Kritik und andere Meinungen ja umfangreichst gewohnt, wir leben davon und damit. Wären sich Juristen immer einig, dürften Frauen heute noch keinen Job annehmen ohne ihre Gatten oder Väter vorher um Erlaubnis zu bitten. Diejenigen, die das Buch mochten, fanden direkte offene, freundliche und amüsierte Worte. Diejenigen, die es nicht mochten, legen es vermutlich einfach weg neben ein neues Betriebskostenabrechnungs-Mandat, oder so.

Du sprichst im Buch auch die Finanzierung von Kinderwunschbehandlungen an… 

Der politische und juristische Umgang mit den Kosten für künstliche Befruchtungen spiegelt die Sichtweise auf junge Menschen, Familien und Kinder in Deutschland wieder wie kaum ein anderes Thema, finde ich. Das Thema läuft außerdem so sehr unter unserem Radar, weil es so hochemotional und schambehaftet ist, obwohl tausende junger Paare davon betroffen sind. Es ist hochaktuell und gleichzeitig ganz leise. Wir Deutschen bekommen die wenigsten Kinder weltweit und schließen vollkommen sinnwidrig genau die Behandlung kranker Menschen aus den Leistungskatalog der Kassen aus, bei deren Erfolg ein neues Kind herauskommen würde. Noch dazu in einer Gesellschaft die immer älter wird und auf dem Generationenprinzip aufbaut: Die Kinder von heute zahlen die Kassenbeiträge von morgen.

Natürlich sind Hüftoperationen für 90-jährige gerechtfertigt, aber als heute 35-jährige habe ich erstmal ein massives Interesse an neuen Kindern, schon allein aus finanziellen Gründen, wenn ich selbst mal alt bin. Unverheirateten wird die Behandlung eines funktionslosen Hodens gar nicht oder nur vereinzelt minimal erstattet, als wären nur verheiratete Menschen gute Eltern. Keine andere Behandlung kranker Organe knüpft an den Familienstand an.

Den verheirateten Paaren erstatten die Kassen willkürliche drei Male maximal die Hälfte von durchschnittlich 4500 Euro. Für einzelne Paare sind auch 2000 Euro viel (zu) viel Geld, gerade in dem Alter. Für die Gemeinschaft sind das Peanuts. Zudem argumentieren die Gerichte, ein kranker Hoden oder ein kaputter Eierstock seien eine „Krankheit eigener Art“ weil die Behandlung das Organ selbst nicht heilen kann. Das macht zwar eine Dialyse auch nicht, oder eine Prothese, trotzdem übernehmen wir diese Kosten als Gesellschaft. Bei einem „Kinderwunsch“ hört die Solidarität komischerweise auf und die Krankheit wird zu einem „Wunsch“ deklassiert. Das regt mich einfach unendlich auf.

Was müsste sich für Familien denn Deiner Meinung nach noch ändern, damit es in Deutschland besser fluppt?

Neben dem bereits genannten müssen wir allgemein den Beginn des Lebens wieder mehr in den Fokus rücken und als junge Menschen politisch viel lauter werden. Man muss sich ja in den Lösungswegen nicht immer einig sein, aber zumindest ein Problembewusstsein ist wichtiger denn je. Familien werden immer weniger. Naturgemäß ist die Familiengründung nicht (mehr) das Thema der über 50-jährigen, nur stellen sie die meisten Wähler. Das fängt bei den Hebammen und Kreißsälen an, bei dem Thema sind sich sogar alle weitgehend einig, politisch passiert aber nix. Kreißsaal um Kreißsaal schließt.

