Interview mit Hebamme Anja: Das Wochenbett ist ein wunderbarer Ausnahmezustand

Ihr Lieben, gestern habe ich ja berichtet, wie meine bisherigen Wochenbetten so abgelaufen sind und welche Fehler ich leider gemacht habe. Ich finde, das Thema Wochenbett total wichtig und deshalb freue ich mich riesig, dass unsere liebe Bloggerkollegin Anja Constance Gaca hier heute die wichtigsten Fragen rund um diese besondere Zeit beantwortet. Anja ist selbst dreifache Mutter, Hebamme und Stillberaterin UND hat gerade das Buch "Das Wochenbett – alles über diesen wunderbaren Ausnahmezustand" geschrieben. Wenn eine also bescheid weiß – dann Anja! Vielen Dank also für dieses tolle Interview! 

Wochenbett – das ist ein Wort, mit dem man erstmal nicht viel anfangen kann. Woher kommt der Begriff und gibt es wirklich Kulturen, in denen die Frauen wochenlang im Bett bleiben?

Das Wort war ursprünglich mal die Bezeichnung für das Bett, in dem sich die Frau nach der Geburt ausruhen sollte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde den Frauen empfohlen, eine strikte Bettruhe einzuhalten, um die Rückbildung und die Wundheilung zu fördern. Dabei durften sich die Mütter in den ersten drei Tagen nicht mal im Bett aufsetzen. Erst nach 1930 wurde das Aufstehverbot allmählich gelockert. Denn natürlich bringt diese Immobilisierung auch die Gefahr von Thrombosen und Embolien mit sich. Selbst frisch operierte Patienten werden ja mittlerweile recht bald nach einer Operation mobilisiert, was aber nicht heißt, dass man sich gleich wieder voll belasten soll. Der Fachbegriff für das Wochenbett lautet „Puerperium“ und meint, genau wie der Begriff Wochenbett heute, die sechs bis acht Wochen dauernde Phase, in der sich die Mutter von der Geburt erholt, Rückbildungs- und Heilungsprozesse stattfinden und die Milchbildung in Gang kommt und sich etabliert. Darüber hinaus finden natürlich auch im psycho-sozialen Bereich viele Veränderungen statt und die neugeborene Familie lernt sich in dieser Zeit kennen und wächst in neue Rollen hinein. Das Frühwochenbett umfasst die ersten zehn Tage nach der Geburt des Babys und der vollständigen Plazenta – erst dann beginnt das Wochenbett. Das Spätwochenbett geht vom 10. Tag bis zum Ende der achten Lebenswoche des Babys. Hebammen können aber mittlerweile bis zu zwölf Wochen nach der Geburt auch Wochenbettbesuche machen.

Du bist Hebamme und hast viele Frauen im Wochenbett erlebt. Mit welchen Problemen kämpfen die meisten Frauen während dieser Zeit?

Am häufigsten erlebe ich wohl, dass Überforderung, Perfektionsdruck und zum Teil unrealistische Erwartungen zu körperlichen Problemen wie einer stagnierenden Gebärmutterrückbildung oder oft auch zu einem Milchstau führen. Psychische Belastungen wie zum Beispiel eine Wochenbettdepression kommen gar nicht so selten vor. Leider zunehmend sind auch traumatische Geburtserlebnisse, die verarbeitet werden müssen. Sehr viele Schwierigkeiten erlebe ich zudem beim Thema Stillen, weil Mütter bereits mit großen Stillschwierigkeiten aus der Klinik entlassen werden. Die beiden Punkte sind sicherlich auch durch den zunehmenden Personalmangel in den Kliniken so häufig. Im Kreißsaal fühlen sich Mütter oft allein gelassen, weil eine Hebamme drei oder mehr Geburten zeitgleich betreuen muss. Auch auf den Wochenbettstationen sind oft nur sehr wenige Hebammen oder Krankenschwestern für viele Mütter und ihre Neugeborenen da. Im ärztlichen Bereich sieht es leider nicht besser aus.

Was sind die größten Fehler, die frischgebackene Mamas in dieser Zeit machen?

