Kann der bedürfnisorientierte Ansatz auch in Mehrkindfamilien funktionieren?

hahnkueken
Neulich las ich einen Artikel über eine Familie mit fünf Kindern. Die Mutter entspreche so gar nicht dem Klischee, hieß es darin, denn sie sei „schlank“ oder „zierlich“ oder ich hab´s mir nicht gemerkt, jedenfalls eben dünn UND „entspannt“. Hm. So viel zur Klischeekerbe. Ich kenne auch Familien mit vier oder fünf Kindern und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich wiedererkennen in Sätzen wie: „Gerade noch hat sie gemütlich in der Sonne gesessen, gleich macht sie sich auf zum Kindergarten“. Zumindest nicht, wenn man, wie die porträtierte Frau, fünf Kinder in sechs Jahren bekommen hat und das Kleinste noch ein Baby ist.
Ich habe mir Gedanken darüber gemacht. In vielerlei Hinsicht. Und neben der Schlankheit als Maß über allem (kotz) habe ich mich auch ein bisschen über die Unehrlichkeit aufgeregt. Denn zu erzählen, dass das mit fünf Kindern einfach super-entspannt abläuft… naja, ich möchte mich nicht reinsteigern, aber sagen: Kann sein, dass das in manchen Momenten so ist, aber Entspannung als Lebensgefühl stellt sich bei fünf kleinen Kindern sicherlich nicht oft ein. Dass jedes Kind Glück bedeutet, das schon! Das glaub ich dem Artikel. Der Rest, naja.
Wenn wir aber jetzt wirklich mal überlegen, wie das „entspannt“ für die Eltern ablaufen könnte, dann doch wirklich nur, wenn alles nach strikten Regeln funktioniert. Vielleicht so ein bisschen wie in einer Kaserne. [Vorsicht Übertreibung!] Antreten zum Morgen-Appell. Jetzt alle selbst die Betten machen, die Kleidung anziehen, marsch. Um acht Uhr abends das Licht aus, egal was ist und kommt ja nicht auf die Idee, nachts Alpträume zu bekommen, denn wir Eltern müssen entspannen und das können wir nur, wenn wir mindestens acht Stunden durchschlafen…

Ist natürlich bekloppt, was ich erzähle. Hirndriss. (Wobei ich glaube, dass das früher tatsächlich so ein bisschen so war in einigen Familien). Aber ich will auf etwas hinaus. Auf den Gedanken nämlich, ob bedürfnisorientierte Erziehung, wie sie heute in vielen Familien zum Glück praktiziert wird, mit dem Trend zur Ein- oder Zweikind-Familie einhergeht.
Auf ein Kind kann ich ganz wunderbar und individuell eingehen. Auf zwei mit einigen Einschränkungen auch noch. Bei Dreien wird es schon wirklich knapp mit den Ressourcen, muss ich aus eigener Erfahrung sagen. Wie oft stand ich vor meinem Mann uns sagte: So, wie wir die Kinder gern begleiten möchten, so bleibt nicht mehr viel anderes in dieser Zeit der „Brut und Aufzucht“ und mit „nicht mehr viel anderes“ meine ich, dass wir manchmal das Gefühl hatten, unsere eigenen Ichs würden sich auflösen.

Es ist rein zeitökonomisch zum Beispiel sehr aufwendig, Zwillinge nach Bedarf zu stillen, so wie ich es getan habe. Ich habe mir manchmal Krakenarme gewünscht, denn ich wollte mich gleichzeitig ja auch noch um die Bedrüfnisse meiner „großen“ zweijährigen Tochter kümmern, während ich so gut wie immer ein bis zwei Babys an der Brust hatte. Unsere Kinder dürfen auch bis heute zu Mama und Papa ins Bett krabbeln nachts. Ab dem zweiten Kind, das sich zu uns legt, wird das sehr eng. Meist zieht dann ein Erwachsener um ins Kinderzimmer.