Dazu sollten die Kosten, die durch Kinder entstehen, viel mehr berücksichtigt werden, damit auch trotz Kindern eine private Altersvorsorge möglich ist. Das Geld, das Familien im Monat für ihre Kinder ausgeben müssen, können Menschen ohne Kinder in ihre private Altersvorsorge investieren und erhalten zudem im jetzigen System auch noch mehr Rente aus 35 Jahren Vollzeitarbeit. Die Vollzeitmutter/-vater von drei Kindern bekommt am wenigsten von allen. Wenn man Angst vor Altersarmut hat ist „Kinder bekommen“ derzeit jedenfalls die finanziell blödeste Idee. Das ist ein eklatanter Systemfehler seit 60 Jahren, den jetzt schon viele ältere Frauen mit Kindern ausbaden, wenn man deren Rentenzettel im Vergleich zum kinderlosen Onkel aus der Nachbarschaft anschaut, der dazu noch eine reelle Chance auf die Finanzierung einer vermieteten Eigentumswohnung hatte.

Noch dazu schlägt sich meine Generation mit befristeten Verträgen ohne Sachgrund rum, die es vor 15 Jahren gesetzlich so  noch nicht gab. Versuch mal mit einem befristeten Arbeitsvertrag eine Wohnung zu mieten um eine Familie gründen zu können. Und falls mal wieder dieses Kindergeld als „Ausgleich“ angeführt wird, frage ich mich, ob sich mittlerweile nicht genug rumgesprochen haben müsste, dass es sich hierbei weitgehend um eine Steuerrückerstattung und eben nicht um eine Sozialleistung für Familien handelt. Hach, mir fallen 1000 Sachen ein.

Wie ließe sich das realisieren?

Da führen einige Wege nach Rom. Oder nach Berlin. Ich finde ja das Modell der Franzosen ganz charmant, dort zahlen Familien mit zwei Kindern nur noch 50% Einkommenssteuer, bei drei Kindern fast keine mehr. „Quotient familial“ nennen die das. Das bedeutet dann in dem Moment mehr Geld im Familienportemonnaie, in dem man es für die Kinderbetreuung, Kleidung und Bildung der Kinder braucht, egal ob beide berufstätig sind oder nur einer.

Die Wahlfreiheit ist derzeit einfach absolut nicht gegeben. Für Beamte gibt es diese Logik, dass Kinder mehr Geld kosten als keine Kinder, übrigens schon seit 20 Jahren. Die meisten Beamten bekommen einen automatischen „Familienzuschlag“ sobald ein Kind kommt. Seltsam, dass das für den Schrauber in der KFZ-Werkstatt argumentativ nicht zieht, oder nicht? Na klar kostet das den Staat Geld, aber bei anderen „Modellen der Zukunft“ gibt es die Diskussion doch auch nicht? Da ist es allen klar, dass Investitionen in die Zukunft Geld kosten. Außerdem gibt da noch einige Lücken in unserem Steuersystem wo dieses Geld im Zeitalter der digitalen Medien geholt werden könnte. Aber das führt nun zu weit…

Stichwort Gender Pay Gap – Hättest du auch einen Vorschlag, wie sich die Ungleichbezahlung von Männern und Frauen ausbügeln ließe? Und jetzt sag bitte nicht, die Frauen sind selbst schuld…

Na klar sind sie das. Erstmal haben sie eine Gebärmutter zugelegt, die sie echt verdächtig macht, irgendwann Kinder zu bekommen und dann auch noch in den Mutterschutz zu gehen. Frechheit. Außerdem verhandeln sie schlechter als Männer, nehmen sich einfach nicht das, was man ihnen doch ständig anbietet, wollen gar keine Führungsverantwortung und sind zudem schlechter in körperlichen Arbeiten, die dazu natürlich auch mehr finanziellen Wert haben als geistige (oder körperliche) Arbeit mit Kindern oder alten Menschen. Genug Bullshit-Bingo gehört?

Wenn es um Lohngerechtigkeit geht, haben wir noch einen langen Weg vor uns. Ich verstehe zum Beispiel dieses fast fanatische Bestreiten oder Verharmlosen dieser Lohnlücke nicht. Ganze Horden, meist männlich, fangen fast reflexartig und hysterisch an zu kreischen, die existiere gar nicht, sei selbstgemacht oder zumindest halb so wild. Dabei betrifft es sie doch gar nicht oder schadet ihnen gar.