Zumindest beim ersten Kind ist es oft der Wunsch oder Gedanke, möglichst schnell wieder zum „normalen“ Alltag zurückzukehren. Das ist aber mit den umfassenden Veränderungen, die eine Geburt und ein Baby mit sich bringen, kaum machbar. Die körperliche Erholungszeit wird auch oft sehr unterschätzt, dabei sind Rückbildung und Milchbildung körperliche Höchstleistungen, auch wenn eine Frau dabei im Bett oder auf dem Sofa liegt. Die emotionalen Veränderungen, die das Muttersein mit sich bringt, werden oft unterschätzt. Nie wieder sind wir so verletzlich und sensibel wie in diesen ersten Wochen. Achtlos dahin gesagt Worte, die sonst vielleicht an uns abprallen, treffen auf einmal mitten ins Herz. Im Wochenbett fließen deshalb nicht nur die Muttermilch und der Wochenfluss, sondern auch viele Tränen. Diese erhöhte Sensibiltät ist aber richtig und wichtig, damit wir uns voll und ganz auf dieses kleine und von uns zunächst völlig abhängige Kind einstellen.

Warum ist ein ruhiges Wochenbett so wichtig für die Mutter-Kind-Bindung?

Stress wirkt sich in dieser Zeit besonders negativ aus. Während man im „Normalzustand“ auch hohe Stresspegel mal ganz gut kompensieren kann, ohne gleich krank zu werden spiegelt sich das im Ausnahmezustand Wochenbett doch recht schnell auch in körperlichen Beschwerden wider. Das Stresshormon Adrenalin blockiert zum Beispiel den Milchfluss…

Wie können Väter die Frau im Wochenbett unterstützen?

Das Wichtigste ist wohl, für die Familie präsent zu sein, zuzuhören und die kleine „Wochenbetthöhle“ zu schützen. Das heißt, dass der Vater zum Beispiel den Umgang mit dem Besuch regeln sollte. In unserem Buch haben wir einen „Brief an den idealen Wochenbettbesucher“ geschrieben, dessen Inhalt am besten schon vor der Geburt weitergegeben wird. Vielen Frauen ist es wichtig, immer und immer wieder über die Geburt zu reden. Und auch wenn der Vater es an manchen Punkten anders empfunden hat, ist es wichtig, diese Wahrnehmung und die Gefühle der Partnerin anzuerkennen. Praktische Hilfe wie Kochen und das Versorgen des Haushalts sind auch Väteraufgabe. Aber da sie natürlich auch irgendwie ein bisschen im Wochenbett sind, ist es gut, wenn viele Aufgaben ausgelagert werden an den Einkaufslieferdienst, an die Putzfee oder andere externe Helferlein. Solche Hilfen kann man auch prima in Gutscheinform zur Geburt schenken lassen. Doch es lohnt sich auch, Ersparnisse in den „Wochenbetturlaub“ zu investieren, damit man sich später an verkuschelte Tage mit dem Baby im Bett zurückerinnert – und nicht nur an ein Rotieren zwischen Küche und Apothekengängen. Das Wochenbett ist auch für die Väter die besondere Kennenlernzeit mit ihrem Kind.

Wenn meine Freundin/Nachbarin gerade entbunden hat – wie kann ich ihr am besten helfen, ohne ihr auf die Nerven zu gehen?

Am besten fragen (lieber per SMS und nicht anrufen), was gebraucht wird und vielleicht gleich ein paar konkrete Angebote machen. „Soll ich Euch den Möhreneintopf kochen, den Du neulich so lecker fandest?“ – „Ich kann die kleine große Schwester heute mit zum Spielplatz nehmen.“ – „Ich stelle heute nachmittag einen warmen Apfelkuchen vor Eure Tür.“ – „Stell mir den Wäschekorb vor die Tür. Ich bringe ihn Dir morgen gewaschen und gebügelt wieder.“ – „Wenn Du Redebedarf hast, ruf mich an. Ich bin ab 15 Uhr verlässlich erreichbar.“ Manche Freundeskreise erstellen auch einen Kochplan vor der Geburt, so dass die frischgeborene Familie jeden Tag ein anderes, leckeres, warmes Essen gebracht bekommt. Wenn man einen Besuch im Wochenbett macht, wird vor lauter Entzückung bezüglich des Babys ganz vergessen, die Mutter und ihr Befinden zu sehen. Dabei tun Komplimente und positive Worte gerade in einer Zeit, in der man schnell mal stark verunsichert ist, besonders gut. Und ganz wichtig: Keine unerfragten Ratschläge erteilen. Niemals! Die Eltern fragen schon, wenn sie etwas wissen wollen. 