Bei fünf Kindern stell ich mir das einfach noch schwieriger vor, bedürfnisorientiert zu handeln. Wenn wir mit Dreien schon ab und zu an unsere Grenzen kamen aus Schlafmangel oder Zeitmangel oder sonstigem. Hm. Vielleicht hat jemand eine Idee, ob ich da richtig liege mit meiner Vermutung, dass Attachement Parenting eben genau zu einer Zeit aufkommt, in der Mehrkindfamilien immer seltener werden. Nur so ein Gedanke. Was meint Ihr? Vielleicht ist auch das ein Grund, warum nicht mehr so viele Kinder hierzulande geboren werden? Weil wir uns mit einem oder zweien durch die intensive Betreuung schon ausgelastet fühlen?

 

6 comments

  1. Why not?
    Ich denke mal dass das schon funktionieren kann. Wir Eltern sind ja Vorbilder für unsere Kinder und so wie wir mit ihnen umgehen, werden sie vlt nicht nur später mit eigenen Kindern umgehen sondern auch mit ihren Geschwistern. Auch in anderen Kulturen tragen die älteren Geschwister die jüngeren auf dem Rücken und bereits mein 4-Jähriger tröstet seine kleine Schwester oder hilft ihr beim Ausziehen etc… So wie wir mit unseren Kindern umgehen, so werden auch die Geschwister untereinander miteinander umgehen. Attachement Parenting kann eben von der ganzen Familie gelebt werden!
    http://www.nestwaerme.li
    http://loregilmore.blogspot.com

  2. Mehr Anerkennung durch Jammern?
    Ich weiß nicht ob es allein das Bedürfnisorientierte ist, das abschreckt, ehrlich gesagt finde ich viele Dinge die darunter fallen auch angenehm für mich….stillen, tragen, gemeinsam schlafen, das alles mache ich vor allem weil ich es bequemer finde. Mich würden zu starre Regeln und Termine mehr stressen. Und das ändert sich mit zunehmendem Alter der Kinder doch auch, die wollen doch gar nicht ständig betüddelt werden. Und natürlich steckt man Grenzen um sich nicht aufzurauchen. Aber mal ehrlich jammern und gestresst sein gehört anscheinend auch zum guten Ton, vielleicht aus dem Gefühl heraus mehr zu leisten und so mehr Anerkennung zu bekommen. Mich nervt es ehrlich gesagt immer wenn alle nur am Meckern sind, und es scheinbar einen Wettbewerb unter den Müttern gibt wer es am schwersten hat. Da traut man sich ja gar nicht mehr zu sagen, ich finde es nicht so schlimm…mit 4 Kindern ( die jüngsten Zwillinge) ich will keine Mitleidsbekundungen, ich finde es super (klar auch mal anstrengend aber nicht nur). Viel Stress ist doch hausgemacht, und nicht weil ich nach Bedarf stille, sondern weil ich tausend Kurse besuchen muss, und die Kinder nicht in Ruhe lasse. Ich empfehle den ‚Leitfaden für faule Eltern‘ von Tom Hodgkinson, der hilft!

  3. Leben mit bald 4 Kindern
    meine Kinder sind 11,7 und 1 Jahr alt. Das vierte kommt dieser Tage auf die Welt.Bedürfnissorientierte Erziehung klappt hier nur bedingt. Schon weil die Altersabstände meiner Kinder ziemlich groß sind und sich jeder für etwas anderes interessiert. Oft höre ich mich Sätze sagen wie: Wir sind hier 5 Personen, es kann nicht jeder immer sofort bekommen, was er will!
    Ich finde es allerdings auch kein erstrebenswertes Erziehungsziel, jedes Bedürfniss meiner Kinder schnellstmöglich zu befriedigen.Ich bin doch kein Mutterroboter, sondern eine Frau, die ihre Kräftegrenzen hat, deswegen will ich trotzdem nicht auf meine Kinderschar verzichten müssen. Ich kann nur allen raten: Kommt mal ein bisschen von eurem Perfektionismusast runtergeklettert! Befreit euch vom Optimierungszwang in puncto Kindererziehung!