Das Gras in meinem Garten verwelkt doch auch nicht, nur wenn ich anerkenne, dass das Gras meines Nachbarn nicht so gut wächst, weil es von kranken Bäumen beschattet wird. Statt zu unterstützen, dass die kranken Bäume für meinen Nachbarn gefällt werden, wird erstmal angezweifelt, dass es sich überhaupt um Bäume handelt oder man gibt dem Nachbarn die Schuld, weil er sie nicht einfach selbst fällt oder sich das Grundstück ja ausgesucht habe. Oder wir lasten ihm an, er sei ein Baumfeind und die Bäume gar nicht wirklich krank. Um mal bildhaft zu sprechen. An diese Haltung müssen wir dringend ran. Das Entgelttransparenzgesetz, das noch 2017 kommt, ist zwar ein erster, wenn auch echt eher kosmetischer Schritt in die richtige Richtung. Ich warte das mal ab wie das bei mir im Büro anläuft. Ich tippe auf: Gar nicht.

Nun prangerst du im Buch ja auch die Situation der Hebammen an. Wie kann es sein, dass Frauen hierzulande zum Kinderkriegen angehalten werden, ihnen dabei aber gleichzeitig die wichtigsten Bezugspersonen finanziell kaputtgestrichen werden?

Das fragt man sich, oder? Solange die Hebammenversorgung und ein Kreißsaal rein wirtschaftlich betrachtet werden dürfen, also ein Plus machen müssen, um bleiben zu dürfen und mit diesem Argument flächendeckend den Frauen die Möglichkeit genommen wird, im Umkreis von 30km ein Kind auf die Welt zu bringen, wird es immer schlimmer werden.

Hier müssen eine gesetzliche Verpflichtung und natürlich eine Unterstützung durch die Kassen her. Die jungen Menschen finanzieren die Sozialkassen, die dafür aufkommen und die brauchen auch die Hebammen, Kreißsäle und Geburtshäuser. Bezüglich des Rechts auf Hebammenversorgung haben wir zwar schon lange eine gesetzliche Grundlage im SGB, das kann man sich als junge Mutter aber in die Haare schmieren, so lange die Hebammen für einen Wochenbettbesuch mit knapp 30 Euro brutto entlohnt werden und zeitgleich tausende Euro für ihre Versicherung hinlegen müssen. Das fast Fünffache von meiner anwaltlichen Haftpflicht kostet die Versicherung für eine Beleghebamme derzeit. Der Verdienst ist ein schlechter Scherz. Das merken eben auch die Kliniken, die bekommen für Herzpatienten ganz andere Budgets als für die Frauenkliniken.

Naja. So zieht sich das alles wie ein roter Faden durch die Familienpolitik – und Politik ist immer auch Recht. Deswegen hab’ ich das alles mal aufgeschrieben und freue mich, wenn ich dadurch etwas bewegen kann.

DANKE, NINA!

Wer mehr lesen möchte, kann dies im Buch tun: Nina Straßner: Keine Kind sind auch keine Lösung

 


8 comments

  1. Ab in die Politik
    Du solltest in die Politik gehen, meine Unterstützung hast du jedenfalls!!!
    Die Gesellschaft muss viel mehr sensibilisiert werden für diese Themen und dafür kämpfen. Die Politik setzt sich für Familien und andere wichtige soziale Themen leider oft nur scheinbar ein und wundert sich am Ende, dass die Menschen politikverdrossen werden und die Populisten immer mehr Boden gut machen! Die Vorsätze der Politiker sind zum Teil gut, leider ist das, was am Ende dabei raus kommt nicht selten eine Verschlimmbesserung. Gute Lösungsansätze sind rar und werden häufig im Keim erstickt – warum auch immer. Also ab in die Politik!