Gibt es für Dich ein Wunder-Nahrungs-Mittel während des Wochenbettes?

Lieblingsessen kochen oder liefern lassen ist für mich das beste Wundermittel, wenn es Frauen im Wochenbett nicht so gut geht. Natürlich gibt es nahrhafte Gemüsesuppen, die zum Beispiel nach dem durch die Geburt bedingten Blutverlust aufbauend und stärkend sind. Wir haben dazu auch einige Rezepte im Buch. Aber wenn gerade alles blöd oder schwierig ist, hilft es ungemein, wenn der Partner oder jemand anderes ein Wunschgericht zubereitet. 

Was genau macht eine Hebamme eigentlich während der Wochenbett-Betreuung?

Wir Hebammen kümmern uns zum einen um das körperliche und psycho-soziale Wohlbefinden der Wöchnerin, indem wir zum Beispiel die Rückbildungsprozesse oder die Abheilung einer Geburtsverletzung beobachten und gegebenenfalls durch entsprechende Maßnahmen unterstützen. Wir geben den Raum und die Zeit, die Geburt zu verarbeiten, helfen aber auch bei auch alle anderen Belangen, die das Mutterwerden mit sich bringt. Ein Großteil der Arbeit im Wochenbett ist die Stillberatung, aber natürlich begleiten wir auch Mütter, die nicht stillen können oder möchten. Beim Kind achten wir darauf, dass es gut gedeiht und sich entsprechend entwickelt. Wir unterstützen die Bindung zwischen Eltern und Kind und sind die Ansprechpartnerinnen für alle Fragen, die sich in dieser ersten aufregenden Zeit ergeben. Bei Bedarf leiten wir an Fachärzte oder zu anderen therapeutischen Angeboten weiter.

Warum wolltest Du ein Buch über die Wochenbett-Zeit schreiben? 

In Geburtsvorbereitungskursen habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass Eltern sehr auf das große Ereignis Geburt fokussiert sind. Wenn die Geburt erst mal geschafft ist, läuft alles andere schon von alleine, denken sie. Dabei ist die Geburt ja eigentlich erst mal nur der Anfang. Natürlich ist das Wochenbett auch im Geburtsvorbereitungskurs schon Thema, aber schon allein aus Zeitgründen bleibt dafür nicht genügend Raum. Eine gute und nach den individuellen Bedürfnissen der Eltern verlaufende Geburt ist wichtig. Das gilt genauso auch für das Wochenbett, weshalb auch diese Phase ein eigenes Buch verdient hat. Natürlich finden Eltern auch viele Informationen im Netz, auf auf vonguteneltern.de habe ich viele Beiträge dazu veröffentlicht. Doch so ein Buch bündelt noch mal kompakt das wichtigste Wochenbettwissen, das für Eltern von Bedeutung ist.

Gibt es eine witzige/besondere Geschichte aus deinem Wochenbett?

Als unser drittes Kind zu Hause geboren war, verbrachten wir die ersten Kuschelstunden zusammen auf dem Sofa. Dann nahm Christian unseren kleinen Sohn – wobei der mit über 4300 Gramm Geburtsgewicht gar nicht so klein war-, damit ich duschen gehen konnte. Als ich frisch geduscht zurückkam, waren Christian und mein Baby verschwunden – und ich geschockt! Kurz darauf kam er mit unserem nur wenige Stunden alten „entführtem“ Kind zurück, das seelig im Tragetuch schlummerte. Er hatte schnell noch was in der Drogerie um die Ecke besorgt und wollte mich „mal ganz in Ruhe duschen lassen“. Darüber schmunzeln wir heute noch.

 


1 comment