  4. zustimmen
    Der Kommentatorin und ihrer Differenzierung zwischen Bedürfnissen und Wünschen kann ich nur zustimmen. Die Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen ist auf lange Sicht eine lohnenswerte Investition – und weniger anstrengend als ihre Bedürfnisse klein zu halten und zu reglementieren. Vor allem und grundsätzlich im kleinsten Säuglingsalter.

    Bei den Wünschen der Kids hingegen bin ich ich, löse mich nicht auf – und erfülle sie nicht zu Lasten meines eigenen Wohlergehens. Der Abendbrottisch ist gedeckt, ich stehe genau einmal auf, um Vergessenes und Gewünschtes nachzuholen – und dann nicht mehr. Denn dann will Mutti essen, und zwar in Ruhe und zwar verdient. Ob der eine dann mault, dass er lieber Schinken statt Salami gehabt hätte – Mutti ist es wurscht.

    Respekt kann ich mir nur dadurch erarbeiten, indem ich mich selber im Umgang mit meinen Kindern respektiere. Und meinen eigenen Erholungsraum definiere. Dann muss ich auch nicht lamentieren, dass alles so furchtbar anstrengend wäre.

  5. Bedürfnisse
    Liebe Lisa, ich glaube dass das sicherlich so ist – die hochgepriesene bedürfnisorientierte Erziehung kommt sicherlich auch mit dem durchschnittlichen Familienbild daher – das gerade eben aus 1-2 Kindern besteht. Interessant ist z.B., dass sich in christlichen Kreisen, wo die Kinderzahl im Durchschnitt noch höher ist (vorsicht, das ist nicht wissenschaftlich belegt aber persönlich so wahrgenommen) dieser Erziehungsstil noch nicht durchgesetzt hat und auch nicht so bekannt ist.
    ABER: die große Frage ist ja auch, was man unter Bedürfnisorientierung versteht. Ich muss ehrlich sagen, dass es mir manchmal schlecht wird, wenn ich so sehe, wie sich Eltern von Kindern tyrannisieren lassen und alles super anstrengend wird aufgrund falsch verstandener Bedürfnisorientierung. Bedeutet Bedürfnisorientierung z.B. dass ich, wie letzt in einem Artikel gelesen, sobald mein Baby das erste Anzeichen von Unzufriedenheit macht, es anlegen muss? Bedeutet Bedürfnisorientierung, dass ich immer alles machen muss, was das Kind will? Bedeutet es, dass ich (vielfach erlebt) nie schimpfen oder laut werden darf – selbst wenn das Kind in die Steckdose fasst?
    Ich muss ehrlich sagen, dass ich es mit Sorge wahrnehme, wie manch einer Bedürfnisorientierung auslegt – und auch, welchen Druck das auf manche Eltern macht. So Sätze wie – „wir hätten gern ein Zweites aber können es uns nicht vorstellen, … ist ja schon so anstrengend“ habe ich in letzter Zeit öfters gehört. Das macht mich stutzig.
    Ich selbst versuche die Bedürfnisse meiner 3 Kinder zu stillen – aber auch die Bedürfnisse meines Mannes und meine eigenen. UND: Ich frage mich jeden Tag, was sind Bedürfnisse und was sind Wünsche. Das zu unterscheiden empfinde ich in manchen Bereichen leichter („ich will aber gerne Schokolade haben“) und in manchen Bereichen schwerer („ich kann nicht schlafen“). Aber ich denke, es ist wichtig, nicht jeden Wunsch als Bedürfnis wahrzunehmen – denn dann wird die schönste Sache der Welt definitiv zur anstrengensten.
    Oder wie seht ihr das mit Bedürfnissen Lisa und Caro?