    1. Politik heißt Kompromiss
      Eine politische Idee wird zerrieben, weil sie in einem
      Demokratischen System mit den Vielen ausgehandelt werden muss. Mit anderen Ministerinnen und Ministern, dem Koalitionspartner, den Sozialverbänden, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.
      Und dann muss man sich fragen, ob man für eine solche Entscheidung gewählt wird. Und wer geht wählen? Wer stellt den großen Teil der Stimmen? Die Eltern von Zwei- bis Dreikindfamilien, die als einzige vom französischen Modell profitieren? Wohl eher nicht… wie also soll man damit Wahlen gewinnen? Ein Dilemma…

  2. Daumen hoch!
    Ein tolles Interview! Vielen Dank dafür!
    Ich folge Juramama schon eine ganze Weile und finde die Texte einfach super.
    Ein Hinweis für alle Betroffenen: ein paar wenige Krankenkassen zahlen eine Kinderwunschbehandlung komplett. Zum Beispiel die Knappschaft. Zwar auch nur die willkürlichen 3 Male, aber immerhin. Ein Kassenwechsel lohnt sich da auf jeden Fall.

  3. So wichtige Themen
    Danke für dieses wichtige Interview. So viele Baustellen, an denen wir Familien und Kinderwünschler in Deutschland arbeiten müssen. Und gute Lösungen gibt es sicher reichlich, aber leider sind diejenigen (nämlich die Familien), die sich für diese Themen einsetzen wollen und müssen, vollauf mit ihrem Nachwuchs, dem Job und hunderttausend anderen alltäglichen Dingen so sehr beschäftigt, dass schlicht die Zeit für politisches Engagement an allen Ecken fehlt. Ich habe jedenfalls nicht die Zeit bspw. in den Ortsgruppen der Parteien an Sitzungen/ Diskussionsrunden oder an Demonstrationen etc. teilzunehmen. Um so wichtiger ist es, dass Menschen wie Nina es so gut verstehen auf die bestehenden Probleme aufmerksam zu machen und sie mit Sachverstand und Witz so präzise auf den Punkt zu bringen! Lieben Dank dafür! 🙂
    Das französische Steuermodell würden wir (mit bald 3 Kindern) übrigens auch sehr begrüßen… Dann wäre tatsächlich auch mehr Geld für die eigene Altersvorsorge übrig und wir müssten nicht hin und her überlegen, wie wir ein sicheres Familienauto, in das 3 Kindersitze passen, finanzieren können während unser kinderloser Nachbar im Rentenalter mit einem nigelnagelneuen 7er BMW an uns vorbei düst…

  4. Super
    Tolles Interview, danke! Ich liebe euren Blog, er ist so wunderbar anders als die anderen! Weiter so

  5. Tolles Interview zu wichtigen
    Tolles Interview zu wichtigen Themen! Vielleicht als Ergänzung: die DAK zahlt drei Versuche einer Kinderwunschbehandlung komplett, wenn beide bei der DAK versichert sind (es gibt auch keine Sperre oder so, wenn man dort hin wechselt). Vielleicht hilft das ja Einigen…

  6. Interview Stadtlandmama
    Hallo ihr Lieben,

    So ein super Interview. Den Finger direkt auf dem Wunden Punkt unserer Gesellschaftspolitik. Wir sind ein nicht verheiratetes Elternpaar mit 2 kleinen Jungs. Und einem Vater mit Migrationshintergrund. Bei uns hat der „wiehernde Amstschimmel“ eine eigene Box in der Wohnung. Genauer nachzulesen auf meinem Blog DoppeltePortion.wordpress.com
    Das ist mein Stressabbau.

    Liebe Grüße

  7. Kinderwunsch
    Liebe Nina,

    Grundsätzlich ein tolles Interview. Aber vor allem deine Aussage zum dem Kinderwunsch trifft den Nerv absolut exakt. Ich hoffe sehr und wünsche mir für alle Betroffenen, dass sich die gesellschaftliche, sowie politische Ansicht dahingehend ganz ganz bald ändert. Kinder sind etwas wunderbares und wertvolles. Und jeder sollte das Recht bekommen, sich diesen Wunsch zu erfüllen – auch wenn der Körper einem Steine in den Weg legt. Viele könnten mit Hilfe der modernen Medizin genau diese Steine an den Wegesrand schieben und somit ihr Ziel verfolgen…

    Liebe Grüße
    Finja

    finjalarsson.de